Italiens Partito Democratico auf der Suche nach der Mitte

Auf der Suche nach der verlorenen Mitte

Die italienische Sozialdemokratie findet ihre Mitte nicht. Bei der Suche nach einem neuen Profil landet sie rechts.

Vor der Abreise zum internationalen Finanzgipfel der G 20 in Washington Mitte November haderte Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi mit dem Schicksal seines Landes: »Wir haben nicht das Glück, eine sozialdemokratische Opposition zu haben.« Während angesichts der Finanzkrise in anderen Ländern die nationale Einheit beschwo­ren werde, müsse seine Regierung die zur Stabilisierung der Wirtschaft notwendig gewordenen Interventionen eigenverantwortlich beschließen.

Der Mitte-Rechts-Koalition kam tatsächlich die Aufgabe zu, ihre bisher streng wirtschaftsliberale Politik um einige sozialdemokratische Grundprinzipien zu erweitern. Wirtschaftsminister Giu­lio Tremonti nahm die Herausforderung an, präsentierte sich Ende November als »typischer Sozialdemokrat« und nannte das von ihm vorgestellte Hilfsprogramm »einen echten keynesianischen Plan«. Das »Krisenpaket« der italienischen Regierung umfasst insgesamt knapp 80 Milliarden Euro. Mit dieser Summe sollen vor allem Steu­ersenkungen für Unternehmen, Bonuszahlungen für Familien und Rentner sowie Konjunkturprogramme zur Beförderung der Infrastruktur finanziert werden.
Der Vorwurf der Regierung, Italiens größte Oppositionspartei, der Partito Democratico (PD), sorge sich nicht um das nationale Wohl, ist allerdings nicht gerechtfertigt. Seit Wochen malträtiert der PD seine Anhänger mit dem patriotischen Aufruf »Rette Italien«. In diesem wird postuliert, dass das Land sich eher vor den Machenschaften des Regierungschefs als vor den Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise fürchten müsse. Dabei wird das »Krisenpaket« der Regierung vom PD nicht grundsätzlich kritisiert. Dessen Vorsitzender Walter Veltroni mokierte sich vornehmlich über die fehlende parlamentarische Debatte, während der wirtschaftspolitische Sprecher Pier Luigi Bersani alles schon vorher und viel besser gewusst haben will. Da er der Regierung vorwirft, die Krise zu unterschätzen, hält er die zur Verfügung gestellten Ressourcen für zu gering und deren Verteilung für falsch gewichtet. Doch ist die mit dieser Kritik verbundene Forderung nach einer kurzfristigen Aufstockung der Staatsverschuldung keine genuin sozialdemokratische. Schon längst haben Berlusconis kon­servative Amtskollegen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel die Änderung der Maastrichter Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts der EU gefordert. Dabei überlassen die italienischen Demokraten den Konservativen allerdings das geflügelte Wort vom »neuen Keynesianismus« . Auf der Homepage des PD kann man sogar nachlesen, dass »es falsch wäre, zum keynesianischen Interventionismus zurückzukehren«.

Berlusconis im Stile der frühen fünfziger Jahre vor­getragene antikommunistische Hetze gegen »die Linke« ist zwar nicht neu, dieses Mal aber trifft er mit seiner Schmährede einen wahren, his­torischen Kern. Es gibt in Italien keine sozialdemokratische Opposition, und es hat sie streng ge­nommen auch nie gegeben.
Lange bevor sich der Partito Comunista Italiano (PCI) Anfang der neunziger Jahre auflöste, hatte er den Anspruch, durch eine revolutionäre Umwälzung den Kapitalismus abzuschaffen, aufgegeben. Westeuropas größte kommunistische Vereinigung war, was ihr Programm angeht, längst zu einer sozialdemokratischen Partei geworden, konnte aber durch den Ausschluss von jeglicher Regierungsverantwortung den Schein der antagonistischen Haltung wahren.
Erst nach dem Fall der Mauer entschied sich die Mehrheit der Partei für die »Wende« zum Partito Democratico della Sinistra (PDS). Eine kleine Minderheit spaltete sich daraufhin mit der Entscheidung für eine kommunistische Neugründung ab. Bis heute trägt die Partei Rifondazione Comunista Hammer und Sichel im Parteiabzeichen und hält auch den dazugehörigen Nimbus aufrecht.

Das, was die neuen italienischen Demokraten als »Erneuerung« propagierten, war allerdings in anderen sozialdemokratischen Parteien Europas schon längst passiert. Die »Reformisten« mussten jegliche Erinnerung an die kommunistisch-sozialistische Tradition nicht nur aus ihrem Namen, sondern vor allem aus ihrem Programm tilgen. In einem permanenten »Modernisierungsprozess« sollte die demokratische Linke zu einer moderaten Linken werden. Im vergangenen Jahr erreich­te diese über ein Jahrzehnt andauernde Trans­formation durch die Vereinigung mit der »Mar­gherita«, dem vermeintlich liberalen, katholischen Flügel der ehemaligen Democrazia Cristiana, ihren vorläufigen Endpunkt. Seither sind die italienischen Linken nicht mehr links, sondern »einfach demokratisch«.

Dass sich der Vorsitzende der neuen Demokratischen Partei nicht nur seiner kulturellen Vorlieben wegen in die Tradition der amerikanischen Democratic Party stellt, wurde spätestens bei den vo­rigen Parlamentswahlen deutlich, als Vel­troni sich klar zur gesellschaftlichen »Mitte« bekannte und jegliches Bündnis mit den sozialistischen und kommunistischen Splittergruppen ablehnte. In Folge dieser Entscheidung hat sich das politische Spektrum Italiens verkleinert: Die sich kommunistisch oder radikal nennende Linke ist im Parlament nicht mehr vertreten, hoffnungslos frag­mentiert und ohne gesellschaftspolitischen Einfluss. Dass der Vorsitzende der Rifondazione, Paolo Ferrero, Anfang November in Berlin den gemeinsamen Aufruf der Europäischen Linken zur Europawahl im Juni 2009 unterzeichnet hat, wurde in Italien kaum zur Kenntnis genommen. Dabei wird das in dem Aufruf stehende populistische Vorurteil, die Krise sei von »verantwortungs­losen Wirtschafts- und Finanzeliten« verursacht worden, in Italien von allen Parteien bedient.

Der PD muss also derzeit erkennen, dass die politische »Mitte« nicht so einfach zu finden ist, wie es die demokratische Rhetorik vorgibt. Als demokratische Linke waren die ehemaligen Kom­munisten ganz selbstverständlich Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Den neuen Demokraten ist diese Selbstverständlichkeit abhanden gekommen. Die ehemaligen Linken wissen sich nicht mehr zu positionieren, zumal die ehemaligen Christdemokraten eher den liberalen Parteien des Europa-Parlaments nahestehen. Die Frage, wie sich der PD anlässlich der Europawahlen orientieren soll, könnte für die Partei existenziell werden.
Veltroni trat auf dem Anfang Dezember in Madrid abgehaltenen Kongress der SPE als Gast­redner auf und schlug den europäischen Sozialdemokraten eine Namensänderung vor. Doch mit einem einfachen Etikettenschwindel ist das Problem der italienischen Demokraten nicht zu lösen. Nicht nur, weil die Katholiken in den eigenen Reihen bereits verlauten ließen, niemals durch einen Bindestrich mit den Sozis in Verbindung gebracht werden zu wollen. Vielmehr scheint Veltroni dieses Mal den Anschluss an den amerikanischen Zeitgeist verpasst zu haben. Eine Delegation der großen Bruderpartei nahm am Kongress der SPE teil und Martin Schulz, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europa-Parlament, meinte sogar, es sei nicht aus­zuschließen, dass die amerikanischen Demokraten eines Tages doch noch der Sozialistischen Internationale beitreten würden.
Die italienischen Demokraten aber sind derzeit auf dem besten Wege, nicht nur jede sozialdemokratische europäische Konkurrenz abzuhängen, sondern selbst die amerikanischen Demokraten rechts zu überholen.