Sarkozy will den Kapitalismus »neu gründen«. Das gefällt Deutschland nicht

Starker Staat, deutscher Staat

Der derzeitige EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy will angesichts der Finanzkrise den Kapitalismus »neu gründen«. Seine Vorschläge zur Neuausrichtung der Euro­päischen Zentralbank und Einrichtung einer europäischen Wirtschaftsregierung stoßen insbesondere in Deutschland auf Widerstand.

Wenn die Gefahr groß ist, bedarf es auch großer Lösungen. Das mag sich der französische Präsident Nicolas Sarkozy gedacht haben, als er vergangene Woche überraschend seine Pläne präsen­tierte, mit denen er die Finanzkrise bewältigen möchte.
Bescheidenheit gehört schließlich nicht zu seinen hervorstechenden Tugenden. Wenn Nicolas Sarkozy aktiv wird, dann geht es gleich um alles: um die »Rettung der Welt«, wie er selbstbewusst verkündigte.
Seiner Meinung nach reagiert Europa noch viel zu verhalten auf die Krise, die mittlerweile das gesamte Wirtschaftssystem zu erfassen drohe. Nur ein einheitliches Vorgehen könne jetzt noch helfen, und deshalb will er für den Kampf gegen das Desaster eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung schaffen. »Wir haben eine Zentralbank, wir haben eine Währung, aber keine Wirtschaftsregierung, die diesen Namen verdient«, klagte der französische Präsident.
Zudem schlägt er vor, dass die EU-Länder über Staatsfonds bei europäischen Aktiengesellschaften einsteigen. Wegen der niedrigen Aktienkurse seien viele Unternehmen anfällig für feindliche Übernahmen ausländischer Investoren. Wenn Europa jetzt nicht reagiere, könnten die Bürger eines Tages »aufwachen und entdecken, dass die europäischen Gesellschaften nicht-europäischen Hauptstädten gehören«. Die europäischen Regierungen müssten dafür sorgen, dass in Euro­pa auch weiterhin »Schiffe, Flugzeuge und Autos gebaut werden«.
Doch Sarkozy will nicht nur Subventionen für die darbende Autoindustrie und staatliche Beteiligungen in wichtigen Wirtschaftsbranchen, son­dern auch noch die Europäische Zentralbank (EZB) neu ausrichten. Er ist überzeugt, dass man »eine andere Geldpolitik haben kann, ohne die Unabhängigkeit der EZB zu untergraben«. Die Finanzkrise habe klar gezeigt, dass »wir so nicht weitermachen können«. Es sei daher notwendig, ein verantwortungsvolleres Wirtschaftssystem zu schaffen. »Europa muss die Idee einer Neugründung des Kapitalismus voranbringen«, fordert er kategorisch.

Verstaatlichung, Staatsfonds und eine zentrale Wirtschaftsregierung – fast erscheinen Sarkozys Pläne wie eine nachträgliche Bestätigung längst vergessener Stamokap-Theorien. Tatsächlich nutzt der französische Präsident jedoch die Gunst der Stunde, um einen alten Vorschlag neu zu prä­sentieren. Frankreich hatte schon früher für eine europäische Wirtschaftsregierung geworben und damit immer wieder den Unmut deutscher Politi­ker auf sich gezogen.
Bislang ist es die vorrangige Aufgabe der EZB, die nach dem Modell der Deutschen Bundesbank organisiert wurde, für finanzpolitische Stabilität in Europa zu sorgen. In den neunziger Jahren hatte sich die Bundesregierung damit bei den Maas­tricher Verträgen durchgesetzt. Seitdem müssen sich alle EU-Länder an eine strikte Haushaltsdisziplin halten, um die Währung stabil zu halten. Davon profitierte in der Vergangenheit vor allem die auf den Export orientierte deutsche Ökonomie, während die französische Regierung auf Konjunkturprogramme für ihren Binnenmarkt weitgehend verzichten musste. Der Vorschlag von Sarkozy richtet sich daher nicht nur gegen die drohende Rezession, sondern bedroht auch die deutsche Dominanz in der europäischen Wirt­schaftspolitik.
Kein Wunder also, dass seine Pläne nicht nur bei der Bundesregierung, sondern beim gesamten deutschen Wirtschaftsestablishment auf erbitterten Widerstand stoßen. Frankreich nutze »wie andere Staaten die Krise, um den eigenen Unternehmen und Banken Vorteile zu verschaffen – zum Schaden der anderen«, kommentiert das Handelsblatt; »Nicolas Sarkozy, der amtierende EU-Präsident, will die allgemeine Verunsicherung über die internationale Finanzkrise nutzen, um die deutsche Blockade in Europa zu brechen«, empört sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Vorschlag diene nur dazu, die EZB einem politischen Diktat zu unterwerfen, dessen Vorgaben aus Paris kommen.
Auch der Bundesverband der Deutschen In­dus­trie (BDI) kritisiert den Vorschlag scharf. »Das entspricht überhaupt nicht unserer ordnungspolitischen Ausrichtung«, meint der Leiter der BDI-Rechtsabteilung, Heiko Willems. Der Verband unterstütze zwar das »Rettungspaket« für die Finanzbranche. »Man sollte jetzt aber nicht über das Ziel hinausschießen.« Zuspruch erhält Sarkozys Vorschlag in Deutschland lediglich von der Gewerkschaft Verdi und der Linkspartei. »Wir müssen dafür Sorge tragen, dass ausländische Staatsfonds nicht europäische Unternehmen auf­kaufen«, meint Oskar Lafontaine zu den Plänen der französischen Regierung.

Dabei setzt die Bundesregierung schon lange auf Maßnahmen, die sich von Sarkozys Vorstellungen gar nicht so sehr unterscheiden. Bereits im August hatte sie das Außenwirtschaftsgesetz geändert, um deutsche Firmen besser vor Übernahmen unliebsamer ausländischer Investoren zu schützen. Die Regierung kann damit ein Engagement von mehr als 25 Prozent an einem Unternehmen verbieten, wenn sie dadurch »die öffentliche Ordnung oder Sicherheit in Deutschland« in Gefahr sieht.
Seit einiger Zeit warnt die Bundesregierung vor Staatsfonds aus Schwellenländern wie China, Russ­land, Indien oder den Ölförderländern. Diese Fonds würden nicht nur ökonomischen Zielen dienen, sondern auch den geopolitischen Interessen der jeweiligen Staaten. Während die Bundesregierung beim G8-Treffen in Heiligendamm im vergangenen Jahr vehement darauf drängte, dass sich die Schwellenländer mehr für ausländi­sche Direktinvestitionen öffnen, erschwert sie gleichzeitig den umgekehrten Weg.
Die politische Führung in Berlin grenzt sich zwar vehement von Sarkozys Plänen ab, setzt aber gleichzeitig selbst auf den starken Staat und findet damit Unterstützung im gesamten politischen Spektrum. Denn auch in Deutschland neigen viele angesichts der fundamentalen Wirtschaftskrise zu einem Vokabular, das dem Staat geradezu messianische Züge verleiht. »Zum Überleben der Welt ist jetzt jedoch die Wiedergeburt des staatlichen und sozialen Primats angesagt«, lobt der Berliner Tagesspiegel Sarkozys Pläne begeistert. »Seit die Finanzmärkte explodieren, hat der staatsferne, in seiner sozialen Unverfrorenheit entartete Neoliberalismus sein verdientes Ende gefunden.«
Dass die Bundesregierung in Europa durchaus autoritär agieren kann, wenn es gilt, das Primat der Politik gegen den nun so plötzlich »entarteten Neoliberalismus« durchzusetzen, muss gerade ausgerechnet die biedere Schweiz erfahren. Erst vor wenigen Tagen bezeichnete Finanzminister Peer Steinbrück die Schweiz als Steueroase, die auf die Schwarze Liste der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehöre. »Statt Zuckerbrot müssen wir auch zur Peitsche greifen«, fügte er aggressiv hinzu – als existiere die europäische Wirtschaftsregierung bereits, nur eben mit Sitz in Berlin, und nicht in Paris.
Manchen geht selbst dieser selbstbewusste Staat noch nicht weit genug – wie beispielsweise dem Wormser Wirtschaftsprofessor und Unternehmensberater Max Otte, der für eine deutsche Nationalökonomie schwärmt. Seiner Meinung nach habe ein viel zu schwacher Staat viel zu spät in die gegenwärtige Finanzkrise eingegriffen. Der nationale Ökonom möchte nun die Nation wieder als »Schutzraum« sehen und bedauert, dass die Wirtschaftstheorie in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten entweder von Keyne­sianern oder von Neoliberalen bestimmt worden sei – aber nicht von Nationalkonserva­tiven, für die er jetzt die Stunde gekommen sieht.
Zumindest der starke Staat ist auf jeden Fall schon da, in Frankreich wie in Deutschland. Der neue Kapitalismus, den Sarkozy fordert, könnte bald in eine sehr konservative Variante münden. Die Krise hat schließlich gerade erst begonnen.