Bag-Shi ist pleite

Kein Bakschisch für die Bag-Shi

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Er­werbs­losen- und Sozialhilfeinitiativen (Bag-Shi) ist insolvent, weil Fördergelder nicht ordnungsgemäß abgerechnet wurden. Eine unabhängige Interessenvertretung für Hartz-IV-Empfänger und andere Menschen, die am Existenzminimum leben, soll es aber schon bald wieder geben – mit neuen Mitarbeitern, neuem Konzept, und vor allem transparenter.

Der Rundbrief, der den etwa 300 Mitgliedern der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen (Bag-Shi) am 17. Juli zugestellt wurde, war alles andere als erfreulich: Die Bag-Shi sei zahlungsunfähig, beantrage ein Insolvenzverfahren, sei schlicht und ergreifend »kaputt«, wie der Vorstandsvorsitzende Andreas Geiger schrieb.

Das Bundesverwaltungsamt hatte im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) die Abrechnungen des Vereins aus den Jahren 2005 und 2006 geprüft. Das Amt kam zu dem Ergebnis: Fördergelder des Ministeriums in Höhe von 37 000 Euro sind weg, es konnte nicht nachgewiesen werden, wofür diese Förderung ausgegeben wurde. Dazu kamen 6 000 Euro Zinsen. Weil die Bag-Shi das Geld nicht zurückzahlen konnte, stellte das Ministerium die weiteren Zahlungen sofort ein. Doch was ist mit der Förderung geschehen? Es wurde Geld für Projekte beantragt und auch bewilligt, die nie durchgeführt wurden, »wahrscheinlich, weil einfach die Zeit fehlte«. Zudem konnten Veranstaltungen, die tatsächlich stattgefunden hatten, nicht mehr nachgewiesen werden. »Mal vorsichtig formuliert: Das Belegwesen funktionierte nicht«, sagt Geiger.
Ausgegeben wurde das Geld aber trotzdem. Und diese Fehlbeträge »häuften sich langsam und leise immer mehr an, ohne dass jemand sich dafür verantwortlich fühlte«. Grund für die ganze Misere sei »eine massive Überforderung über Jahre hinweg, was die Finanzen angeht«, sagt der Vorsitzende, der seit 1998 Mitglied der Bag-Shi ist. »Uns war bewusst, dass die Situation prekär ist, aber wir haben uns immer gedacht, wir können es schaffen«, schildert er die Lage. Eine Mitgliederversammlung mit Geschäftsbericht habe er nie erlebt.
»Fest steht zumindest, dass das Geld nicht in private Taschen geflossen ist«, sagt Geiger. Aber so oder so: Das Geld ist weg. Bis Mitte Oktober prüft eine Insolvenzverwalterin des Frankfurter Amtsgerichts nun die Buchhaltung des Vereins. Danach dürfte für die Bag-Shi endgültig Schluss sein. Denn Ersparnisse hat die Interessenvertretung für »Leistungsbeziehende und Menschen mit geringem Einkommen« nicht.

»Der Schock bei den Mitgliedern war groß«, berichtet Geiger, »viele haben die Situation vorher nicht so dramatisch gesehen«. Nicht nur Erwerbs­loseninitiativen, Selbsthilfeeinrichtungen und Beratungsstellen sind Mitglieder der Bag-Shi. Auch Privatpersonen gehören ihr an. Und sie müssten sich die – wenn auch sehr niedrigen – Vereins­beiträge nicht selten vom Mund absparen, sagt der Vorstandsvorsitzende.
Aufgeben wollen die Mitglieder der Bag-Shi aber nicht. Nach der Bekanntgabe der finanziellen Pro­bleme begann der Verein mit einer Unterschriften­aktion, damit das Arbeitsministerium noch einmal ein Auge zudrückt. »Es darf nicht sein, dass die Interessen von über sieben Millionen Menschen wegen der Krise der Bag-Shi nicht mehr ver­treten werden können. Darüber wollen wir diskutieren – und dafür werden wir kämpfen. Das mögliche Ende der Bag-Shi e.V. darf nicht das Ende parteilicher, unabhängiger und bundesweiter Erwerbslosenarbeit sein«, schrieb der Verein zum Auftakt der Aktion. Betroffene könnten am besten für sich selbst sprechen, da sie »die besten Experten für ihre eigene Situation sind«. In Zeiten steigender sozialer Ungerechtigkeit sei »politischer Einsatz der Betroffenen kein Luxus mehr, den man lobend beklatschen kann. Er ist vielmehr die überfällige Bereitschaft von Menschen, Widerstand gegen die zunehmende Umver­teilung von unten nach oben zu leisten«. So heißt es in der Selbstdarstellung des Vereins. 1 200 Unterschriften sind bisher gesammelt worden. Auch Gruppen, von deren »Stellvertreterpolitik« sich die Bag-Shi lieber distanzieren möchte – Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften – haben unterzeichnet.
Im Ministerium gebe es immer noch die Bereitschaft, einen neuen Verein finanziell zu unterstützen, gibt Geiger an. Dass eine bundesweite, unabhängige Initiative neu gegründet wer­den soll, und zwar so schnell wie möglich, steht seit dem 13. September fest. Zwei Tage lang diskutierten in Bremen die Bag-Shi und andere Ini­tia­tiven, wie der Arbeitslosenverband Deutschland, das Aktionsbündnis Sozialproteste und der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfe­organisationen. »Der Wille ist da. So was wie die Bag-Shi muss es auch weiterhin geben, aber weitgehend unter völlig neuen Vorzeichen«, sagt Geiger.

Im neuen Verein soll alles anders werden: neues Konzept, neuer Vorstand, neue Organisation. Und vor allem, so sagt Geiger: »Mehr Transparenz, Ehrlichkeit und Offenheit, insbesondere auch im finanziellen Bereich.« Anders wird es auch nicht gehen, soll die neue Interessenver­tretung vor einem jämmerlichen Ende wie dem der Bag-Shi bewahrt werden. Der neue Verein will außerdem mehr Menschen die Aufnahme ermöglichen – zwar soll hauptsächlich weiterhin Erwerbslosen und Sozialhilfeberechtigten geholfen werden, aber eben auch anderen Personen, die am »sozio-kulturellen Existenzminimum ­leben«, wie etwa prekär Beschäftigte.
Die Struktur des neuen Vereins soll sich von der des alten unterscheiden. Der Vorstand soll künftig nur noch »Leitlinien definieren«, statt alles selbst in die Tat umzusetzen. Das könnte eine hauptamtliche Geschäftsstelle viel besser erledigen. »Ich arbeite jeden Tag in der Woche fünf bis sechs Stunden für den Verein, und zwar ehren­amtlich«, sagt Geiger, »so was darf es in der neuen Initiative nicht mehr geben«. Die erwogene Professionalisierung habe aber auch Kritik ausgelöst. Bislang haben Betroffene für sich selbst gesprochen. Aber sind sie denn noch betroffen, wenn sie in einer Erwerbsloseninitiative ihren Le­bensunterhalt verdienen, also nicht mehr erwerbs­los sind?
Weiter geht es am zweiten Novemberwochenende im niedersächsischen Meppen. Dort soll über die tatsächliche Gründung einer neuen Inter­essenvertretung beraten werden. Derweil sucht der alte Verein eilig nach einer Möglichkeit, wenigs­tens die Geschäftsräume in Frankfurt am Main irgendwie halten zu können. Die Mitarbeiter sind ihren Job zumindest schon mal los. Und der Geschäftsführer hat mittlerweile Hartz IV beantragt.