Die Türsteher-Debatte in Spanien

Gefährliche Sicherheit

Seit Türsteher einer Discothek in Madrid einen Jugendlichen zu Tode geprügelt haben, debattiert Spanien über sein Nachtleben. Es geht um Lokale ohne Lizenz, martialische Security und die Ausgehindustrie.

Dem spanischen Nachtleben eilt der Ruf voraus, eines der härtes­ten der Welt zu sein. Oft wundern sich deutsche Besucher über die exzessive marcha, wie der Ausgeh- und Trinkmarathon genannt wird. Spaniens Tourismus-Strategen verwenden den Mythos der aufregenden Nächte auch gern fürs Marketing. Doch das Bild der lebendigen Ausgeh-Industrie ist gekippt. Seit Türsteher in Madrid den 18jährigen Álvaro Ussías vor einer Discothek zu Tode geprügelt haben, debattiert man über martialische Securitymänner, Lizenzvergaben und Bürokratenwillkür.
Eine zufällige Rempelei in der Disco El Balcón de Rosales war Ussías in der Nacht auf den 15. November zum Verhängnis geworden. Nach einem Zusammenstoß auf der Tanzfläche, bei dem offenbar auch die Freundin eines der Türsteher einen Schubser abbekam, zerren vier Sicherheitsmänner den jungen Mann nach draußen. Als Ussías schon wehrlos auf dem Boden liegt, traktieren sie ihn weiterhin mit Schlägen, einer der Männer, Antonio S., ein Bodybuilder-Schrank mit mehr als 100 Kilo Körpergewicht, lässt sich mit voller Wucht auf das Opfer fallen. Unter der Last wird sein Herz zerquetscht. Reanimationsversuche schlagen fehl, Ussías stirbt wenig später im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Ussías ist nicht das erste Todesopfer von aggressiven Türstehern in Spanien. Doch noch nie wurden die Hintergründe mit solcher Akribie öffentlich beleuchtet, nach ­Ursachen und notwendigen Maßnahmen gesucht.
Schnell wurde bekannt, dass der Laden seit Jahren ohne die entsprechende Betriebserlaubnis geführt worden war. Neben acht Schließungs­anordnungen der Polizei lagen auch 51 Anzeigen der Nachbarn vor. Eiligst ließ die Madrider Stadtverwaltung nach der Tat nicht nur die Unglücks-Discothek schließen, sondern darüber hinaus acht weitere Clubs. Viele waren über Jahre ohne die erforderlichen Genehmigungen betrieben worden. Zwei der kurzfristig versiegelten Clubs haben inzwischen wieder geöffnet.
Ein Problem wurde damit offenkundig: Die Vorschriften sind umfangreich, mehr als 30 Gesetze und Verordnungen verschiedener Behörden müssen offiziell zur Öffnung einer Discothek befolgt werden. Wer einen Club betreiben will, tut das deswegen nicht selten ohne die erforderlichen Lizenzen. »Ich kenne viele Bars in Spanien, die aufgemacht haben, ­einen Riesenerfolg hatten, dann den Bach runtergingen und wieder zugemacht haben, be­vor sie überhaupt die Öffnungsgenehmigung hatten«, sagt Plattenproduzent Juan Santamaría. Die Alternative: die zuständigen Beamten in den Behörden auf illegale Weise zu schnel­lerem Arbeiten zu bewegen. Derzeit stehen 80 An­geklagte auf der Liste eines Korrup­tions­verfah­rens (»Operación Guateque«) rund um die Ertei­lung von Betriebsgenehmigungen in Madrid. »Das Problem ist, dass es keine zeitlichen Fristen für die Verwaltung gibt, in der sie das Gesetz umzusetzen haben. Deswegen müssen die Unternehmer jahrelang in juristischer Unsicherheit arbeiten«, sagt Vicente Pizcueta, der Sprecher eines Verbandes von Unternehmern im Nachtleben. Er fordert eine spezielle Einrichtung, ähnlich dem spanischen Tüv, um die Betriebsgenehmigungen schneller ausstellen zu können.
Darüber hinaus steht das Securitypersonal im Mittelpunkt der Debatte. Für die Arbeit als Sicherheitsmann an der Discotür gibt es in Spanien keinerlei rechtliche Vorgaben, und die Szene ist undurchsichtig. Viele Sicherheits­leute arbeiten schwarz, bekommen lediglich feste Summen pro Nacht gezahlt oder sind ­offiziell als Kellner oder Kassierer angestellt. »Während das Gesetz genau die Anzahl der Feuerlöscher vorschreibt, gibt es keine einzige Zeile zu denjenigen, die für die Sicherheit von Tausenden Personen zuständig sein sollen«, bringt es ein Polizist, der seinen Namen nicht nennen will, auf den Punkt.
»Das sind zum Teil richtige Schlägertypen, die überhaupt keine Ahnung haben, wie man aufgeregte oder aggressive Leute wieder runterbringt. Die haben nur Kampferfahrung, sonst gar nichts«, sagt Marco über seine Kollegen in Spanien. Der Deutsche arbeitet seit 13 Jahren als Disco-Türsteher auf Mallorca. Auch dort gebe es schwarze Schafe unter den Security-Leuten. Natürlich müsse der Türsteher auch optisch Eindruck machen, aber Konflikte müsse man mit Worten lösen, und wenn das nichts helfe, die Polizei rufen, sagt Marco. Sein Kollege Juri, der aus Russland stammt, bestätigt die Einschätzung. Der Personenschützer arbeitete früher für diverse Discotheken in Madrid, zwei davon wurden nach dem Tod von Ussías geschlos­sen. »Viele Türsteher dort brüsten sich unter­einander, stärker als andere zu sein«, sagt er. Oft sind die Sicherheitsmänner für die Gäste als solche nicht erkennbar. »Viele nehmen einen oder zwei offizielle Securityleute, dazu andere, die schwarz arbeiten und in Zivil unterwegs sind. Die prügeln dann los, wenn es zum Streit kommt«, sagt Carlos, ein Türsteher mit langjähriger Berufserfahrung in Madrid.
Die Madrider Stadtverwaltung will dem Problem nun mit einer Verordnung beikommen, die einen Lehrgang und einen Psychotest für Türsteher vorschreibt. In der Weihnachtszeit, in der traditionell besonders gern ausgegangen wird, wurden außerdem die Polizeikontrollen ausgeweitet. Weitere Regionen in Spanien wollen nun ebenfalls Türsteher-Regeln einführen. In Valencia sollen ähnliche Vorschriften wie in Madrid gemacht werden, in Andalusien wurden nach dem Vorfall zahlreiche Kontrollen veranstaltet und dabei in Granada Sicherheitsleute mit Knüppeln und Messern entdeckt. Nur einer von ihnen war offiziell unter Vertrag genommen. In Katalonien gibt es bereits Vorschriften für Türsteher. Sie wurden nach dem Tod eines 26 Jahre alten Ecuadorianers im Jahr 2002 erlassen, der ebenfalls Opfer von aggressiven Sicherheitsleuten geworden war.
Die jetzt getroffenen Maßnahmen dürften vor allem auch den spanischen Fremdenverkehrsverband Turespaña erfreuen. Die Touristiker be­fürchteten bereits einen Image-Verlust nach dem Vorfall.
»Unsere europäischen Mitbewerber stellen Madrid als gewalttätig und gefährlich für junge Leute dar«, sagte Javier Rodríguez Mañas, der stellvertretende Leiter von Turespaña. Die Sorgen sind berechtigt. Immerhin ist das Nacht­leben ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der nach Angaben des Verbandes jährlich rund 13 Millionen Touristen anlockt. In der Disco El Balcón de Rosales, die in unmittelbarer Nähe einer vielbesuchten Seilbahn liegt, werden sie jedenfalls nicht mehr tanzen. Nach dem Willen der Stadtverwaltung wird aus dem Lokal nun eine Biblio­thek.