Neue Zone im Osten

Man muss auch kleine Begebenheiten zu würdigen wissen. Solche, die die grausame Welt zumindest nicht schlechter machen, als sie ist. Zum Beispiel diese: Ein gutes Drittel der Kreuzberger Bergmannstraße wurde in eine Fahrradstraße verwandelt.
Wer früher vom Südstern in den östlichen Teil der Bergmannstraße einbog, passierte das Schild »Zone 30«. Das ist immer noch so. Jetzt aber folgen nach zehn Metern zwei weitere Schilder. Das eine zeigt das Ende der »Zone 30« an. Das andere, mit dem weißen Fahrrad auf blauem Grund und dem entsprechenden Schriftzug, den Anfang der Fahrradstraße. Das bedeutet zwar eben­falls, dass Autofahrer höchstens Tempo 30 fahren dürfen, aber sie müssen außerdem Anlieger sein.
Bereits vor seiner Verwandlung wurde dieser Teil der Bergmannstraße vorwiegend von Radfahrern genutzt, weil nur sie problemlos in den anderen Teil, die Latte-Macchiato-Meile, durchfahren können. Für Autofahrer ist die Straße so etwas wie eine Sackgasse mit Seitenausgängen. Deshalb kamen nur Anlieger in den östlichen Teil. Anlieger mit Autos wiederum gibt es dort nicht viele. Denn die meisten sind bereits verstorben und befinden sich auf dem Friedhof, der die eine Straßenseite vollständig einnimmt. Die Übrigen sind entweder minderjährig, denn auf der anderen Seite steht ein riesiges Schulgebäude, oder sie wählen die Grünen und gehen zu Fuß mit dem geflochtenen Einkaufskorb in die Markthalle und zur LPG.
Eine kleine Umfrage unter lebendigen, volljährigen Anliegern, die nicht die Grünen wählen, hat ergeben, dass nur ein einziger die Veränderung bemerkt hat, und der fährt Roller. Doch all die Unwissenden, die bisweilen in diesem ruhigen Teil der Bergmannstraße auf Fahrrädern nebeneinander fahren, weil es dort problemlos möglich ist, tun ab sofort nichts Verbotenes mehr. Und das ist ganz toll.   gs