Helmut Schmidt ist eine Ikone der Nachkriegsdeutschen

Der letzte unmenschliche Führer

Er war begeistertes Mitglied der Wehrmacht, macht keine Fehler und Demokratie ist ihm suspekt. Helmut Schmidt ist die Ikone der Nachkriegsdeutschen.

Ein Großteil der Deutschen sehnt sich, so ermitteln demoskopische Institute Jahr um Jahr, nach einem Führer oder zumindest nach »Führung«, einem Politiker mithin, der nicht etwa ein­fach die Amtsgeschäfte führt, sich vor dem Parlament und der Justiz zu rechtfertigen und der Wiederwahl zu stellen hat, sondern der streng den Weg weist, gewissermaßen als Inkarnation des Volkswillens. Dabei schätzt zumindest ein Teil dieser Führungssüchtigen die Möglichkeit, wäh­len zu können, schließlich hat sich nach 1945 schnell die Meinung durchgesetzt, dass das Konzept von »Führung« richtig, der »Führer« ­allerdings der falsche, vielmehr ein Verführer gewesen und das deutsche Volk, Hitlers erstes Opfer, einem Irrtum erlegen sei.

Diese Auffassung von »Führung« erklärt nicht nur die nachgerade kultische Verehrung, die Konrad Adenauer ab 1949 zuteil wurde, sie hilft auch zu erklären, warum Ludwig Erhard, der nicht minder autoritär, gleichwohl aber technokratischer war, schon bald nicht einmal mehr von seiner eigenen Partei geliebt wurde. Um »Führung« reprä­sentieren zu können, braucht es eine gewisse Kalt­schnäuzigkeit, eine gelebte Mittelmäßigkeit, einen gepflegten Antiintellektualismus, der gleich­zeitig permanent die eigene Bildung herausstellt, und ein Auftreten mit menschlichem Makel, doch ohne allzu große Menschlichkeit.
Der frühere Hauptmann Helmut Schmidt erfüllt all diese Bedingungen. Er betätigte und betätigt sich als Schriftsteller, Pianist und Maler, beeindruckte als Redner, war begeistertes Mitglied der Wehrmacht, aber selbstverständlich stets gegen die Nazis, und konnte schließlich sogar noch verkünden, dass er nach den nationalsozialis­ti­schen Rassegesetzen »Vierteljude« gewesen wäre, wenn er und sein Vater nicht die Papiere gefälscht hätten. Er raucht und raucht und raucht, das ist sein kleiner menschlicher Makel, den er allzu aufdringlich präsentiert. Er hat Deutschland vor der Erpressung durch die »Terroristen« gerettet und dabei eine »Innere Sicherheit« hervor­gebracht, deren Überwachungswahnhaftigkeit selbst Otto Schily und Wolfgang Schäuble skeptisch werden ließe, er befürwortete als begeisterter Militarist den so genannten Nato-Doppel­beschluss und konnte sich zu Hochwasserzeiten als Krisen managender Senator in Hamburg profilieren, der dabei keine Gelegenheit ungenutzt ließ, sich vor die Kameras zu stellen. Seit seiner Demission im Jahre 1982 verdingt sich der »Altkanzler«, wie ihn seine Fans liebevoll rufen, unter anderem und ohne jegliche journalistische Vorkenntnisse als Herausgeber der Zeit. Schmidt wurde zur Ikone. Das, was er in unzähligen Do­kumen­tarfilmen, Fernsehshows, Interviews und Büchern äußert, soll einen Pragmatiker bei der Denkarbeit zeigen, erweist aber vor allem seinen Hang zur Plattitüde.

Zudem hat Schmidt nicht erst im Alter damit begonnen, sich als Kritiker der hiesigen Demokra­tieform zu betätigen, er würde gern das Verhältniswahlrecht in ein Mehrheitswahlrecht umwandeln, die Volljährigkeit und damit die Wahlberechtigung auf das 21. Lebensjahr anheben, auch würde er gern die Wahlen in Land und Bund auf einige wenige Großwahltage zusammenlegen. Wa­rum das alles? Der alte Hauptmann hat kein Vertrauen in die Demokratie, er hat sich mit ihr abgefunden, möchte sie aber keinesfalls zu stark werden lassen. Mit dem Verweis darauf, dass sich das Volk als von den Nazis verführbar gezeigt habe, will er die Souveränität des Souveräns weit­gehend einschränken, denn das ganze Demokratiespektakel erscheint ihm wenig vernünftig.
Mit der »Vernunft«, die Schmidt offensichtlich in sich selbst inkarniert sieht, argumentiert er stets, ohne allerdings genauer bekanntzugeben, woraus sie sich schöpft. Sie besteht aber zur Gänze aus Räsoniererei und Ressentiment. Anders als sein Vorgänger und sein Nachfolger zeigt Schmidt niemals Nerven, lebt seine diversen Liebeshändel nicht öffentlich aus oder erweist sich als korrupt. Er ist kühl dem »Maßvollen« verpflich­tet, das per se immer das Mittelmaß herstellt. Bricht er einmal eine Reise zu einem Parteitag ab und kehrt um, so ist dies schon ein Maximum an Menschlichkeit. Es hieß von konservativer Seite aus stets über Schmidt, er sei der richtige Mann in der falschen Partei. Er bietet Führung, macht keine Fehler, findet die Demokratie nicht gut, sieht dafür aber beim Unfugreden gut aus. Klar, dass ihn die Deutschen lieben.