Die neuen Routen des Drogenhandels

Schnee auf Umwegen

Mexikanische Kartelle haben große Teile des Drogengeschäfts von der kolumbianischen Konkurrenz übernommen. Die neuen Routen in die USA sind klar abgesteckt.

Auf dem Eingangstor zur Hacienda Nápoles war einst die kleine weiße Cessna angebracht. Mit dem schmucken Flugzeug hatte Pablo Escobar – nach eigener Aussage – seine erste Ladung Kokain aus Kolumbien gen Norden geschafft. Von der Maschine ist nichts mehr übrig, und auch die luxuriöse Finca, vier Fahrstunden von Medellín entfernt, war lange sich selbst überlassen. Heute ist das Anwesen des als Wohltäter verehrten und als skrupelloser Killer gefürchteten Mannes ein Vergnügungspark.
Das war früher nicht anders, denn Pablo Escobar hatte Sinn für Exzentrik und leistete sich einen Zoo, den er mit dem Geld aus dem Handel mit Kokain finanzierte. Elefanten, Büffel, Kamele, Giraffen, Löwen und andere Tiere ließ er aus Afrika in seinen Garten Eden bringen. So mancher Besucher ließ sich von der knapp 4 000 Hektar großen Hacienda beeindrucken, zu der auch eine eigene Landebahn gehörte. Escobar, der als Bauernsohn zur Welt gekommen war, gilt bis heute als Inbegriff eines Kokainbarons und wird in einigen Stadtvierteln von Medellín immer noch als »Don Pablo« verehrt.
Überaus streng konnte er sein, der Patrón, wie Escobar auch genannt wurde. Und er hatte keine Scheu, sich mit dem gesamten kolumbianischen Establishment anzulegen. Den Machtkampf verlor der Chef des Medellín-Kartells allerdings. Allein, ohne einen einzigen der oft blutjungen Killer, den sicarios, an seiner Seite, stellte ihn eine Polizeieinheit am 2. Dezember 1993 in einem Appartement. Mit der Standardfloskel »auf der Flucht erschossen« wurde die Akte schließlich ge­schlossen.

So oder so ähnlich könnte sich die Geschichte in Mexiko wiederholen. Dort tobt ein Drogenkrieg ähnlichen Ausmaßes wie einst in Kolumbien, und seit der Staat den Kartellen den Kampf angesagt hat, steigt die Zahl der Opfer von Jahr zu Jahr. Annähernd 2 000 Personen wurden im vergangenen Jahr getötet, in diesem sind bereits 3 000 Opfer gezählt worden, davon starben allein 500 im Mai. Längst ist aus dem Machtkampf zwischen Staat und Kartellen ein Krieg geworden. Seit dem Attentat von Morelia hat der Kon­flikt eine neue Stufe erreicht, meinen Drogenexperten.
Wie das geschehen konnte, fragen sich derzeit viele Mexikaner, die vor einigen Wochen auf die Straßen gingen, um gegen die Eskalation der Gewalt zu protestieren. Viele kritisieren die jahrelange Untätigkeit des Staates. Aber das Problem liegt tiefer, denn wie in Kolumbien hat es auch in Mexiko lange Zeit am politischen Willen gefehlt, dem schleichenden Machtzuwachs der Kartelle etwas entgegenzusetzen.
In Kolumbien waren es das Medellín-Kartell und das Cali-Kartell, welche die Geschicke des Landes etliche Jahre mitbestimmten. In das Vakuum, welch­es sich auftat, als die beiden mächtigen Organisationen von den staatlichen Ordnungskräften zur Strecke gebracht worden waren, seien kleinere und deutlich flexiblere Nachfolger geschlüpft, erklärt Ricardo Vargas, ein kolumbianischer Drogenexperte. Vargas beobachtet die Entwicklung in Kolumbien seit Jahrzehnten und kennt die Routen, über die das Kokain außer Landes geschafft wird, nur zu gut. Bis in die acht­ziger Jahre hinein war die Route Bogotá-Miami besonders beliebt, doch nachdem das auch den US-Ermittlern und ihren kolumbianischen Kollegen aufgefallen war, mussten die narcotraficantes die Routen ändern und erweitern.

Heute werden Ladungen von Kokain per Schiff, per Flugzeug, auf dem Landweg und sogar per U-Boot transportiert. So wurde vor rund zwei Jah­ren im Großraum von Bogotá ein fast fertiges U-Boot gefunden, das offenbar für den Drogentransport vorgesehen war, und im Dezember vorigen Jahres brachten US-Drogenermittler der Drug Enforcement Agency (DEA) gemeinsam mit ihren kolumbianischen Kollegen ein U-Boot mit geschätzten zwölf Tonnen Kokain auf der Fahrt gen Norden auf. »Auch der Weg über Afrika oder Europa wird in Kauf genommen, weil viele der Routen bekannt sind«, erklärt Vargas. Größtenteils führen die Handelswege über Mexiko, denn auch die Route über die Straße von Florida wird von der DEA in Kooperation mit der Küstenwacht penibel überwacht.
Umso wichtiger ist der Landweg über die mexi­kanische Grenze, über den derzeit, nach Schätzungen der DEA, 90 Prozent des in den USA konsumierten Kokains ihr Ziel erreichen. Rund 300 Tonnen des weißen Pulvers, das in immer größeren Mengen vor allem in kolumbianischen Labors hergestellt wird, schnupfen die Verbraucher in den USA nach Angaben der Uno. Jährlich werden dort zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar für illegale Drogen ausgegeben, bei sinkenden Marktpreisen und steigendem Angebot.
Das Gros des Geschäfts wird in den USA gemacht. Dort fallen die großen Gewinne an, nicht in Mexiko oder Kolumbien. »In den Produzentenländern bleibt nur ein Bruchteil der Marge hän­gen«, sagt Vargas. Er schätzt den kolumbianischen Anteil an den Profiten auf 2,5 bis maximal fünf Milliarden US-Dollar. Mexiko als größtes Transitland der Droge erwirtschaftet Schätzungen zufolge schon rund sieben Milliarden US-Dollar. Mit der Veränderung der Routen ist auch die Bedeutung der Kartelle in Mexiko gewachsen, die davon profitieren, dass die Zeit der kolumbianischen Konkurrenz vorbei ist.

Ein gutes halbes Dutzend große Kartelle soll es derzeit in Mexiko geben, wobei das Kartell von Si­naloa angeblich das mächtigste ist. Es residiert in Culiacán, einer Provinzmetropole im nördlichen Hinterland der Pazifikküste, die mittlerweile als mexikanisches Medellín gilt. Hinter den Kulissen agieren die Capos, die Bosse des Kartells. Die Region ist nicht allein Transitgebiet, sondern auch Anbauregion – nicht von Kokapflanzen, aber von Marihuana und Amapola, wie Schlafmohn auf Spanisch genannt wird.
Seit 1994, dem Jahr des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta), wird in Mexiko mehr und mehr angebaut, denn nach den Studien von unabhängigen Entwicklungsorganisationen kommen viele Bauern seither mit dem Anbau legaler Produkte nicht mehr über die Runden. Verantwortlich dafür ist die Einfuhr billiger Agrar­produkte aus den USA. Dadurch seien die Preise für klassische Agrarprodukte gesunken, schreibt der Sozialwissenschaftler Alberto Arroyo Picard, der in Mexiko immer wieder auf die Folgen des Abkommens aufmerksam machte. Die Kartelle profitierten davon.
Ohnehin sind die in mehreren Geschäftsfeldern tätig. Beispielsweise wurden lange, gut ausgebaute Tunnel zwischen Mexiko und den USA entdeckt, die nicht nur zum Kokain- sondern auch zum Menschen- und Waffenschmuggel taugen.

Der wachsende Einfluss der Kartelle auf allen Ebenen habe dazu geführt, dass im Kampf gegen die Drogen und den Drogenhandel in Mexiko, ähnlich wie in Kolumbien, nahezu alles erlaubt sei, meint Renato Salas, Staatsanwalt in Mexiko City. Der Jurist moniert seit Jahren, dass durch den Druck der USA Gesetze erlassen wurden, die in der Folge die Grundrechte der Bürger einschränken. So müssen beim Verdacht der Geldwäsche nicht mehr die staatlichen Ermittler die Schuld des Angeklagten stichhaltig beweisen, sondern der Beschuldigte muss nachweisen, dass er sein Vermögen rechtmäßig erworben hat. »Die Drogenhändler wurden de facto zum öffentlichen Feind erklärt.«
Diese Entwicklung begann Anfang der neunziger Jahre und reicht bis heute, und die USA machen dabei ihren Einfluss geltend. Das hat faktisch zur Militarisierung der mexikanischen Gesellschaft geführt, die mit dem Einsatz von rund 40 000 Militärs im »Krieg gegen die Drogen« und den Maß­nahmen der USA im Rahmen der »Initiative Merida« ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Ausrüstung, Waffen und Ausbilder wollen die USA schicken. Auch das ist eine Parallele zu Kolumbien. Dort hieß das Ganze »Plan Colombia« und diente nicht nur nebenbei dazu, gegen die Guerillas FARC und ELN vorzugehen.
Das war allerdings nach Don Pablos Zeit. Der hatte noch gegen die Auslieferung von Straftätern an die USA rebelliert.