Die Filme von Herbert Achternbusch

Vom Heimatfilm das Gegenteil

Seine Filme polarisierten. Anarchistischer Humor, lobten die einen, plumpe Gesellschaftskritik, fanden die anderen. Eine DVD-Box würdigt   Herbert Achternbusch, der gerade 70 Jahre alt geworden ist.

Deutschland hat schon so viele umgebracht«, sinniert der angetrunkene Hick auf seiner Reise durch die USA. Schwere Trucks ziehen in Zeitlupe zur Musik von Schuberts Streichquartett vor­über, Hick selbst taucht im Film nur selten auf. Meist ist nur seine Stimme aus dem Off zu hören, er liest aus Briefen vor, die er seiner Geliebten nach Hause schreibt. Mit erhobener Stimme vollendet er seinen Satz: »Aber du bist nicht Deutschland.« Kann es eine schönere Liebeserklärung geben?
Sie stammt aus Achternbuschs Film »Hick’s Last Stand« von 1990, mehr als zehn Jahre vor der Kampagne »Du bist Deutschland« ausgespro­chen. Vielleicht erklärt die Absage an Deutsch­land, die Achternbusch in all seinen Filmen auf­greift und variiert, warum dieser Filmemacher inzwischen zu den fast Vergessenen gehört, warum er nicht nur als Bayer und Bayernhasser inkompatibel ist mit der Berliner Republik und deren neuer deutscher Identitätsfindung. Achternbuschs radikale Abkehr von Nation und Region, gespiegelt in bayerischen Grotesken, die wie das Gegenteil von Heimatfilm funktionieren, unterscheidet seine Arbeit von Wenders, Fassbinder und Schlöndorff, von Edgar Reitz ganz zu schweigen, dessen »Heimat«-Zyklus jene Reinstallation deutscher Gemeinschaft vornahm, die Achternbusch noch heute ein Gräuel wäre, würde er noch immer Filme drehen.
Aber »Hick’s Last Stand« war Achternbuschs letzter relevanter Film, fast ohne Schauspieler und Budget realisiert. Es ist bezeichnend, dass er ihn komplett in den USA drehte. Es hat zwar auch andere deutsche Regisseure wie Wim Wenders und Werner Herzog immer wieder in die USA gezogen, meist von einer seltsamen Hassliebe angetrieben – »Die Amerikaner haben unser Unterbewusstsein kolonialisiert«, heißt es in Wenders’ »Im Lauf der Zeit« (1976) –, doch bei Achternbusch ist die Motivation eine andere gewesen: Ausgerechnet im von Nationalitäts­taumel besoffenen Jahr 1990 kehrt er Deutschland den Rücken zu und dreht einen Film über einen Ausgestoßenen, für den Amerika zum Exil geworden ist. Es sollte die letzte große Fluchtbewegung werden im filmischen Schaffen Herbert Achternbuschs, den es immer schon fortgezogen hat, weg vom unerträglichen Deutschland und weg vom noch unerträglicheren Bayern, weg von dem Land, gegen das Achternbusch fast zehn Jahre prozessiert hat. Aber hier­zu später.
Die politischen Implikationen dieser Fluchten hat Achternbusch bereits mit »Das letzte Loch« auf die Spitze getrieben: Der Nil, von Achternbusch selbst gespielt, kann die sechs Millionen von den Nazis ermordeten Juden nicht vergessen. Sein Arzt rät ihm, für jeden ermordeten Juden einen Schnaps zu trinken. Doch das Vergessen will nicht gelingen. Auf der Reise nach Sizilien, Schnaps für Schnaps trinkend, stürzt sich der Nil in den Stromboli, in »das letzte Loch«, das ihm bleibt. Was sich auf dem Papier wie ein geschmackloser Witz anhören mag, ist ein Meis­terwerk des deutschen Autorenfilms. Immer wieder thematisieren Achternbuschs Filme den Holocaust und die Kontinuität der Nazi-Mentalität im Nachkriegsdeutschland. Vergleichbar mit der bitteren Beharrlichkeit eines Thomas Bernhard hadert Achternbusch mit den Alt- und Jungnazis und den Auswirkungen des Katholizismus. Und ebenfalls vergleichbar mit Thomas Bernhard ist Achternbusch immer in seiner so genannten Heimat geblieben, hat Bayern nie verlassen. Vielleicht, weil er diese Reibung braucht, den Hass als kreativen Antrieb. »So vieles hat Deutschland kaputtgemacht«, erklärt Hick, »warum auch nicht mich?« Diese Bemerkung stammt aus einer Zeit, als Deutschland den Filmemacher Herbert Achtermbusch de facto bereits kaputtgemacht hatte. Nach der Streichung von Fördermitteln und mühseligen Prozessen war Achternbusch geradezu gezwungen, Filme zu drehen, deren Marginalität jegliche Au­ßen­wahrnehmung verhindert.
Auslöser für all das war sein Film »Das Gespenst« (1982), manche werden sich noch erinnern: Der Film über eine Jesus-Figur, die in einem bayerischen Kloster vom Kreuz steigt, um unter anderem auf dem Viktualienmarkt mit zwei Schnapsgläsern nach »Scheiße für die Polizei« zu betteln, wurde zum handfesten Skandal, galt als Gotteslästerung. Der Film vermittle ein »pessimistisches und nihilistisches Grundmuster der Welt, das keine rationale Verarbeitungsmöglichkeit für den Besucher zulässt«, urteilte die FSK und gab dem Film keine Jugendfreigabe. Doch es kam noch schlimmer. Der bayerische CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann verweigerte sämtliche Fördermittel, die Achternbusch für »Das letzte Loch« zugesichert waren. Dies ging weiter als Zensur, es zielte auf die schiere Existenz: »Das letzte Loch« hatte den Bun­desfilmpreis gewonnen, nachträglich wollte nun ein Politiker bewirken, dass dem Regisseur das Preisgeld nicht ausgezahlt wird, weil dessen Nachfolgefilm einigen Katholiken nicht in den Kram passte. Zehn Jahre lang führte Achternbusch einen Rechtsstreit, den er 1992 schließ­lich gewann. Zu spät, denn als Filmemacher war er inzwischen ein gebrochener Mann, der sich von nun an auf weniger kostspielige Künste wie Malerei, Literatur und Theater konzentrieren musste.
Anlässlich seines 70. Geburtstags ist nun eine DVD-Box erschienen, die einen ersten Überblick über Achternbuschs filmisches Schaffen bietet. Meisterwerke wie »Das letzte Loch« und »Servus Bayern« fehlen zwar noch, aber immerhin ist »Das Gespenst« enthalten, von der FSK inzwischen auf eine Altersfreigabe von 16 Jahren herabgestuft. Beim Wiedersehen fällt auf, wie harmlos der Film ist, keineswegs blasphemisch, sondern seinerseits religiös, voller Sympathie für den naiv staunend durch die Welt tappenden Christus, abermals von Achternbusch selbst gespielt, dessen Arme noch abgewinkelt steif vom Kreuz sind, so dass er nicht durch die enge Tür einer öffentlichen Toilette passt. Dies mag der eigentliche Skandal gewesen sein: dass ein Christus auch scheißen muss und dass ihm von Achternbusch eine Sexualität zugestanden wird. Zusammen mit der Oberin des Klosters beim Picknick fragt der Christus beim Anblick der Wiener Würstchen: »Wenn der Wein mein Blut ist und das Brot mein Leib, was ist dann das?« Nachdem ein wie aus Achternbuschs Horrorszenario entsprungener Bayer zum Papst gewählt worden ist, erhält »Das Gespenst« ganz neue Brisanz.
Doch das Wiedersehen macht auch deutlich, dass es sich bei »Das Gespenst« nicht um Achternbuschs besten Film handelt. Zermürbend langatmig sind die Szenen, in denen Christus der Polizei als Gottesbeweis zwei Schnapsgläser Scheiße besorgen soll. Am Ende sitzen die beiden Polizisten selbst mit blankem Hintern über den Gläsern, reden Blödsinn und drücken, was das Zeug hält. Vielleicht muss man in Bayern auf­gewachsen sein, um Achternbuschs derbe Polizei-Kritik lustig zu finden, die alle Filme durchzieht und in »Das Gespenst« ihren Höhepunkt erreicht hat. Die permanent gezogene Analogie zwischen Polizei und Scheiße erinnert an den platten Humor der Linken zu jener Zeit, der Ger­hard Seyfrieds Comics hohe Auflagen bescherte und in »Sponti-Sprüche«-Büchern beim frisch gegründeten Eichborn-Verlag gipfelte. Achternbusch selbst war freiwillig oder unfreiwillig Lieferant für einige dieser Sprüche, zum Beispiel für »Du hast keine Chance, aber nutze sie«, dem Motto aus »Die Atlantikschwimmer« (1975), der ebenfalls in der DVD-Box enthalten ist. Das sind allerdings nur kleine Schönheitsfehler, über die sich milde hinwegsehen lässt angesichts der Fülle an Anspielungen – auf die Psycho­analyse, den Faschismus, die Filmgeschichte, Sprach­­philosophie und bayerische Sittengeschichte –, die Achternbuschs antideutsche Filme so spezifisch deutsch machen, dass sie im Ausland nie eine Chance hatten, verstanden zu werden.
»Sätze wie Dinge behandeln, das können seine Darsteller, die so gelassen auftauchen, mit einer Beharrlichkeit, die ans Geisterhafte grenzt«, schreibt Fritz Göttler im Booklet zur DVD-Box. Das Geisterhafte wird noch dadurch verstärkt, dass alle Schauspieler wie Laien wirken, ihre Sätze hölzern auswendig gelernt wiedergeben, steif, manchmal mit Versprechern. Dies sind Taktiken, Entfremdung und Standardisiertes kenntlich zu machen und so die Volksseele als etwas zu demontieren, das keineswegs »natürlich« oder »gesund« ist. Bauerntheater gerinnt in diesen Filmen zum grotesken Spiel von Marionetten aus Fleisch und Blut, man glaubt die Fä­den zu sehen, mit deren Hilfe sich die Münder beim Sprechen bewegen. Es mag kein Zufall sein, dass auch die »Augsburger Puppenkiste« aus Bayern kommt, doch das Marionettenhafte bei Achternbusch ist dem gegenüber blanker Horror, der aufzeigt, wie sehr das Geschwätz seiner Protagonisten angelernt ist, ihnen von Kindesbeinen an eingebläut wurde. Und die eigentliche Person, das Individuum hinter der Fratze aus Brauchtum und Tradition? – Das gibt es nicht, es ist zerstört worden. Nur sich selbst und seiner weiblichen Protagonistin Annamirl Bierbichler gesteht Achternbusch zu, in all den Filmen wenigstens danach zu fragen, ob es auch noch ein anderes Leben geben könnte, ein Leben jenseits von Weißbier, Kirchgang, Tracht und Trachtprügel. Doch genau an der Beantwortung dieser Frage scheitern sie. Fast jeder Achternbusch-Film endet mit dem unerfüllten Tod, ist ein einziger langer Suizid.
Und doch fehlt seinen Filmen alle Schwermut, die ganze bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Neuer-deutscher-Film-Tristesse, die mit Hans-Jürgen Syberberg so etwas wie das ästhetische und weltanschauliche Gegenteil von Achternbusch hervorgebracht hat. Wenzel Storch, ein weiterer seltener Humorist unter den deutschen Filmemachern, bringt es auf den Punkt: »Deutscher Film ist scheiße, damit hab’ ich nix zu tun. Den deutschen Autorenfilm fand ich – mit Ausnahmen wie dem frühen Achternbusch – auch nicht viel besser, und dieser doofe verkopfte und verkrampfte Fassbinder-Wenders-Kram ist halt von genauso doofem Witzefilmkram abgelöst worden.«

Herbert Achternbusch: 5 Filme. (5 DVDs) »Das Andechser Gefühl«/»Die Atlantikschwimmer«/»Das Gespenst«/»Die Olympiasiegerin«/»Hick’s Last Stand«. Pierrot Le Fou/­Alive