Das so genannte Konjunkturprogramm der Bundesregierung

Konjunktur im Konjunktiv

Die Bundesregierung sagt, sie habe ein Kon­junkturprogramm aufgelegt. Doch es stärkt nicht die Nachfrage. Die Staats­intervention ist eine Form des praktizierten Antisozialismus.

Der bürgerliche Staat macht seine Arbeit. Er garan­tiert die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, insbesondere auch während der Krise. Gammelzertifikate aufzukaufen und sich befristet an Pleitebanken zu beteiligen, ist kein Akt zur Vergesellschaftung von Profiten. Das Gegenteil ist gewollt. In den USA hat man sich keine Mühe gemacht, dies zu kaschieren. Dort ist es den Banken, die das »Rettungspaket« in Anspruch nehmen, gleichzeitig erlaubt, Dividenden an die Aktionäre auszuzahlen.

Aber man braucht nicht mit dem Finger auf die USA zu zeigen. Auch in Deutschland entpuppt sich die Staatsintervention in Anbetracht der ungebrochenen Machtverhältnisse als praktizierter Antisozialismus. Allerdings war man hierzulande so pietätvoll, keine direkte Privatisierung öffentlicher Gelder über Dividendenzahlungen zu ermöglichen.
Ein Blick auf das Detail lohnt sich dennoch: So soll die Commerzbank aus dem staatlichen Son­derfonds Finanzmarktstabilität (Soffin) 8,2 Milliarden Euro Eigenkapital in Form einer stillen Ein­lage erhalten. Dabei wird der Bund kein Aktionär, die Eigentümerstruktur der Bank bleibt unverändert. Das bedeutet, dass der Staat keinen direkten Einfluss auf die Geschäftspolitik durch einen Vertreter im Aufsichtsrat erhält. Trotzdem soll die anleihenähnliche Einlage mit lediglich sieben Prozent verzinst werden. Das liegt weit unter dem Marktniveau und ist niedriger als die Zinssätze, die andere europäische Banken an ihre Regierungen für ähnliche Hilfen zahlen müssen.
Dieses günstige Eigenkapital-Tuning hilft nebenher auch dabei, dass die Fusion zwischen der Commerzbank und der Dresdner Bank wie geplant ablaufen kann. Kurzfristig werden die Gewinne erst einmal sinken. Das ist aber nicht so schlimm, die Commerzbank darf wegen der staat­lichen Hilfe für zwei Jahre ohnehin keine Dividenden auszahlen. Danach aber können die zusätzlichen Profite aus der Fusion ungehindert aus­geschüttet werden. Der Vorstandsvorsitzende Martin Blessing fand angesichts der staatlichen Zuwendung warme Worte: »Wir haben uns verantwortungsvoll Gedanken darüber gemacht, was im Sinne unserer Kunden und Aktionäre zu tun ist. Die Politik hat in der Krise schnell, mutig und kraftvoll reagiert. Und deshalb sollten wir uns dafür auch mal bedanken.« Der Kurs der Commerz­bankaktie stieg am Tag, an dem die Details der Inanspruchnahme des Hilfsfonds verkündet wur­den, um bis zu 12,5 Prozent. Kein Wunder, dass nun mit dem Automobilsektor die nächste Branche die Hände aufhält.

Den gigantischen »Rettungspaketen« zum Trotz hat sich die Finanzkrise gemäß der Prognose des IWF zu einer nahenden Weltwirtschaftsrezession ausgeweitet. Es ist bereits die zweite Phase der Krise eingetreten, eine Situation, die von dem eng­lischen Ökonomen John Maynard Keynes als »Investitionsfalle« beschrieben wurde. Zwar können die Zentralbanken durch in den Markt gepumpte Liquidität den Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern, nicht aber den zugleich stattfindenden, starken Rückgang der Weltkonjunktur. Der Grund ist folgender: Wenn die Unternehmen erwarten, ihre Güter und Dienstleistungen nicht absetzen zu können, brauchen sie keinen Kredit, um sie herzustellen – egal wie billig er ist.
Da weder Welthandel, Konsum oder private Investitionen an diesem Zustand derzeit etwas ändern können, bleiben nur staatliche Konjunkturprogramme, um aus diesem negativen Kreislauf auszubrechen. Deshalb müssen die staatlichen Maßnahmen dazu dienen, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu steigern.
Die Bundesregierung tritt gegen den »Jahrhundert-Kredit-Tsunami« (Alan Greenspan) mit 50 Milliarden Euro und einem kleinen »16-Punkte-Programm« an, das sie als »punktgenaue« Konjunkturwunderwaffe verkauft. Denn, so sagten Wirtschaftsminister Michael Glos und Finanzminister Peer Steinbrück, anstatt des Mottos »Viel hilft viel« gelte: »Wer rasch hilft, hilft doppelt.« Mit 15 Milliarden Euro soll die Kreditversorgung mittelständischer Unternehmen sichergestellt werden. Das hilft jedoch nicht doppelt, sondern gar nicht, denn die Summe stellt vielmehr eine staatliche Hilfe zur Verbesserung der Angebotsbedingungen dar und ist gegen die Investitionsfalle unwirksam. Das Gleiche gilt für verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen und die Aufstockung von Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationskrediten der Europäischen Investitionsbank, ebenso wie für die Erhöhung des Beteiligungskapitals an »jungen und innova­tiven Firmen«.
Um die Nachfrage zu steigern, sind nur die zusätzlichen Ausgaben für die kommunale Infrastruktur und die Verkehrswege von 1,5 bis drei Milliarden sowie die »ABM-Maßnahme« für 1 000 zusätzliche »Vermittler« in den Jobcentern von 50 Millionen Euro unmittelbar wirksam.
Ob die weiteren Maßnahmen aus dem 16-Punkte-Katalog die Nachfrage steigern, ist unklar: Zu diesen gehören die Verdopplung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksrechnungen, die drei Milliarden Euro für die Gebäudesanierung, die Verlängerung der Bezugsdauer von Kurzarbei­tergeld und die Befreiung von der Kfz-Steuer bei dem Kauf eines neuen Autos.

Zur Hilfe in beinahe homöopathischer Dosis wird das Unterfangen dadurch, dass 80 Prozent der Mittel des gesamten Konjunkturprogramms in Vorhaben fließen, die ohnehin vollzogen worden wären. Hinter dieser vermeintlichen Sinn­losig­keit steckt Methode. Finanzminister Steinbrück meint: »Ich kann mit öffentlichen Konjunkturprogrammen nicht gegen den Trend anfinanzieren.« Eine staatliche Stimulierung der Nachfrage will er sich sparen. Die Bundesregierung setzt stattdessen darauf, dass solche Maßnahmen in anderen Länder ergriffen werden und Deutschland von der Wachstumsförderung im Ausland durch seinen ausgeprägten Exportsektor umsonst profitieren kann. So lässt sich auch Merkels Ablehnung eines europäisch oder international abgesprochenen, gemeinsamen fiskalpolitischen Eingriffs erklären.
Die Bundesregierung führt ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik fort, die auf Kosten der eigenen Binnennachfrage eine Steigerung der Export­über­schüsse zum Ziel hat. Durch diese ungebrochene Kontinuität verschärft Deutschland in der Krise die weltweiten Ungleichgewichte in den Handels­bilanzen.
Eine Bestätigung erhält diese These, wenn man das deutsche Konjunkturprogramm mit dem chinesischen vergleicht. Dieses soll dem chinesischen Ministerpräsidenten zufolge zielgerichtet die Einkommen und den Konsum im Land stärken und hat einen Umfang von 575 Milliarden Dollar. Da die Bruttoinlandsprodukte in China und Deutschland in Dollar annährend gleich hoch sind, hat das chinesische Konjunkturprogramm ein zehnmal größeres Gewicht. Es wurde deshalb vom IWF umgehend begrüßt.

Ebenso wie die gegenwärtigen Staatsinterventionen keine Anzeichen dafür sind, dass sich die Regierungen zu Verfechtern des Sozialismus gewandelt haben, ist auch das deutsche »Konjunkturprogramm« nicht Ausdruck einer nachfrage­orientierten Wirtschaftspolitik. Ob eine solche aus linker Sicht begrüßenswert wäre, kann man nicht per se beantworten. Allerdings wäre mit einer keynesianischen Politik die Verteilung von oben nach unten möglich. Wer stattdessen den Reparaturversuch in der Überakkumulationskrise ablehnt und auf die Verschärfung der Zustände setzt, der sollte sich vergegenwärtigen, dass Marx zur Überwindung des Kapitalismus zumindest eine organisierte Arbeiterschaft voraussetzte. Die Wirtschaftskrise bietet ohne veränderte Macht­strukturen keine Gelegenheit, den Sozialismus des 21. Jahrhunderts einzuführen.

Geändert: 26. November 2008