Warnstreiks in der Metallbranche

Da tobt der Kleinbürger

In der Metallbranche finden die ersten Warnstreiks statt. Die IG Metall fordert acht Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten.

Als der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, im September die Lohnforderung von acht Prozent präsentierte, wies er jede Bedeutung der Finanzkrise mit dem Verweis auf die Stabilität des deutschen Bankensystems und die kerngesunden deutschen Unternehmen zurück. Krise? Welche Krise? Wenige Tage später standen die ersten deut­schen Banken vor dem Kollaps und die Automobilfabriken von Bremen bis Stuttgart begannen, ihre Produktion zu drosseln. Die Finanzkrise erreicht die Produktion und geht in eine globale Rezession über.

Damit hatte die Gewerkschaftsführung offenkundig nicht gerechnet, als sie sich auf ihre höchste Lohnforderung seit 16 Jahren festlegte. Zurücknehmen kann sie diese aber auch nicht ohne weiteres, wenngleich Huber bereits signalisiert hat, man könne die Laufzeit des neuen Tarifvertrags auf 20 Monate verlängern, um den Unternehmen mehr Stabilität zu bieten. Die Gewerkschaft steht unter erheblichem Druck. Als pragmatischer Co-Manager hat sie entscheidend zum jüngsten Höhenflug der deutschen Exportindustrien beigetragen, während die Arbeiter seit Jahren zurückstehen müssen und immer stär­ker mit der Inflation zu kämpfen haben. Angesichts der gestiegenen Energie- und Lebensmittel­preise ist die aktuelle Lohnforderung für die rund 3,6 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie alles andere als exorbitant.
Weil die deutschen Gewerkschaften selbst nach Kräften dazu beigetragen haben, den Gedanken an andere Produktionsverhältnisse ins historische Abseits zu drängen, müssen sie die globale Krise, die sich derzeit zusammenbraut, gegen jede Evidenz klein reden. Was als Chance begriffen werden könnte, einer verkehrten Gesellschaftsordnung das Ende zu bereiten, kann ihnen nur als Bedrohung des gewohnten Geschäfts erscheinen, jede Forderung an ihrer Verträglichkeit fürs Kapital zu messen. Eingekeilt zwischen einer Basis, die sich weiteren Verzicht nicht mehr leisten mag, und Verhandlungspartnern, die mit Grund um ihr Geschäft bangen, tritt die Gewerkschaftsführung die Flucht in den Nationalismus an. Wenn Huber erklärt, eine »gute Lohnerhöhung« sei »ein großes Nachfrageförderungsprogramm« und ergo genau das, was das Kapital derzeit am dringendsten benötige, ist das noch der altbekannte konformistische Trick, den Bedürf­nissen von Arbeitern die höheren Weihen gesamtwirtschaftlicher Rationalität zu verleihen. Wenn er die Zunft der Ökonomen »versaut ohne Ende« findet, da sie sich als »Schlechtredner der Nation« hervortäten, ist der Übergang von keynesianischen Illusionen in die moralisierende Ra­serei des kryptofaschistischen Kleinbürgers vollzogen.
Die Gewerkschaftsrhetorik von einer überfälligen »Korrektur der Werte in unserem Land«, von »ehrlicher Arbeit« hie, »goldenen Nasen« da, von dem Skandal, dass die Beschäftigten hierzulande »die Zeche für amerikanische Jungmillionäre zahlen« müssten, gibt einen Vorgeschmack auf das, was die Krise an Ressentiments freilegen wird. Wenn Linke dann nur den Ratschlag parat haben, die IG Metall müsse den Streik »zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Abzockern und Spekulanten auf der einen und den arbeitenden Menschen auf der anderen Seite machen« (junge Welt), scheint der berüchtigte Verblendungszusammenhang perfekt.

Aber es gibt auch andere Stimmen. Die Arbeiter, schreibt die Basisgruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« bei Opel Bochum in ihrer Betriebszeitung, sollten nicht erneut den Fehler machen »auf die Alles wird gut-Prediger zu hören«, sondern dem Konzern sagen: »Wir können euch nicht davon ab­halten, Kapazitäten zu streichen, letztlich irgendwo eine Bude zuzumachen, aber probiert ihr das hier in Bochum, dann reden wir mit, und das wird für euch so richtig teuer. … Wir werden den Arsch für eure Krise nicht hinhalten! So long!« Schon eine aktive Minderheit von Lohnabhängigen, die sich diese Haltung zu eigen machte, könnte den anstehenden Auseinandersetzungen einen ganz anderen Charakter geben, als sie derzeit unter Führung der IG Metall anzunehmen drohen.