Baden-Württemberg plant ein Versammlungsgesetz nach bayerischem Modell

Ihr seht zu gefährlich aus!

Mit dieser Begründung könnte die Polizei in Baden-Württemberg künftig Kund­gebungen verbieten. Das Land plant ein Versammlungsgesetz nach bayerischem Vorbild.

»Bildung eines bewaffneten Haufens« heißt ein Delikt im Strafgesetzbuch, das noch aus Kaisers Zeiten stammt. Heutige Autoren, die mit neuen Versammlungsgesetzen für die Bundesländer befasst sind, würden wohl am liebsten die »Bildung eines einschüchternden Haufens« verbieten.

Seit der Föderalismusreform 2006 können die Länder das Versammlungsrecht des Bundes durch ein eigenes ersetzen. Baden-Württemberg möchte von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so wie Bayern es bereits getan hat. Im Rahmen eines so genannten allgemeinen Militanzverbots reicht dort seit dem 1. Oktober zur Auflösung einer Demonstration aus, dass sie eine »einschüchternde Wirkung« erzielt und den »äußeren Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt«; die Beurteilung obliegt der Polizei. Auch unzumutbare Störungen Dritter rechtfertigen ein Verbot. Gestört fühlen könnten sich beispielsweise die Betreiber von Läden – auch von Nazi-Läden – in einer Fußgängerzone oder Unternehmer, die Streikkundgebungen nicht so gern sehen. Auch besonders empfindsame Polizisten könnten melden, wenn sie sich persönlich eingeschüchtert fühlen.
Wie auch die bayerische Regierung einräumt, hat das Demonstrationsrecht in der Bundes­repu­blik »paramilitärisch geprägte oder gewaltbereite« Versammlungen noch nie gedeckt, selbst der Schutz gegen polizeiliche Maßnahmen ist bekannt­lich nicht erlaubt. Mit dem Verbot ohnehin illegaler Militanz rufen die Gesetzesbefürworter das Bild von gewaltsamen Protesten hervor, die vom vermeintlich zu liberalen Bundesversammlungsgesetz geschützt würden. In Bayern können die Behörden nunmehr jedoch gerade gegen Demons­trationen vorgehen, bei denen Gesetzesverstöße ausbleiben.
Die bayerischen Verfasser hatten dabei wohl Veranstaltungen wie die Proteste gegen die jährlich in München stattfindende »Sicherheitskonfe­renz« vor Augen. Da es dabei selbst nach Aussagen der Polizei bisher nur vereinzelt zu Ordnungs­widrigkeiten gekommen ist, mussten die Behörden diese Demonstrationen meist unwillig hinnehmen. Offiziell dienten vor allem Aufmärsche von Neonazis als Begründung für das neue Versammlungsgesetz, obwohl gegen Demonstrationen, bei denen ein »nationaler Sozialismus« gefordert wird, längst mehrere Gesetze anwendbar sind, vom Uniformierungsverbot bis zur Volksverhetzung.
Anmelder einer Demonstration dürfen sich in Bayern zudem über die Beförderung zu Hilfs­polizisten freuen. Zu ihren Pflichten zählt es seit Oktober, polizeiliche Maßnahmen zu unterstützen und Gewalttaten bereits im Vorhinein zu unterbinden. Des Weiteren können die Behörden Namen und Adressen aller Ordner anfordern und diese ebenso wie einen Anmelder ohne nähere Begründung als »ungeeignet« oder »unzuverlässig« ablehnen.
Das neue Versammlungsgesetz erlaubt zudem die umfassende Videoüberwachung von Demonstrationen. So genannte Übersichtsaufnahmen darf die Polizei ein Jahr lang speichern und zur Identifikation Einzelner nutzen, wenn es der Strafverfolgung dient. Diese längst gängige, wenn auch erst jetzt legale Praxis dient auch zur Abschreckung: Wer nicht in einer Polizeikartei landen möchte, sollte sich von Demonstrationen besser fernhalten.
Sogar öffentliche Veranstaltungen in geschlossenen Räumen fallen neuerdings unter das baye­ri­sche Versammlungsrecht. Das hat zur Folge, dass sich auch dort Einzelpersonen verantwortlich erklären und Einladungen namentlich unterschreiben müssen. Die Polizei erhält ein gesetzliches Anwesenheitsrecht, obwohl dies gegen ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom Juli verstößt. Ein Zusammenschluss aus Parteien, Gewerkschaften und Bürgerrechtsverbänden hat inzwischen vor dem Bundesverfassungs­gericht Klage gegen das Gesetz eingereicht.

All das könnte künftig auch für Baden-Württemberg gelten. Die CDU, die das Land gemeinsam mit der FDP regiert, hat einen Entwurf vorgelegt, der dem bayerischen Gesetz fast im Wortlaut gleicht. Nach der Aussage des baden-württembergischen Innenministers, Heribert Rech, arbeiten mit Niedersachsen, Hamburg und Sachsen-Anhalt weitere konservativ regierte Länder an Gesetzesentwürfen, die ähnlich klingen dürften.
Das baden-württembergische Gesetz soll Anfang kommenden Jahres in Kraft treten und befindet sich derzeit in der Anhörungsphase. Mit der Gewerkschaft der Polizei, Richter- und Staatsanwaltsverbänden sind dazu überwiegend Organisationen geladen, die nichts dagegen haben, die Befugnisse der Polizei auszuweiten. Widerspruch ist nur vom potenziell selbst betroffenen DGB zu erwarten.
Angesichts der Politik der CDU und der CSU darf man bezweifeln, ob die vielfach angeführten rechtsextremen Aufmärsche tatsächlich der Haupt­grund für die weitreichenden Beschneidungen des Demonstrationsrechts sind. Schließlich kommen im Süden der Republik sogar ex­plizit gegen Nazi-Symbole erlassene Gesetze gegen Antifaschisten zum Einsatz (Jungle World 16/06). Ein Stuttgarter Landgericht gab 2006 einem eifrigen Staatsanwalt Recht und verurteilte durchgestrichene und zertrümmerte Hakenkreuze als verfassungsfeindlich. Führende Politiker der CSU demonstrierten im Jahr 1997 in München ge­meinsam mit Tausenden von militanten alten und jungen Nazis gegen die Wehrmachtsausstellung. Und die baden-württembergische CDU machte den NS-Richter Hans Filbinger in den siebziger Jahren zum Ministerpräsidenten, seine Gesinnungsgenossen und Parteifreunde unterhalten nach wie vor das »Studienzentrum Weikers­heim« als Think-Tank der Neuen Rechten. Gegen Rechtsextremismus äußert man sich hier nur, wenn es den eigenen Zielen dient.

Dass das bayerische Versammlungsgesetz und in Zukunft vermutlich auch das baden-württembergische Pendant gegen die Landesverfassung und das Grundgesetz verstoßen, nehmen die Urheber in Kauf. Die Christdemokraten schaffen mit ihren Entwürfen die Grundlage für die Ver­hand­lungen mit anderen Parteien und unter den Verfassungsrichtern. Mit Maximalforderungen entsteht Spielraum für Kompromisse.
Die Gewerkschaft der Polizei fordert bereits eine einheitliche Regelung und dem werden sich auch die von der SPD regierten Länder wohl nicht dauerhaft entziehen können. Obwohl das Versammlungsgesetz erst vor zwei Jahren mit der Föderalismusreform zur Ländersache erklärt wurde, könnte auf diesem Weg ein neues Ver­samm­lungsrecht für die gesamte Republik entstehen. Um sich in den Verhandlungen als Hüterin der Bürgerrechte zu profilieren, kann die SPD dann einzelne Punkte entschärfen. An der wesentlichen Neuerung wird sie aber kaum rütteln: Die Polizei kann entscheiden, welche Demonstration stattfindet und welche nicht.
Entsprechend bestimmt auch die Exekutive, wann sie sich zum ersten Mal von einer Demonstration eingeschüchtert fühlt. Bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar könnte es soweit sein oder auch bei den Protesten gegen den Nato-Gipfel in Strasbourg, die für April in Baden-Württemberg angekündigt sind.