In Nordrhein-Westfalen arbeitet die Bundeswehr mit den Schulen zusammen

Antreten zum Unterricht

Die Bundeswehr braucht Nachwuchs. Deshalb arbeitet sie nun noch enger mit dem Schulministerium in Nordrhein-Westfalen zusammen.

Sie freue sich sehr, dass die ohnehin schon »gute Zusammenarbeit« ihres Hauses mit der Bundeswehr nun durch eine förmliche »Kooperationsvereinbarung« weiter gefestigt werde, sagte die nordrhein-westfälische Ministerin für Schule und Weiterbildung, Barbara Sommer (CDU), Ende Oktober in Düsseldorf. Auch ihr Kooperationspartner, der Befehlshaber im Wehrbereich II, Generalmajor Bernd Diepenhorst, freute sich: ­Seiner Ansicht nach führt das bislang einzigar­tige Abkommen zu einer deutlichen Verbesserung der »politischen Bildung« an den Schulen des Bundeslandes.
Die Vereinbarung, die das Landesministerium und die Bundeswehr getroffen haben, sieht folgen­des vor: Die so genannten Jugendoffiziere der Bundeswehr sollen nicht nur wie bisher regelmäßig die Schulen in Nordrhein-Westfalen besuchen und dort – beispielsweise im Gemeinschafts­kundeunterricht – »Informationsveranstaltungen« abhalten, sondern werden außerdem in die »Aus- und Fortbildung« von Lehrern und Referendaren »eingebunden«.
Lehrkräfte erhalten ebenso wie die Angehörigen der Schulverwaltung Gelegenheit, Kasernen und andere Einrichtungen der Bundeswehr zu besichtigen und an den dort angebotenen »Semi­naren zur Sicherheitspolitik« teilzunehmen. Wie das Schulministerium weiter schreibt, wird die Einhaltung der Kooperationsvereinbarung in »regelmäßigen Gesprächen der Jugendoffiziere mit den Schulabteilungsleiterinnen und -leitern der Bezirksregierungen« überprüft.

Die Jugendoffiziere, vom Bundesverteidigungsministerium als »in Europa und der Welt einmalige Einrichtung in einer Armee« bezeichnet, haben seit nunmehr 50 Jahren die Aufgabe, insbesondere Schüler von der Notwendigkeit des Bestehens und des Einsatzes deutscher Streitkräfte zu überzeugen. Ihr »Jahresbericht 2007« hebt hervor, dass sie »für die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen vielfach der erste Berührungspunkt mit der Bundeswehr und sicherheitspolitischen Themen sind«. Dies versetze die Jugendoffiziere in die Lage, so heißt es weiter, »unmittelbar und ungefiltert Meinungen und Sichtweisen der Jugendlichen« in Erfahrung zu bringen, was diese »zu wichtigen und unverzicht­baren Quellen« für die wissenschaftliche Forschung und die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr mache.
Referendare gelten den Jugendoffizieren dem »Jahresbericht« zufolge als »Schlüsselzielgruppe«. Aus den mit den zukünftigen Lehrern ge­knüpf­ten »frühen Kontakten« entstünden oftmals »dau­erhafte Verbindungen und Einladungen zu Schul­besuchen«. Schüler, die zu einer solchen Gelegenheit Interesse an einer Berufskarriere in der Bundeswehr bekunden, werden von den ­Jugendoffizieren an die »Wehrdienstberater« der Kreiswehrersatzämter weitervermittelt.
Das nach eigener Aussage wichtigste »Instrument« der Jugendoffiziere, Schüler zu ködern, ist das Simulationsspiel »Pol & Is« (Politik & Inter­nationale Sicherheit). Mehrere elfte Klassen nord­rhein-westfälischer Gymnasien spielten es Ende Oktober drei Tage lang im Düsseldorfer Landtag, bevor im Anschluss die »Kooperationsvereinbarung« zwischen dem Schulministerium und der Bundeswehr unterzeichnet wurde.
In »Pol & Is« übernehmen die Spieler die Rollen von Staatsoberhäuptern einer in elf »Regionen« unterteilten Welt – West- und Osteuropa, Nord- und Südamerika, Ozeanien, Asien, Japan, China, Afrika, Arabien und Russland – und ergreifen die Maßnahmen, die notwendig sind, um ihre poli­tischen Ziele zu erreichen. Dem Bundesverteidigungsministerium zufolge soll den Spielern auf diese Weise vermittelt werden, »warum Staaten Konflikte austragen« und »warum Ressourcenknappheit einen Staat ruinieren kann«. Ein 17-jäh­riger Schüler aus Hamburg, der im Februar in der Bremer Scharnhorst-Kaserne unter der Anleitung von Jugendoffizieren »Pol & Is« spielte, be­schrieb seine Rolle wie folgt: »Ich bin Regierungschef von Asien. Asien hat eine sehr große Bevölkerung. Wir haben zurzeit Guerilla im Land und probieren, sie zu bekämpfen.«

An Lehrer und Referendare ebenso wie an die Angehörigen des Bundeselternrats richten sich die von Jugendoffizieren betreuten »sicherheitspolitischen Seminare« der Bundeswehr. Insbeson­dere Pädagogen werden vom Bundesverteidigungsministerium als »Multiplikatoren« militärpolitischer Propaganda eingestuft und sollen darauf vorbereitet werden, die gesellschaftliche Diskussion über den »Umbau« der Bundeswehr zur weltweit eingesetzten Interventions- und Besatzungsarmee »aktiv mitzugestalten«. Als Gegen­leistung erhalten sie während eines mehrtägigen Aufenthalts in Berlin exklusiven Zugang zu Vertretern der deutschen Ministerialbürokratie und zum Einsatzführungskommando der Bundes­wehr in Potsdam, das für Militäroperationen im Ausland zuständig ist.
Ausgebildet werden die Jugendoffiziere an der »Akademie für Information und Kommunikation« der Bundeswehr (AIK) in Strausberg bei Berlin, der Nachfolgeeinrichtung der »Schule für Psycho­logische Kampfführung/Verteidigung« im nordrhein-westfälischen Waldbröl. Von den Bewerbern werden ein »offenes« und »sympathisches« Auftreten, ein abgeschlossenes Universitätsstudium und »militärische Führungserfahrung, möglichst auch im Auslandseinsatz« gefordert.
Nach einem mehrwöchigen Lehrgang, in dem sie in die »Grundzüge der Sicherheitspolitik« eingeführt und über ihre zukünftige, vorrangige »Zielgruppe« informiert werden, erhalten sie ein »Kommunikationstraining«, das sie in die Lage versetzen soll, 14- bis 18jährige altersgerecht anzu­sprechen. Den Abschluss der Ausbildung bildet nach Angaben des Verteidigungsministeriums eine »praktische Übung«: »Dazu wird eine Schulklasse nach Strausberg eingeladen. Die angehenden Jugendoffiziere trainieren mit den Schülern Diskussion und Vortrag und erproben dabei ihre frisch erlernten Fähigkeiten.« Ihrem »Jahres­bericht« zufolge führten die insgesamt 94 hauptamtlichen und 300 nebenamtlichen Jugendoffiziere im vergangenen Jahr etwa 8 000 Veranstaltungen durch und erreichten mit ihnen mehr als 190 000 Menschen aller Altersgruppen.

Geschaffen wurde die Truppe 1958 auf Befehl des ersten Generalinspekteurs der Bundeswehr, Adolf Heusinger, mit dem erklärten Ziel, die Vorbehalte in der westdeutschen Bevölkerung gegen eine Re­militarisierung durch »intensive Öffentlichkeitsarbeit« auszuräumen. Heusinger, der Adolf Hitler bereits 1923 als »von Gott gesendeten Mann« bezeichnet hatte, wurde 1940 Chef der Operationsabteilung des Generalstabs des Heeres und war an der Vorbereitung sämtlicher Kriegshandlungen des NS-Regimes beteiligt. Von ihm stammen die barbarischen »Richtlinien für die Bandenbekämp­fung«, an denen sich die »Jagdkommandos« der Wehrmacht in ihrem Vernichtungskrieg gegen der Partisanentätigkeit verdächtigte Zivilisten in den von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten orientierten. Der antifaschistische Widerstandskämpfer Lorenz Knorr gelangte deshalb zu folgender Einschätzung: »Was Heusinger zu verantworten hat, ist mehr als Mas­senmord, es ist ein Fall von Genozid.«