Die CSU in Bayern

Pfiati, Hegemonie!

Die CSU muss tatsächlich nach mehr als 40 Jahren Alleinregierung mit einer anderen Partei koalieren. Wie konnte es in Bayern so weit kommen?

Bayern ist ein Alpenland mit vielen Kühen und einem Fußballverein, der nicht zu schlagen war, bevor ein Schwabe Trainer wurde. Die Bewohner tragen Lederhosen, jodeln, saufen nicht bloß zur Wiesnzeit, lernen in der Schule Holzhacken und wählen immer CSU. Ambros Waibel hat solche Vorurteile mit Zitaten von Lion Feuchtwanger garniert (Jungle World 38/08). Bloß basiert dessen Roman »Erfolg« auf einer soliden Klassen­analyse. Er beschrieb München Anfang der zwanziger Jahre als Residenzstadt, dominiert von Beamten, Händlern und Handwerkern inmitten eines Agrarlandes. Mittlerweile ist München eine »Boomtown« und Bill Gates lobte Bayern als europäisches »High-Tech-Mekka«.

Die Entwicklung, die zur derzeitigen Lage in Bayern führte, begann damit, dass sich nach der Niederlage Nazi-Deutschlands das Kapital aus der sowjetischen Besatzungszone und dem unsicheren Berlin absetzte. Siemens machte rüber nach Erlangen und München, die sächsische Autounion, heute Audi, nach Ingolstadt. Arbeiteten 1950 noch 33 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft, waren es im Jahr 2000 noch knapp vier Prozent. Bayern hat sich zum führenden Standort für die deutsche Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsindustrie entwickelt. Die Automobil­industrie ist mit Audi und BMW, der Kraftwerksbau und die Computertechnik mit Siemens vertreten, München ist der zweitgrößte Bankenstandort in Deutschland und im Versicherungswesen an erster Stelle. Moderne Laser-, Mikrosystem- und Gentechnik sowie Informations- und Kommunikationstechnologie hat die Staatsregierung nach Branchen in München, Regensburg, Würzburg oder Fürth/Erlangen angesiedelt.
Die notwendige Arbeitskraft lieferten im Zuge dieser Entwicklung zwei Einwanderungswellen. Zuerst kamen etwa 1,6 Millionen so genannte Heimatvertriebene, die bald ein Fünftel der Bevölkerung stellten, viele davon echte politische Flücht­linge, denen als Nazi-Kader in ihren Herkunftsländern eine gerechte Strafe drohte. Seit den fünfziger Jahren lockte der wirtschaftliche Erfolg Arbeitssuchende aus dem Norden Deutschlands, noch zwischen 1995 und 2005 per saldo über 430 000 Menschen.
Im Vergleich zu diesen »zuagroasten Preißn«, wie sie in der Sprache der Indigenen genannt werden, war die Einwanderung aus den Mittelmeerstaaten bescheiden und – geschichtlich gesehen – vertraut: Seit der Renaissance verschönerten Architekten, Künstler und Bauarbeiter aus Italien bayerische Paläste und Klöster, die Eisenbahngleise im Raum München wurden um 1900 von serbischen Arbeitern verlegt. Derzeitige Umfragen zeigen dennoch, dass ein hoher Anteil von bayerischen und zugewanderten Deutschen im Freistaat sich im Ressentiment gegen Einwohner ohne deutschen Pass einig ist.

Die schnelle Industrialisierung konnte die CSU fördern und lenken, weil in erbitterten Fraktionskämpfen Leute wie Franz Josef Strauß siegten, die auf einen schlagkräftigen Parteiapparat und eine moderne Kader- und Massenpartei setzten, die die traditionellen Spaltungen des bürgerlichen Spektrums in Altbayern und Franken, Katholiken und Protestanten, Bayerisch-Partikulare und Deutschnationale überwand. Dieser Prozess war Ende der fünfziger Jahre abgeschlossen: Die Bayernpartei, eine Art bayerische Lega Nord, die später einmal mit der Parole »Nie wieder Deutschland« antrat, schrumpfte zur Bedeutungslosigkeit, die parteiförmigen Gruppen der Heimatvertriebenen gingen in der CSU auf und stärkten dort das deutschnationale, faschistische Element. Verglichen mit der CSU war ihr Vorläufer, die Bayerische Volkspartei der Weimarer Zeit, ein katholischer Honoratiorenclub, im Süden bedrängt von partikularistischen Bauernbünden, während die SPD, die rechtsex­treme DNVP und bald die NSDAP den fränkisch-protestantischen Norden dominierten.
Die CSU erhielt große Mehrheiten, weil sie das Kapital, das Kleinbürgertum, die Bauern und einen Teil der Angestellten und Industriearbeiter zufriedenstellte. Gezielt förderte die Partei die zivil-militärischen Sektoren wie die Atomtechnik, die Luft- und Raumfahrt, ließ Straßen, Flughäfen, Universitäten, Fachhochschulen und Schulen und Pipelines nach Marseille, Genua und Triest sowie die ersten Ölraffinerien in Ingolstadt für die nötige Rohstoff- und Energieversorgung bauen.
Eigentlich zersetzen kapitalistische Konzentrations- und Zentralisationsprozesse unweigerlich die kleinbürgerlich-bäuerliche Massenbasis. Doch die CSU hat es verstanden, diese Vorgänge durch die besondere Förderung mittelständischer und kleiner Betriebe zu verlangsamen. Darum gibt es in Bayern bis heute mehr Kleinbauern und kleine Brauereien als in anderen Teilen der Republik, nicht weil die Bayern sowieso nur saufen und raufen.
Eine solide Klientelpolitik ähnlich wie bei den italienischen Christdemokraten – samt Skandalen und Skandälchen – bescherte CSU-Anhängern Posten, Aufträge oder Bauland statt saurer Wiesen. In der politisch-gesellschaftlichen Sphäre vom Bauernverband bis zur Freiwilligen Feuerwehr war die CSU gut verankert. Die folkloristischen Elemente, von sozialdemokratischen Oberlehrern gern als das Wesentliche missverstanden, bildeten den ideologischen Kitt. Stoiber hat das Erfolgsmodell in dem Slogan »Laptop und Lederhose« kondensiert.

Die CSU war so lange hegemonial, um Gramsci zu bemühen, bis ihr der Laptop zum Verhängnis wurde. Die mikroelektronische Entwicklung macht menschliche Arbeitskräfte weitgehend überflüssig. Der Trickle-Down-Effekt von Gewerbeansiedlungen für die Lohnabhängigen, ausgedrückt in der CSU-Parole »Sozial ist, was Arbeit schafft«, lässt nach. Auch in Bayern gibt es Erwerbslosigkeit, Niedriglöhne und unsichere Jobs bei hohen Lebenshaltungskosten, gerade im Großraum München. Das Kapital drückt die Tariflöhne, bekämpft soziale Rechte und begrenzt den Verteilungsspielraum der CSU. Stoibers Sparpolitik traf auch die konservative Klientel: Polizei und Philologen, Vereinsmeier und Trachtler. Dazu kam der Unmut über Studiengebühren, schlecht ausgestattete Universitäten und Schulen sowie im Regional- und Nahverkehr eine marode Bahn. Der Transrapid war an der CSU-Basis längst unbeliebt, als Beckstein das Projekt aufgab.
Dass in Kneipen wieder geraucht werden darf, wie die nach den jüngsten Wahlen entstandene Koalition von CSU und FDP eilig verkündete, wird allein der CSU nicht helfen. Zwar haben die Grünen sich ihr bereits für 2013 als Koalitionspartner angedient, aber die Hegemonie der CSU dürfte weiter schwinden. Schon die glorreiche Zwei-Drit­tel-Mehrheit, die Stoiber in den Landtagswahlen 2003 erhielt, entsprach bloß einem Viertel der Stimmberechtigten, wenn man die niedrige Wahl­beteiligung und die Tatsache berücksichtigt, dass beinahe zehn Prozent der Einwohner als »Auslän­der« gar nicht wählen dürfen. So könnte am rechten Rand eine Konkurrenz entstehen, Schönhuber kam mit seinen Republikanern 20 Jahre zu früh. Gewerkschaften und Linke sind in Bayern schwach, soziale Bewegungen kaum existent.
Die letzte bayerische Regierung ohne die CSU bestand übrigens von 1954 bis 1957. Die SPD koalierte mit der FDP, der Bayernpartei und dem »Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten«, einem Sammelbecken alter Nazis. Was Besseres kommt nicht nach, sagt ein bayerisches Sprichwort.