Was hat Israel mit dem Krieg erreicht?

Ein Krieg, zwei Sieger

Nach dem Waffenstillstand im Gaza-Streifen spricht Ministerpräsident Olmert von einem Erfolg, doch die Situation ist für Israel nicht besser als zuvor.

Seit dem Wochenende ist der Krieg im Gaza-Streifen offiziell beendet, der Abzug der israelischen Truppen hat begonnen. Ob die Kämpfe tatsächlich vorüber sind, ist eine andere Frage. Am Samstagabend hatte das israelische Sicherheitskabinett einen Waffenstillstand beschlossen. Nach einigem Zögern erklärte dann auch die Hamas am Sonntagnachmittag eine Waffenruhe. Zwischen den beiden Erklärungen waren noch einmal mindestens 17 Raketen auf Israel niedergegangen, gefolgt von einem Gegenangriff der israelischen Luftwaffe, bei dem ein Palästinenser getötet wurde. Bis Redaktionsschluss ist es dann weitgehend ruhig geblieben, doch es ist eine gespannte Ruhe.
Für beide Seiten ist ein dauerhafter Waffenstillstand an Bedingungen geknüpft. Israel will seine Truppen erst dann vollständig aus dem Gaza-Streifen abziehen, wenn der Beschuss mit Raketen tatsächlich aufhört und ein Weg gefunden worden ist, um die Waffenlieferungen an die Hamas zu beenden. Die Hamas erklärte, dass sie den Waffenstillstand nur dann aufrechterhalten wird, wenn alle israelischen Soldaten umgehend den Gaza-Streifen verlassen und die Grenzen geöffnet werden.

Die Entscheidung für den Waffenstillstand war das Ergebnis zunehmenden internationalen Drucks und heftiger Auseinandersetzungen innerhalb der israelischen Führung. Noch wenige Tage zuvor hatte Ministerpräsident Ehud Olmert erklärt, dass der Einsatz fortgesetzt werden müsse. Damit hatte er sich nicht nur gegen seine Außenministerin Zipi Livni und seinen Verteidigungsminister Ehud Barak gestellt. Auch die Militärführung hatte immer stärker auf ein Ende der Aktion gedrängt, um zu vermeiden, dass in einem Straßenkampf in den städtischen Zentren des Gaza-Streifens viele weitere Zivilisten, vor allem aber auch zahlreiche israelischer Soldaten getötet werden.
Viele Beobachter sahen in Olmerts Erklärung den Versuch, kurz vor dem Ende seiner Amtszeit sein Bild in den Geschichtsbüchern zu korrigieren, die ansonsten den verlorenen Libanon-Krieg und die Korruptionsvorwürfe hervorheben würden. Möglicherweise sollte dies auch ein späteres politisches Comeback vorbereiten. Livni und Barak hingegen wollen schon in drei Wochen eine Wahl gewinnen.
Dass dies nicht einfach wird, zeigt eine Umfrage, die die Zeitung Ha’aretz am Freitag voriger Woche veröffentlichte. Demnach verloren zwar sowohl Kadima, die Partei Livnis, als auch die nationalistische Likud-Partei von Benjamin Netanjahu Stimmen, während Baraks Arbeitspartei ihre Position halten konnte. Doch der Likud bleibt die bei weitem stärkste politische Kraft, auch änderte sich an der geringfügigen Mehrheit der rechten Parteien nichts. Dass sich der Wahlkampf wohl vor allem um das Thema Sicherheit drehen wird, konzentriert auf die militärische Abschreckung, nicht auf Verhandlungen, kann nur der Rechten in die Hände spielen.
Die Regierungsbildung dürfte in jedem Fall sehr schwierig werden, insbesondere für ein Mitte-Links-Bündnis. Dieses wäre nämlich entweder darauf angewiesen, mit mindestens einer der rechten Parteien zu kooperieren, oder aber sich von den Abgeordneten der arabischen Parteien tolerieren zu lassen. Um eine rechtsnationalistische Regierung zu verhindern, waren die arabischen Abgeordneten bislang meist dazu bereit, Mitte-Links-Koalitionen zu unterstützen.

Dies könnte sich nun ändern, nachdem Kadima den Versuch unterstützt hat, die zwei rein arabischen Parteien Balad und United Arab List von den Wahlen ausschließen zu lassen. Den Parteien wird vorgeworfen, die arabischen Israelis aufzuhetzen, den Terrorismus zu unterstützen und das Existenzrecht Israels nicht anzuerkennen. Alle Experten gehen davon aus, dass das Oberste Gericht die Vorwürfe für haltlos befinden wird und die beiden Parteien an den Wahlen teilnehmen dürfen. Ob sie dann aber noch als Verbündete einer von Kadima geführten Regierung gelten können, scheint fraglich. Ahmed Tibi, der Vorsitzende der United Arab List, erklärte bereits, dass eine solche Unterstützung nicht mehr in Frage käme, da Livni aus der Sicht arabischer Israelis schlimmer sei als Netanjahu.
Balad drohte sogar damit, ein eigenes arabisches Parlament einzuberufen. Die arabisch-jüdische Partei Hadash, ein Bündnis, in dem vor Jahren auch die Kommunistische Partei Israels aufgegangen ist, lehnt derartige Ideen ebenso ab wie einen Boykott der Wahlen. Offenbar lassen sich auch die wenigsten arabischen Israelis von den Hardlinern auf beiden Seiten davon überzeugen, dass es eine Alternative zu ihrer Integration in den israelischen Staat gibt. Zu Solidaritätsbekundungen gegenüber der Hamas ist es bislang nicht gekommen. Das Vertrauen zu Kadima und zur Arbeitspartei dürfte aber weder durch die Maßnah­men gegen die arabischen Parteien noch durch den Gaza-Krieg gewachsen sein.
Genauso wenig hat der Krieg zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Israel und den arabischen Ländern beigetragen. Die Bilder der Zerstörungen in Gaza haben in der arabischen Öffentlichkeit die Vorstellung aufrechterhalten, dass Israel keine friedliche Lösung des Konflikts wolle. Die arabischen Gegner der Hamas, allen voran Ägyptens Präsident Hosni Mubarak und der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas, stehen dem Problem gegenüber, dass wegen des Krieges jede Kooperation mit Israel als Verrat an den Palästinensern interpretiert wird. Die Hamas hingegen wird inzwischen nicht mehr nur von Syrien und dem Iran, sondern auch von bisher eher neutralen islamischen Ländern wie Algerien oder der Türkei als legitime Repräsentantin der Palästinenser betrachtet.

Vor allem aber dürfte es für die gemäßigten Palästinenser schwieriger werden, die Bewohner des Gaza-Streifens davon zu überzeugen, dass ein Frieden mit Israel eine Alternative zur Herrschaft der Hamas ist. Für die israelische Strategie spielt all das keine entscheidende Rolle. Mit ihr wird weiterhin versucht, durch die Demonstration militärischer Stärke die Araber zur friedlichen Ko­existenz zu zwingen. Vor dem Hintergrund der Geschichte des Landes ist dies verständlich, angesichts der perversen ideologischen Struktur von Gruppen wie der Hamas aber eine fragwürdige Strategie. Die Islamisten sehen sich als Sieger, jeder tote Palästinenser ist für sie ein »Märtyrer« und ein Beweis für ihren erfolgreichen Kampf gegen den zionistischen Erzfeind.
So stellt sich die Frage, was Israel mit diesem Krieg erreicht hat. Ob Olmerts Erklärung zutrifft, dass die Hamas schwere militärische Schläge erlitten und ihre Fähigkeit verloren habe, Israel weiter mit Raketen zu bedrohen, scheint angesichts des Kriegsverlaufs mehr als zweifelhaft, ebenso wie die viel gepriesene abschreckende Wirkung des Militärschlags. Die Hamas wird auch weiterhin den Gaza-Streifen kontrollieren. Die Situation stellt sich für Israel nicht wesentlich anders dar als vor der Militäraktion, nur ist die Hamas noch selbstbewusster und die Bevölkerung im Gaza-Streifen noch verzweifelter. Das ganze Ausmaß des Schadens für den Friedensprozess wird sich erst mit der Zeit ermessen lassen.