CÉSAR BRIE im Gespräch über Rassismus und Theater in Bolivien

»Unser Ziel ist es, Schönheit zu schaffen«

César Brie ist Theaterdirektor des Teatro de los Andes, das er in der Nähe der bolivianischen Hauptstadt Sucre aufgebaut hat. Neben seiner Arbeit als Theaterdirektor schreibt der gebürtige Argentinier für verschiedene Zeitungen und hat kürzlich mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern ei­ne Produktionsfirma für Dokumentar- und Spielfilme gegründet, die Artes Andes América. Ihr erster Dokumentarfilm, »Humillados y Ofendidos«, über die rassistischen Ausschreitungen gegen indigene Bauern im Mai 2008 hat für großes Auf­sehen gesorgt. Derzeit dreht das Team einen Dokumentarfilm über das Massaker im Amazonas-Department Pando, wo paramilitärische Gruppen im September 2008 auf Sympathisanten der Regierung schossen und 20 Menschen töteten.

Sie positionieren sich mit Ihrer künstlerischen Arbeit auf Seite der Indígenas. Wie nehmen Sie aus Ihrer Erfahrung den Rassismus in Bolivien wahr?
Mit dem Aufstand der Arbeiter von 1952 haben sich in Bolivien viele Dinge verändert, allerdings gelang dabei nicht der Aufbau eines souveränen Staa­tes unter Gleichen. Die Diskriminierung der Indígenas ging weiter, wenn auch versteckt hinter dem leeren Diskurs über »Pluri-« und »Multikulturalismus«. Die Indígenas, die in die Stadt kamen, waren immer »Scheißindios«, die immerhin wunderbar tanzen und tolle Musik machen konnten.
Der Rassismus in Bolivien hat heute eine wesent­liche politische Komponente. Es gibt einen Satz von dem Sozialisten Marcelo Quiroga über den Pro­zess gegen den ehemaligen Diktator Hugo Banzer: »Auf der Anklagebank sitzt eine soziale Klasse, die Präsidenten, Minister auswechselt, aber niemals auf die Kontrolle der politischen Macht verzichtet, die sich aus ihrer ökonomischen Macht ableitet.« Dieser Satz trifft auch heute für eine so­ziale Klasse zu, die noch die ökonomische Macht besitzt, aber nicht mehr die politische. Die Ereignisse in Sucre waren ein Beispiel dafür. Dort haben im Mai Anhänger der rechtskonservativen Op­position indigene Bauern angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Offenbar stört es viele Leute in der Hauptstadt, von einem Indígena wie Evo Morales regiert zu werden. Diese Art von Rassismus geht nicht von weißen, blonden Gringos aus, sondern von Teilen der indigenen Bevölkerung selbst. Man muss den hassen, der man war, um als jener zu erscheinen, der man gerne wäre.
Das haben Sie in Ihrem Dokumentarfilm »Humillados y Ofendidos« aufgezeigt. Was waren Ihre Erfahrungen in Sucre dabei?
Nachdem in Sucre 2006 die verfassungsgebende Versammlung eingerichtet worden war, begann die Mittelklasse mit Demonstrationen gegen die Regierung. Die rechte Opposition versuchte ständig, die verfassungsgebende Versammlung zu blockieren. Dazu erfand die politische Elite in Sucre ein neues Thema, um ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen zu sichern: die Verlegung des Regierungssitzes von La Paz nach Sucre. In einem Artikel für die lokale Presse äußerte ich mich gegen diesen Vorschlag. Als mein Artikel schließlich publiziert wurde, war der diskursive Kampf bereits verloren. Ich wurde mit rassistischen Untertönen angegriffen, als »Scheißargentinier« und »Ausländer« beschimpft, während ich vorher der »große Künstler aus Chuquisaca« war – dem Department, in dem Sucre liegt.
Sie drehen gerade eine Dokumentation über das Massaker an Dutzenden Indígenas und Gewerkschaftern im Pando Department im September 2008. Welche Unterschiede und Gemein­samkeiten sehen Sie in den Geschehnissen von Sucre und Pando?
Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Die Indígenas und Bauern, die auf der untersten sozialen Stufe stehen, werden rassistisch ausgegrenzt und diskrimi­niert. In Sucre wurden Anhänger der Regierungspartei Mas brutal angegriffen, in Pando kam es zum Massaker durch paramilitärische Gruppen. Aber was dahinter steckt, ist dasselbe.
Wie nehmen Sie nun die Stimmung in Sucre wahr, nachdem Ihr Film gezeigt wurde?
Viele Medien sind weiterhin die feindlichste Kraft gegen die Regierung. Aber nachdem Sucre jetzt eine Campesina als Landeshauptfrau hat, können die Anhänger der Opposition keine Bau­ern mehr schlagen. Weil mein Name bekannt ist, bin ich dort der einzige, den sie beißen können. Sie verübten bereits drei Attentate auf mich und sie erklären alle zwei Tage, dass ich Sucre ver­lassen soll. Es ist, wie einen alten Hund zu schlagen, ich kann mich nicht verteidigen, ich bin nicht von der Mas, habe auch keine Leibwächter.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Politik und Kunst, sowie zwischen Ihrer Kunst und der der Campesinos?
Es gibt keinen Tanz in Bolivien, der nicht aus dem ländlichen Raum kommt, die schönsten Melodien stammen vom Land. Das nimmt man den Cam­pesinos und lässt sie links liegen. Als Künstler kann ich nicht Teil des Politischen sein, denn die Künstler müssen die Wahrheit sagen, wenn die Politiker lügen. Aber wenn ich als Intellektueller etwas zum Veränderungsprozess in diesem Land beitragen kann, dann ist es großartig, hier zu sein.
Ich bin aus Argentinien aus politischen Gründen geflohen und habe 18 Jahre in Bolivien gearbei­tet, um etwas im kulturellen Bereich dieses Landes zu ändern. Mit unserer Arbeit trugen wir zum ästhetischen Gedächtnis Boliviens bei. Ich habe nicht das Gefühl, Zeit verloren zu haben, und ich fühle, dass sich mit den Ereignissen in Sucre etwas in mir verändert hat. Deshalb möchte ich, wenn wir diese Tournee beendet haben, ein Theater der Campesinos aufbauen, in dem auf Quechua gesprochen wird.
Wie war Ihre Arbeit als Theaterdirektor der letzten Jahre und was würden Sie als das Ziel Ihrer Arbeit sehen?
Meine Arbeit als Theaterdirektor ist ähnlich wie die eines Zollbeamten, um es mit Brecht auszudrücken. Ich frage meine Compañeros, was sie in sich tragen, und versuche, es in einer gewissen Form herauszubringen. Dieselbe Rolle als Zollwäch­ter nehme ich hinsichtlich des politischen und gesellschaftlichen Klimas dieses Landes ein: Was sind seine Pulsschläge? Wohin gehen wir? Was sind die Hoffnungen, Träume, Schwierigkeiten …
Das Ziel unseres Theaters in Bolivien ist es, Schönheit zu schaffen mit einem Theater, das die Gegenwart und die Geschichte unseres Landes durchquert. Wir versuchen, mit Formen und Sprachen zu experimentieren und die automatisierte kulturelle Ausgrenzung und Marginalisierung zu durchbrechen, indem wir in großen Theatern ebenso wie in Dörfern und kleinen Orten auftreten.
Sie sagen, dass das Theater nicht Teil der Ausdrucksformen der Campesinos ist. Warum widmen Sie sich dann dieser Kunstform?
Es stimmt, dass die Form des Theaters, wie wir sie im Westen kennen, in der andinen Kulturtradition nicht präsent war, hingegen entwickelten sich andere Ausdrucksformen wie die mündliche Erzählung, der Tanz, die Musik, Rituale und Feste. Ich habe mich mein ganzes Leben dem Theater gewidmet, schon meine Eltern machten Theater. Das Theater ist eine Kunst, die sich aus anderen Kunstformen zusammensetzt, und in dieser Unvollkommenheit gründet seine Kraft. Das Theater kann manchmal durch die Wahrheit und die Schönheit erleuchtet werden. Das habe ich immer gesucht.
Sie haben erzählt, dass Sie in Zukunft Theater mit den Campesinos machen wollen. In was unterscheiden Sie sich dann von dem Stadtmen­schen, die Campesinos nur als Kulturlieferanten verstehen?
Theater mit Campesinos zu machen bedeutet für mich, Quechua zu lernen und all meine Technik und all mein Wissen dieser Arbeit zur Verfügung zu stellen. Ich möchte mich nicht durch die Campesinos selbst vertreten, sondern ich möchte sie dabei unterstützen, ihr eigenes Theater zu machen.
Abgesehen davon gefällt es mir nicht, von »dem Campesino« zu sprechen, sondern eher von Men­schen, deren kulturelle Wurzeln in den ländlichen und marginalen Zonen Boliviens liegen. Es soll ein Theater für diese und von diesen Personen werden.