Der Wandel der Klimakanzlerin

Schmutzig, aber gefiltert

Über die wundersame Verwandlung der »Klimakanzlerin« Angela Merkel.

Der unbefangene Beobachter musste sich in den vergangenen Wochen und Monaten häufiger die Augen reiben. Hat sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht einmal als Retterin des globalen Klimas preisen lassen? Und jetzt? Bau von Straßen, »Hilfen« für die Autoindustrie, Erlaubnis für höheren CO2-Ausstoß usw. Wie passt das zusammen?
Zum Verständnis ist es hilfreich zurückzublicken und an die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Anschluss der DDR an die BRD zu erinnern. Mit der Währungsunion und der Treuhand wurde damals die Industrie der DDR abgewickelt. Dies hatte neben der Massenarbeits­losigkeit im Osten selbstverständlich einen starken Rückgang des Energieverbrauchs zur Folge. Ansonsten wurde die Energiewirtschaft im Osten übernommen, wie sie war, lediglich die Kraftwerke wurden modernisiert. In diesen beiden Faktoren liegt die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen in Deutschland etwa zur Hälfte begründet.

Seit jener Zeit versuchten alle Bundesregierungen, die wallfall profits international gewinnbringend zu vermarkten. So begründete Helmut Kohl den Mythos, Deutschland sei in Sachen Klimaschutz führend, auf der UN-Klimakonferenz 1995 in Berlin mit seinem Versprechen, bis 2005 ein Viertel des Ausstoßes von Treibhausgasen einzusparen. Das Ziel wurde – nebenbei bemerkt – nicht erreicht. Dennoch versuchte man unentwegt, den internationalen Konkurrenten mit ambitionierten Reduktionszielen zu schaden und die eigene Industrie mit dem Verweis auf das bisher Erreichte möglichst weitgehend von Verpflichtungen freizuhalten.
An den Mythos vom vorbildlichen Klimaschützer Deutschland knüpfte die Kampagnenarbeit des Bundespresseamts für Bundeskanzlerin Merkel im »Klimajahr« 2007 an. Es bestand die Notwendigkeit für Merkel, sich weiter außenpolitisch zu profilieren, und, während Deutschland die europäische Ratspräsidentschaft und die G8-Präsidentschaft innehatte, die Möglichkeit für die Bundesregierung, den Großereignissen um den G8-Gipfel in Heiligendamm eine Überschrift zu geben. Gleichzeitig bot das Thema Klima die Chance, sich bei den heimischen Wählern beliebt zu machen. Beides gelang. Die EU beschloss, ihren Ausstoß an Treibhausgasen um mindestens 20 Prozent bis 2020 zu reduzieren und den Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch von sechs auf 20 Prozent zu erhöhen. Die größten Industriestaaten und Russland ließen in Heiligendamm verlautbaren, sie seien bereit, »ernsthaft zu prüfen«, ob eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2050 möglich sei. Dieses Ziel wurde im vergangenen Jahr im japanischen Hokkaido beschlossen.
Das Problem der Imageberater Merkels besteht derzeit darin, das Bild der »Retterin des Weltklimas« möglichst unauffällig wieder loszuwerden, wo doch vor allem die Wirtschaft angekurbelt werden soll und die Profitraten steigen sollen. Und zumal nicht sicher ist, ob man nicht bei Gelegenheit wieder die »Klimakanzlerin« gebrauchen könnte. Insbesondere nach der Verabschiedung des »ersten Konjunkturpakets« und vor dem EU-Ratsgipfel zur Klimapolitik gab es in bürgerlichen Medien Aufklärungsbedarf. So sahen etwa Michael Bauchmüller und Jeanne Rubner in der Süddeutschen Zeitung eine veritable Wende Merkels von der »Klimakanzlerin« zur »Konjunkturkanzlerin«. Es wird derzeit ein Krisenszenario aufgebaut, das mit ein bisschen Konjunkturpolitik allein nicht zu bewältigen sein wird. ­Außerdem verschwindet die Klima- und Energieversorgungskrise ja nur vorübergehend aus den Medien, um früher oder später umso deutlicher wieder aufzutauchen – spätestens, wenn die Polkappen im Sommer eisfrei sein sollten oder der Ölpreis mit der wieder anspringenden Weltkonjunktur eine neue Rekordhöhe erreicht.

In der Auseinandersetzung zwischen fordistischen Industrien und den Umwelttechnologien hat sich die Kanzlerin im vergangenen Jahr eindeutig auf die Seite der Old School geschlagen. So ist es nicht zuletzt ihrem Engagement zu verdanken, dass sich die europäische Autoindus­trie bei der Festlegung des Grenzwerts für den CO2-Ausstoß bei Neuwagen durchsetzen konnte. Bis 2015 müssen die Hersteller nun faktisch den Verbrauch der von ihnen produzierten Fahrzeuge nicht senken. Erst dann werden sie sich am Grenzwert von 120 Gramm pro Kilometer orientieren müssen, einem Wert, den Merkel schon vor mehr als zwei Jahrzehnten als Umweltministerin gefordert hatte. Nach getaner Arbeit ließ sich die Kanzlerin mit dem Satz zitieren: »Wir arbeiten für Arbeitsplätze und moderne Autos.«
Den Befürwortern einer ökologisch orientierten Industriepolitik ist die Folgerichtigkeit ihrer Argumentation nicht abzusprechen. Als Beispiel sei ein Kommentar von Jürgen Polzin aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung angeführt: »Die Bundeskanzlerin rettet Arbeitsplätze, wenn sie Abstriche beim Klimaschutz fordert. Gleichzeitig gefährdet sie durch ihr Festhalten an veralteten Strukturen die Jobs in den Zukunftsmärkten. Deutsch­land wird einen riesigen Startvorteil haben, weil es früher als andere auf Umwelttechnologien gesetzt hat. Und deswegen brauchen wir ein neues, weltweites Klimaschutzabkommen.« Da die Bundesregierung aber wohl realistischerweise davon ausgeht, dass es in absehbarer Zeit kein wirksames internationales Klimaschutzabkommen geben wird, taugen auch die entsprechenden Umwelttechnologien nicht mehr als »Startvorteile«. Filter statt Wandel, lautet die Devise. Bestes Beispiel sind die Experimente dazu, wie man Kohlendioxid aus den Abgasen von Kohlekraftwerken herauslösen und lagern kann.
Genau diese Kohlekraftwerke sollen nach den Beschlüssen des Europäischen Rats vom Dezember gefördert werden. Schon zuvor hatte die Kanzlerin gedroht: »Der EU-Gipfel wird keine Klimaschutz-Beschlüsse fassen, die in Deutschland Arbeitsplätze oder Investitionen gefährden. Dafür werde ich sorgen.« Und das tat sie dann wohl auch. So müssen, gemäß den europäischen Vereinbarungen zum Emissionshandel, voraussichtlich kaum mehr als zehn Prozent der Unternehmen für die Emissionszertifikate bezahlen. Die EU-Kommission wollte den Anteil der zu versteigernden Zertifikate vom Jahr 2013 an allmählich von 20 auf 100 Prozent erhöhen.

Aber egal, ob ein bisschen mehr oder weniger bezahlt werden muss, am widersprüchlichen Verhältnis zwischen Arbeitsplätzen, Klima und kapitalistischer Produktionsweise ändert das nichts. Der erhöhte Einsatz von maschineller Arbeit ersetzt massenhaft menschliche Arbeit und führt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe zum Klimawandel. Wobei dies nur ein Aspekt ist, wenn auch ein wichtiger. Darüber hinaus wären die Entwicklungen in anderen öko­logisch wichtigen Bereichen wie etwa der Land- und Forstwirtschaft zu betrachten. Eine Eigen­kapitalrendite von 25 Prozent, wie sie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, forderte, ist jedenfalls kaum ohne Umweltschäden zu erreichen.
Deshalb muss es vorläufig der beschwörende Voluntarismus der Kanzlerin tun, den sie in ihrer Neujahrsansprache zum Ausdruck brachte: »Und wir werden bei allem, was wir tun, nicht alte Fehler wiederholen und Wirtschaft und Umwelt gegeneinander ausspielen. Wirtschaft und Klimaschutz, Klimaschutz und Wirtschaft – das geht zusammen, wenn man es nur will. Und wir wollen es.«