Die Finanzkrise und die EU

Jeder bürgt für sich allein

Die Regierungen der EU verhandeln über eine gemeinsame Reaktion auf die Finanzkrise – bislang ohne Erfolg.

Die europäische Einigung sei eine Frage von Krieg oder Frieden, hatte vor einigen Jahren Helmut Kohl pathetisch erklärt und dabei vermutlich an die Schlachtfelder in Flandern oder in der Normandie gedacht. Dass sich das Schicksal Europas stattdessen eines Tages vielleicht in sterilen Vorstandsetagen in London, Frankfurt oder Dublin entscheiden könnte, wäre ihm hingegen wohl kaum in den Sinn gekommen.
Tatsächlich hat die Finanzkrise in kurzer Zeit eine Dynamik erreicht, die nicht nur Großbanken, sondern auch ganze Staaten wie Island in den Ruin treibt. Jetzt zeigt sich, wie weit die Integration der EU fortgeschritten ist: Handelt sie gemein­sam, um die Krise zu bewältigen? Oder hört beim Geld die Freundschaft auf? Zumindest nach Meinung des französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy fällt eine vorläufige Bilanz vernichtend aus.
»Mir hat sie gesagt: Jedem seine ›Merde‹«, zitierte ihn die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné Mitte vergangener Woche. Sarkozy hatte zuvor bei einem EU-Gipfeltreffen versucht, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel von einem euro­päischen Fonds nach US-Vorbild zu überzeugen. Doch Merkel hatte dankend abgelehnt. Der Fonds sollte 300 Milliarden Euro bereitstellen, um wichtige europäische Kreditinstitute vor dem Bankrott zu retten. Als größte Volkswirtschaft in der EU hätte Deutschland die Hauptlast zu tragen und damit auch schwächere Mitgliedsstaaten unterstützen müssen.
Die Deutschen seien »weniger europäisch als die Briten«, kommentierte Sarkozy. Wenigstens konnte er schon kurz darauf mit Schadenfreude registrieren, dass die Bundesregierung 50 Milliarden Euro aufwenden musste, um den Bankrott der Hypo Real Estate (HRE) zu verhindern. Zumindest darauf hatten sich die europäischen Regierungen geeinigt: Systemrelevante Banken, von deren Existenz andere Kreditanstalten abhängen, sollen gerettet werden.
Nun versucht jedes EU-Mitglied, die eigenen Unternehmen zu sichern – und sich gegebenenfalls in der Krise sogar einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. So unterstützten die Benelux-Staaten zunächst den Finanzkonzern Fortis mit über elf Milliarden Euro, dann kaufte die französische Regierung den belgischen und luxemburgischen Anteil einfach auf. Die spanische Regierung stellt für ihre Banken einen Notfallfonds in Höhe von 30 Milliarden Euro bereit, Italien will mit 20 Milliarden einspringen.
Überraschend aktiv zeigt sich auch die britische Regierung, die staatliche Interventionen bislang gern verteufelte. Sie stellt rund 65 Milliarden Euro zur Verfügung und erhält dafür Vorzugsaktien der bedrohten Finanzunternehmen – was faktisch deren Verstaatlichung bedeutet. Die irische Regierung indes bürgt mit bis zu 400 Milliarden Euro für sechs große nationale Banken, was wiederum den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück maßlos ärgert. Denn von der Bürgschaft ausgenommen ist ausgerechnet die in Dublin ansässige HRE-Tochter Depfa. Sie konnte von dem niedrigen irischen Steuersatz profitieren. Als sich die Depfa verspekulierte, stand die HRE vor dem Ruin, die Bundesregierung musste reagieren.
Am Wochenende versprachen Merkel und Sarkozy bei einem weiteren Gipfeltreffen die baldige Verabschiedung eines EU-Hilfsplans zur Rettung der Finanzbranche. Doch bislang überwiegen nationalstaatliche Interessen. Sollte sich der Crash noch ausweiten, könnte sich dieses Vorgehen als fatal erweisen: Eine solche Krise kann auf Dauer kein Land alleine bewältigen. Auch wenn es nicht um Krieg und Frieden, sondern »nur« um eine solvente oder bankrotte Wirtschaft geht – am Ende sind die Folgen oft kaum zu unterscheiden.