Stürme über Kuba

La Paloma ade

Die Hurrikansaison neigt sich dem Ende zu. Über Kuba zogen drei Stürme hinweg, es gab wenige Todesopfer, doch die ökonomischen Schäden hätten kaum schlimmer ausfallen können.

Etwa 8 000 Häuser wurden beschädigt, rund 800 davon schwer, das ist die vorläufige Bilanz von »Paloma«, dem dritten Hurrikan, der seit Ende August über Kuba fegte. Auf knapp zehn Milliarden Dollar beliefen sich die Gesamtschäden, sagte Staatschef Raúl Castro dem kubanischen Fern­sehen. »Ein harter Schlag für das Land inmitten der globalen Finanzkrise«, meinte er. Er war Mitte vergangener Woche in der Region unterwegs, um sich persönlich ein Bild der Lage in den im Zentrum Kubas gelegenen Regionen zu machen.
»Paloma«, ein Hurrikan der Kategorie vier, traf mit Windgeschwindigkeiten bis 200 Stunden­kilometer auf die Insel, schwächte sich dann jedoch merklich ab und richtete nur in drei Gemein­den der Provinzen Camagüey und Las Tunas schwe­re Schäden an. Ein ähnliches Schicksal wie Holguín, Pinar del Río und der Isla de la Juventud blieb den Regionen somit erspart. Dort hatten Ende August und Anfang September die beiden Wirbelstürme »Gustav« und »Ike« große Gebiete verwüstet.

Auf über neun Milliarden Dollar hatte die kuba­nische Regierung die durch die Stürme enstande­nen Schäden Anfang November taxiert und da­mit Einschätzungen internationaler Entwicklungs­helfer bestätigt. Die hatten bereits Anfang September das Ausmaß der Schäden auf etwa zehn Milliarden Dollar beziffert. »Das sind annähernd 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das ist ver­gleichbar mit einem Schadensvolumen von 400 Milliarden Dollar in Deutschland«, sagt Richard Haep, der Büroleiter der Welthungerhilfe in Havanna. Insgesamt wurden mehr als 400 000 Woh­nungen zerstört, drei Millionen Menschen mussten zeitweise evakuiert werden. Allein der guten Arbeit des kubanischen Katastrophenschutzes ist es zu verdanken, dass nur wenige Todesopfer zu beklagen waren – anders als in Haiti, wo allein während des Hurrikans »Hanna« 500 Menschen starben – und der Wiederaufbau relativ schnell begann.
Doch gut zwei Monate nach dem ersten Hurrikan sind die staatlichen Depots mehr oder min­der leer. Die eiserne Reserve ist verbraucht, und der Wiederaufbau in Pinar del Río, Holguín und auf der Isla de la Juventud muss mit Mitteln aus der laufenden Produktion bestritten werden, berichten internationale Entwicklungsexperten in Havanna. Auch bei der Versorgung mit Lebensmitteln sieht es immer schlechter aus, denn der Nachschub vom Land in die Städte ist merklich ins Stocken geraten. Leere auf den Bauernmärkten der kubanischen Hauptstadt ist die direkte Folge.

Auf diesen staatlich kontrollierten Märkten können die Bauern ihre Produkte direkt an die Konsu­menten verkaufen. »Es gibt derzeit nur etwas Knoblauch und Süßkartoffeln, sonst ist auf den Bauernmärkten Havannas kaum etwas zu holen«, ärgert sich Miriam Cardenas. So wie ihr geht es vielen Hausfrauen, und Enrique Cardona, ein Verkäufer, der auf einem Bauernmarkt in Havannas Altstadt seine Waren anbietet, knurrt auf die Frage, weshalb die Ananas so teuer sei: »Wenn die Polizei ihre Finger aus dem Markt lassen würde, gäbe es auch mehr, und es wäre billiger.«
Eine typische Antwort, denn Bauern wie Trans­porteure sind sauer auf die Regierung, die direkt nach den ersten beiden Wirbelstürmen die Preise gedeckelt hat. »Gleichzeitig wurde jedoch der Preis für Treibstoff, Diesel wie Benzin, um 65 Prozent angehoben und Bauern und Transporteuren de facto verwehrt, die Preiserhöhungen weiterzugeben«, erklärt Cardona. Als dann auch noch die Polizei begann, die LKW zu kontrollieren, und in zwei Fällen die Ladung beschlagnahmte, war es mit der Geduld der Bauern vorbei. »Einige Bauern haben sich schlicht geweigert, ihre Waren zu den staatlich festgelegten Preisen zu verkaufen, und sie lieber verschenkt. Andere haben die Belieferung der staatlichen Ankäufer zu den derzeitigen Konditionen schlicht eingestellt«, erklärt ein kubanischer Agrarspezialist, der lieber anonym bleiben möchte.
Das ist der eigentliche Grund für das knappe Angebot, denn obgleich erhebliche Ernteausfälle durch die Wirbelstürme verursacht wurden, ist die Landwirtschaft der Insel schließlich nicht flächendeckend geschädigt worden. Gut 40 der insgesamt 169 kubanischen Gemeinden haben mit Ernteausfällen zu kämpfen, aber die Versorgung mit Gemüse, Obst und anderen Agrarprodukten ist landesweit miserabel – ob in Trinidad, Santa Clara, Cardenas oder Havanna. Selbst in den Hotels von Varadero oder den luxuriösen Ferien­einrichtungen auf den vorgelagerten Inseln wie dem Cayo Santa María müssen sich Besucher zum Frühstück mit einem »No hay« (»Gibt es nicht«) abspeisen lassen, wenn sie nach Früchten fragen. Für ein tropisches Land mit ausgedehnten Obstplantagen ein Armutszeugnis.
Das wissen auch die Verantwortlichen in Havanna, und Staatschef Raúl Castro lässt genauso wie sein Stellvertreter José Ramón Machado Ventura kaum eine Chance aus, darauf hinzuweisen, dass man »härter arbeiten« müsse. In Kuba inter­essiert das jedoch die allermeisten herzlich wenig. Gerade 250 Peso cubano, kaum acht Euro, pro Monat verdient Mariano Hernández, ein Traktorist aus der Genossenschaft Luís Lara in der Nähe von Trinidad. »Wir sind auf den Anbau von Kaffee spezialisiert, doch bei uns kommen kaum Düngemittel, Diesel oder Kaffee­säcke an«, klagt der 43jährige Bauer. Mit seinem Lohn kommt er kaum über die Runden, und wenn sein Vater, der ein eigenes Stück Land bestellt, ihm nicht helfen würde, könnte er seine Familie kaum ernähren.

»Kuba ist ein Land mit zwei Währungen, und immer mehr Produkte gibt es nur noch für den Peso convertible, wie soll ich mir die leisten?« fragt Hernández. »Für uns Kubaner spielt es doch keine Rolle, ob man sich einen Mietwagen leihen kann oder nicht – leisten kann ich es mir doch eh nicht«, sagt er schulterzuckend und tut damit eine der Reformen Raúl Castros, die im Ausland viel Beachtung fanden, als wenig relevant ab.
Doch auch das Interesse an der Vergabe von Staatsland an private Bauern, eine weitere Reform­maßnahme, ist nicht sonderlich groß in den Dörfern nahe Trinidad. »Der Staat leiht das Land nur aus. Dabei hat der Bauer keinerlei Rechte, allerdings viele Pflichten«, klagt Hernández. Er hat kein Interesse, ein Stück des fast zwei Mil­lionen Hektar umfassenden staatlichen Brachlandes zu bestellen, das verteilt werden soll. Ähnlich denken viele Bauern in Kuba. Das Desinteresse wird auch von kubanischen Agrarexperten bestätigt. »Die Reform ist ein Schlag ins Wasser, denn sie ist hochbürokratisch und eher kontraproduktiv«, ist am Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft (CEEC) in Havanna zu hören.
Daher prognostizieren die Experten eine weiter sinkende Produktivität der Landwirtschaft und steigenden Bedarf, was den Import von Lebensmitteln angeht. Das war auch auf der Messe von Havanna Anfang November zu beobachten. Dort meldeten Lebensmittellieferanten vor allem aus den USA wieder einmal Lieferaufträge im Wert von etlichen Millionen US-Dollar – ein Zeichen für die desolate Situation in Kubas Landwirtschaft, die durch die Hurrikans noch verschärft wird.