Die Ausstellung »Flagge zeigen?«

Schwarz, rot, gold, perfekt

Die Ausstellung »Flagge zeigen?« in Bonn erklärt, wie nationale Symbole zur Selbstvervollkommnung der Deutschen beitragen.

»Das heiligste Symbol ist für die Deutschen immer die Fahne gewesen; sie ist kein Stück Tuch, sondern sie ist Überzeugung und Bekenntnis und damit Verpflichtung«, sagte einmal ein zu seinen Lebzeiten hierzulande millionenfach Verehrter. Dass während der Fußballweltmeisterschaft 2006, als sich ganz Deutschland in eine einzige große Flaggenparade verwandelte, gleichwohl ständig die angebliche »Unverkrampftheit« be­schwo­ren werden musste, mit der die Landsleute dieses heiligste Symbol allenthalben präsentierten, dafür gab es handfeste Gründe: Unter der Ägide des Urhebers dieses Zitats hatten die Vorfahren nämlich ihre Überzeugungen und Bekennt­nisse in die Tat umgesetzt, weshalb man seither in der Welt aufmerksam hinsah, wenn die Deutschen wieder einmal Flagge zeigten.

»Flagge zeigen?« ist auch der Titel einer Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte, und dass er mit einem Fragezeichen versehen wurde, darf man getrost als rhetorischen Kniff bezeichnen. Thema sind »Die Deutschen und ihre Nationalsym­bole«, wozu nicht nur Fahnen, Hymnen und Wappen gezählt werden, sondern auch Gedenk- und Feiertage, Bauwerke, Gedenkstätten und sym­bolhafte Gesten. Die Ausstellung bildet den Auftakt der Jubiläumsveranstaltungen zu »60 Jahren Bundesrepublik Deutschland«. Bundespräsident Horst Köhler gab dabei die Linie vor, als er in seiner Eröffnungsrede unter Berufung auf den »ame­ri­kanischen Philosophen Richard Rorty« sagte: »Nationalstolz ist für ein Land dasselbe wie Selbst­achtung für den Einzelnen: eine notwendige Bedingung der Selbstvervollkommnung.« Deshalb sei es auch »ein gutes Zeichen, dass wir Deutschen in den letzten Jahren viel unbefangener und fröhlicher unsere Farben zeigen« und »dass unsere Nationalhymne viel öfter gesungen wird«.
Den Weg zu dieser »Selbstvervollkommnung« skizziert »Flagge zeigen?« so, wie man es von einer solchen Ausstellung im bisweilen als »Kohl-Museum« verspotteten Haus der Geschichte erwarten darf: Hier die »beiden deutschen Diktaturen«, also der Nationalsozialismus und die DDR, die deutsche Symbole schändlich missbraucht hät­ten, dort die »demokratisch-rechtsstaatliche Bundesrepublik«, deren Umgang mit der Symbolik geradezu vorbildlich sei. Der totalitarismus­theoretische Ansatz der auf Schautafeln kommen­tierten, rund 600 Exponate umfassenden Ausstellung ist allgegenwärtig, und er verstellt ins­be­sondere den Blick auf die Kontinuitäten des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik fast völlig.
Deutlich wird das beispielsweise an der Darstellung der Geschichte des Deutschlandliedes. Im Jahr 1952 legte Bundespräsident Theodor Heuss, einem Vorschlag von Bundeskanzler Konrad Ade­nauer folgend, per Dienstanweisung fest, dass bei öffentlichen Anlässen ausschließlich die dritte Strophe zu singen sei. Doch in der Praxis hatte dieser Beschluss kaum Auswirkungen, wie beispielsweise die Siegerehrung bei der Fußball-WM 1954 zeigte: Neun Jahre nach der Kapitulation des »Dritten Reichs« feierten die deutschen Zuschauer im Berner Wankdorfstadion den neuen Weltmeister vernehmlich mit einem »Deutsch­land, Deutschland über alles« – also der ersten Strophe, die auch unter den Nazis gesungen wurde. Das wird in der Ausstellung zwar mit einem Video dokumentiert, aber bloß als kurioser Ausdruck kleinerer Umgewöhnungsprobleme begriffen und nicht etwa als Fortwirken nationalsozialistischen Gedankenguts in diesem klassischen deutschen Symbol.
Gleiches gilt für die Darstellung der »Filbinger-Heino-Affäre«. 1978 hatte der baden-württembergische Ministerpräsident den Schlagersänger damit beauftragt, eine Platte mit dem Deutschland-Lied aufzunehmen. Heino sang alle drei Stro­phen, die Scheibe sollte an Baden-Württembergs Schüler verteilt werden. Einen Hinweis darauf, dass Filbinger als früherer NS-Marinerichter in be­sonderem Maße die Kontinuität des Nationalsozialismus verkörperte, mit seinem berühmt gewordenen Satz »Was früher Recht war, kann heute nicht Unrecht sein« völlige Uneinsichtigkeit demonstrierte und es daher nur konsequent war, dass gerade er ein Interesse an der Verbreitung des »Liedes der Deutschen« in seiner ungekürzten Fassung hatte, sucht man in der Ausstellung vergeblich.

Überhaupt bedient »Flagge zeigen?« den Mythos von der »Stunde Null« und die Mär vom bloßen Missbrauch nationaler Symbolik. Den Nationalsozialismus stellt die Ausstellung deshalb als etwas den Deutschen Fremdes und Aufgezwungenes dar, über dessen Niederschlagung trotz materieller Not durchweg Erleichterung geherrscht habe. »Die Menschen leiden unter den Kriegsfolgen«, heißt es etwa auf der Ausstellungstafel »Symbollose Zeit«. »Doch das Kriegsende ist zugleich für alle, besonders für politisch und rassisch Verfolgte, Befreiung vom Terror der Nationalsozialisten.« Opa war nämlich kein Nazi, selbst wenn er dem Führer bis zum Schluss die Treue hielt, bevor er von kulturlosen Amis, slawischen Untermenschen, hochnäsigen Briten und dem französischen Erbfeind besiegt wurde.

Bemerkenswert ist auch das Kernstück der Ausstellung, die parallele Darstellung des Umgangs mit nationalen Symbolen in der Bundesrepublik und der DDR. Die Exponate – Büsten, Fotos, Schrift-, Audio- und Videodokumente sowie allerlei Devotionalien – sind dabei rechts und links von einem stilisierten Brandenburger Tor platziert, durch das die Besucher gehen können, sofern der Durchgang nicht von einer nachgebauten Panzersperre blockiert ist. Der Tenor dieses Abschnitts lautet: Während man in Westdeutschland Bescheidenheit und Zurückhaltung in Hinblick auf die Symbolik walten ließ und sich stets bereitwillig der Vergangenheit stellte, hielt sich die ostdeutsche »Diktatur in Rot« a priori für das »bessere«, weil antifaschistische Deutschland und verordnete deshalb ein offensives, schuldfreies Bekenntnis zur Nation und ihren Insignien. Wie sich diese Sichtweise auswirkt, lässt sich exem­plarisch an der Beurteilung des Umgangs mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus zeigen: Während die DDR – zu Recht – dafür kritisiert wird, nahezu ausschließlich den kommunistischen Widerstand gewürdigt und das Spezifische an der Shoah sträflich vernachlässigt zu haben, stellen die Ausstellungsmacher gleichzeitig die »Männer des 20. Juli« – jene Militärs also, die zuvor an Vernichtungskrieg und Judenmord beteiligt und für beides mitverantwortlich waren – als singuläre Vorbilder dar.
Der Abschnitt endet mit dem Mauerfall und dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Und er­wartungsgemäß ist die Tatsache, dass der von ei­nem ungehemmten Präsentieren deutscher Sym­bole begleitete nationale Taumel seinerzeit in anderen Teilen der Welt begründete Sorgen vor einem neuen Furor teutonicus aufkommen ließ, überhaupt kein Thema. Die Aussage ist eindeutig: Die endgültige Revision der Nachkriegsordnung war ohne Wenn und Aber ein entscheidender Schritt zu der von Horst Köhler beschworenen »Selbst­vervollkommnung« der Deutschen. Der folgende und letzte Raum der Ausstellung ist dann ein einziges, allumfassendes, erdrückendes Schwarz-Rot-Gelb. Auf einer Litfasssäule wird noch ein bisschen für das Holocaust-Mahnmal geworben – dieses Stein gewordene Symbol für die erfolgreiche deutsche »Vergangenheitsbewältigung«, das gleichsam die Ermächtigung ist, »viel unbefangener und fröhlicher unsere Farben zu zeigen« – und dem »Sommermärchen« eine Reminiszenz gewährt. Über dem Ausgang sind schließ­lich Auszüge aus einem Lied der Deutschpop-Band Mia verewigt. Noch so ein nationales Symbol.

»Sagen wir aus ganzem Herzen Ja zu Deutschland«, schloss Horst Köhler seine Rede zur Eröffnung von »Flagge zeigen?«. Die Intention der Ausstellung hätte er nicht treffender zusammenfassen können. Sie sind längst wieder ein Herz und eine Seele, die Deutschen und ihre Symbole.