Interview mit Yossi Melman über das iranische Atomprogramm, die Haltung Israels und Obamas Strategie

»Dem Iran darf nicht getraut werden«

Der Autor und Journalist Yossi Melman berichtet für die israelische Tageszeitung Haaretz über den Iran. Als Spezialist für Geheimdienste und strategische Angelegenheiten hat er diverse Bücher verfasst, darunter die »Geschichte des Mossad«. Gemeinsam mit Meir Javedanfar veröffentlichte er dieses Jahr das Buch »The Nuclear Sphinx of Tehran: Mahmud Ahmadinejad and the State of Iran«, das sich mit dem iranischen Atomprogramm beschäftigt.

Der Krieg im Irak wurde mit Geheimdienstberichten über Massenvernichtungswaffen begründet, die dann nirgends zu finden waren. Sehen Sie darin eine Parallele zum aktuellen Konflikt um das vom Iran ständig bestrittene militärische Atomprogramm?

Die Situation ist eine völlig andere. Der Iran wurde immer wieder beim Belügen und Betrügen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ertappt, gegenüber der er als langjähriger Mitgliedsstaat und Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags zu umfassenden Auskünften verpflichtet ist. Alle nuklearen Aktivitäten müssen der Behörde gemeldet werden. Der Iran hat ab 1983 im Geheimen 18 Jahre lang Uran und Technologie importiert, 2002 wurden dann Atomanlagen in Natanz und Arak von den oppositionellen Volksmujahedin aufgedeckt. Der Iran hat auch dann immer wieder gelogen: Nein, da ist keine Fabrik. Ok, es ist eine Fabrik, aber wir stellen dort nur elektrische Uhren her. Ja, wir reichern Uran an, aber nur für friedliche Zwecke.
Es ist klar, dass dem Iran nicht getraut werden darf, da er dabei ist, den ganzen nuklearen Kreislauf vom Uranabbau bis zur Anreicherung zu beherrschen und die Technologie zum Bau einer Bombe zu entwickeln.

Was halten Sie von den Berichten der New York Times und der Süddeutschen Zeitung, die behaupten, der Iran sei kurz davor, über alles Notwendige zum Bau einer Bombe zu verfügen?

Der Report der New York Times war ein wenig demagogisch, denn der Iran hat zwar in Natanz nach Angaben der IAEA 630 Kilogramm an niedrig angereichertem Uran produziert, aber da­mit kann man noch keine Bombe bauen. Theoretisch könnte man daraus 25 Kilo hoch angereichertes, waffenfähiges Uran produzieren, aber dafür müss­te man die Anlagen erkennbar umbauen, oder aber geheime Anlagen betreiben. Letzteres ist sehr wahrscheinlich, und womöglich haben sie sogar schon genug waffenfähiges Uran, aber selbst dann muss immer noch eine Bombe mit Zündmechanismus und ähnlichem entwickelt werden. In der entsprechenden Debatte unter den Geheimdiensten schlagen die Israelis die alarmistisch­sten Töne an. Sie glauben, dass der Iran nächstes Jahr eine Bombe bauen kann, die CIA gibt dafür den Zeitraum zwischen 2010 und 2015 an, da es noch viele technische Probleme gebe, die Einschät­zungen des BND liegen irgendwo dazwischen. Ich selbst glaube nicht, dass der Iran schon unmittelbar vor dem Bau einer Bombe ist, aber er ist schon sehr nahe dran. Der Iran will die Bombe, keine Nation wäre sonst bereit, den hohen Preis von Sanktionen und internationaler Isolation zu bezahlen. Zudem wurde dem Iran immer wieder internationale Hilfe für die kontrollierte nukleare Energiegewinnung angeboten.

Auf welche Quellen stützen Sie Ihre Einschätzungen?

Zum einen gibt es die Geheimdiensterkenntnisse nicht nur des Mossad und der CIA, sondern auch der europäischen Länder. Die Anstrengungen und die Kooperation der Geheimdienste haben nach den Anschlägen des 11. September stark zugenommen. Dann gibt es die Berichte der IAEA, die eine große Menge an Informationen enthalten, wenn man darin zwischen den Zeilen liest, denn sie sind in einer sehr eigenartigen, indirekten Sprache geschrieben. Und drittens die Analysen von Atomexperten, die es genau wissen, denn im Bereich der Atomtechnologie gibt es einen sehr eindeutigen Zusammenhang zwischen tech­nologischen Schritten und den damit verfolgten Zielen.

Warum will der Iran die Bombe?

Die Motive sind sehr komplex. Nationalstolz spielt eine große Rolle, Hegemoniestreben am Persischen Golf, wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt, politische und militärische Stärke durch den Status einer Nuklearmacht. Außerdem ist der Iran sehr paranoid, und das mit einer gewissen Berechtigung. Das Land wurde in seiner Geschichte immer wieder bedroht und besetzt, von Russland, Großbritannien, dem Irak, und nun ist es von amerikanischen Truppen im Irak und Afghanistan umgeben. Ahmadinejad wird die Bombe vermutlich nicht einsetzen. Aber kann ich ihm wirklich trauen? Als Israeli und Jude kann ich die Einschätzung nicht teilen, dass das Regime die Bombe wahrscheinlich nicht einsetzen wird, denn ich kann nicht darüber weghören, was das Regime verlautbart.

Sie verweisen immer wieder auf die Gültigkeit der Begin-Doktrin, Israel werde keinem seiner Feinde erlauben, zur Atommacht zu werden. Wenn der Iran auf dem Weg dahin ist, steht dann ein Krieg kurz bevor?

Nein, so einfach ist es nicht. Für Israel ist die Entscheidung über einen Angriff von existenzieller Bedeutung. Deswegen wird die Regierung genau abwägen, ob sie mit der guten, aber kleinen israelischen Luftwaffe überhaupt dazu in der Lage ist und was die Resultate eines solchen Angriffs wären. Wenn das Atomprogramm dadurch nur um wenige Monate zurückgeworfen würde, wäre es den Preis eines Krieges nicht wert. Wenn es sich um mehrere Jahre handeln würde, vielleicht schon.

Was wäre der Preis?

Der Preis wären mögliche Kollateralschäden etwa durch die Bombardierung der Atomanlagen in Isfahan, die zur Verseuchung der Bevölkerung füh­ren könnte, was den Israelis schwer angelastet werden würde. Der Iran könnte die Straße von Hor­mus schließen, der Ölpreis würde steigen, und man würde Israel für eine globale Wirtschaftskri­se verantwortlich machen. Aber der ultimative Imperativ für Israel ist, seine Beziehung zu den USA nicht zu gefährden. Ohne mindestens die stillschweigende Akzeptanz der USA wird Israel nicht angreifen. Und ganz gewiss nicht in der derzeitigen Phase des Machtwechsels in den USA, wie oft vermutet wird. Israel weiß, dass Obama zuerst einen Dialog mit dem Iran versuchen will. Dann wird es im Februar Wahlen in Israel und im Mai im Iran geben, die neuen Regierungen wer­den Zeit für Verhandlungen und ihre politische Orientierung benötigen. Dies ist die politische Zeit­leiste, dazu gibt es noch die technologische, den Fortschritt des Atomprogramms. Beide werden sich gegen Ende 2009 annähern, dann wird Israel sich entscheiden. Ein Krieg steht also nicht kurz bevor, es sei denn, Obama entscheidet sich für einen Angriff oder gibt Israel freie Hand.

Wie schätzen Sie die Erfolgschancen der von Obama angekündigten Verhandlungen mit der iranischen Regierung ein?

Ich weiß es nicht, doch mein Gefühl sagt mir, dass Obama damit gegen eine Wand rennen wird. Es ist aber sehr schwer, die iranischen Machthaber einzuschätzen, und niemand weiß, wie sie sich angesichts einer ernsten Drohung verhalten wür­den, wie ihre Reaktion angesichts eines zweiwöchigen Ultimatums – entweder ihr stoppt das Atom­programm, oder wir bombardieren euch – wäre.

Was halten Sie von dem Argument, dass der Konflikt mit dem Iran nur im Rahmen eines neuen Systems der Rüstungskontrolle und vor allem durch allgemeine nukleare Abrüstung gelöst werden kann, die auch Israel einschließen müsste?

Ich glaube, damit würde man praktisch einer Erpressung nachgeben. Israel hat kein Land und keine Bevölkerung jemals mit Nuklearwaffen bedroht. Wenn Israel nuklear abrüsten sollte, müss­ten auch die arabischen Staaten ihre chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen abbauen. Israel ist nicht gegen eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten, aber dazu bräuchte es umfassende Friedens- und Sicherheitsabkommen. Israel ist die einzige Nation, die konstant bedroht wird, und der Kern des Problems ist die Weigerung der Ajatollahs in Teheran und vieler Araber, Israels Existenz anzuerkennen und mit vernünftigen Forderungen in Verhandlungen zu treten.

Sie leben in Tel Aviv. Wie reagiert man dort auf die Nachrichten über die iranische Atombombe?

Die Israelis machen sich nicht so viele Sorgen über einen nuklearen Iran. Sie sind wie derzeit überall auf der Welt eher mit den unmittelbaren und alltäglichen Auswirkungen der Wirtschaftskrise beschäftigt oder dem Konflikt mit Gaza und den Palästinensern. Hingegen haben für das Militär, die Geheimdienste und die politische Führung die Fragen, was der Iran macht und wie er gestoppt werden kann, höchste Priorität.