Die ersten innenpolitischen Entscheidungen von Barack Obama

Keine Zeit zum Angeln

Bereits vor der Amtsübernahme musste Obama innenpolitische Entscheidungen treffen. Den versprochenen Wandel will er auch gemeinsam mit Republikanern bewirken.

Die Party ist vorbei. Nach den Feiern und Gebeten zur Amtseinführung muss Barack Obama beweisen, dass er keine zu hohen Erwartungen geweckt hat und tatsächlich einen change einleiten kann. Er ist weiterhin überaus populär, einer Umfrage von CNN zufolge sind über 80 Prozent der US-Bevölkerung mit seiner Arbeit während der Übergangsphase zwischen Wahl und Amts­übernahme zufrieden. Doch ein reibungsloser Übergang sieht anders aus, Obama hatte bereits mit den ersten Problemen zu kämpfen, bevor er im Weißen Haus einziehen konnte.
Er stand unter erheblichem Druck, sich in die Tagespolitik einzumischen. George W. Bush, der nur noch um die 25 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung genoss, konnte und wollte in der Übergangsphase keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen. Er gönnte sich eine ausgedehnte Weihnachtspause, anschließend unternahm er eine Art Abschiedstournee durch die Studios der Fernsehsender und erprobte bei längeren Angelausflügen schon mal, wie es sich so als Rentner lebt. Die Staatsgeschäfte wurden zum ersten Mal in der Geschichte der USA von Chicago aus gelenkt, wo Obama seine politische Karriere begonnen hatte.
Überdies standen drängende Fragen zur Debatte, vor allem in der Wirtschaftspolitik. Obama war von vielen Kongressmitgliedern und sogar von Bush selbst aufgefordert worden, nach seiner Wahl umgehend zu handeln. Mehr oder minder haben Obama und das von ihm designierte Kabinett um den künftigen Finanzminister Timothy Geithner dies auch getan, Mitte Dezember etwa, als sein Stab der noch amtierenden Regierung die Konditionen des ersten von vermutlich mehreren »Rettungspaketen« für die US-Automobilhersteller General Motors und Ford in der Höhe von 17 Milliarden Dollar diktierte.
In die Außenpolitik hingegen wollte Obama sich noch nicht einmischen. So blieb im Dezember beim internationalen Gipfel zur Weltwirtschaftskrise unklar, welche Rolle die USA in Zukunft spielen werden. Dubiose Äußerungen des nordkoreanischen Regimes über seine Nuklearrüstung wurden nicht beantwortet, und die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas kommentierte Obama erst nach dem Waffenstillstand.

Wegen der Auswahl seiner Kabinettsmitglieder wurde Obama auch mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, die zwar nicht ihn persönlich betreffen, seinem Image jedoch schaden könnten. Da die Demokraten im Senat, der die Kabinettsmitglieder bestätigen muss, 59 von 100 Sitzen innehaben, hat Obama nicht zu befürchten, dass die von ihm Nominierten durchfallen. Der für den Posten des Handelsministers vorgesehene Bill Richardson, Gouverneur des Bundesstaates New Mexico und ehemaliger Präsidentschaftskandidat und Energieminister unter Präsident Bill Clinton, wird allerdings nicht dabei sein: Die schon seit einiger Zeit kursierenden Korruptionsvorwürfe zwangen ihn zum Rückzug.
Die Bestätigung Hillary Clintons als Außenministerin dürfte hingegen unproblematisch sein. Obwohl sie seit 1992 eine Hassfigur der Republikaner ist, profitiert sie wohl von ihrer Zeit im Senat. Bei ihrem Nominierungsbesuch im außenpolitischen Ausschuss gab es nur Lob für die ehemalige Kollegin. Dass es Interessenkonflikte geben könnte, weil Bill Clintons Stiftungen internationale Geschäfte machen, ihnen unter anderem zu enge Kontakte zu einigen zentralasiatischen Diktaturen nachgesagt werden, interessiert zwar die Presse, die Senatoren aber offensichtlich nicht.
Der designierte Finanzminister Timothy Geithner, ehemaliger Präsident der Notenbank von New York, hatte bis vor kurzem Probleme mit dem Finanzamt. Seit Jahren war eine Steuerrechnung in Höhe von einigen zehntausend Dollar aus seiner Zeit beim Internationalen Währungsfonds offen. Zudem hat er ein unter Politikern in Washington nicht seltenes Problem. Offenbar beschäftigte er eine Zeit lang eine illegalisierte Migrantin als Putzfrau in seinem Privathaushalt, ein Vergehen, das immer wieder in Washington hohe Politiker zum Rücktritt gezwungen hat.
Auch Obamas Stabschef im Weißen Haus, Rahm Emanuel, musste vorübergehend um sein Amt fürchten. Obama war vor seiner Wahl zum Präsidenten Senator für Illinois. Nachdem er das Amt niedergelegt hatte, wurde der demokratische Gouverneur Rod Blagojevich von der Staatsanwaltschaft bei dem Versuch ertappt, den frei gewordenen Sitz meistbietend zu verkaufen. Emanuel stand mehrmals während dieser Zeit in Verbindung mit dem Gouverneur. Offenbar war Valerie Jarrett, eine enge Verbündete Obamas, die Wunsch­kandidatin für dessen Sitz. Internen Berichten zufolge hat Emanuel jedoch Blagojevichs Angebot »pay to play« dankend abgelehnt, Jarrett wurde stattdessen zur Beraterin Obamas im Weißen Haus ernannt. Als der Staatsanwalt Patrick Fitzgerald der Öffentlichkeit den Mitschnitt eines Telefonanrufs Blagojevichs vorstellte, in dem der Gouverneur die Ablehnung Obamas mit einem »fuck them« quittierte, wurde jedoch deutlich, dass Emanuel sich nicht auf dubiose Geschäfte eingelassen hatte.
Es gibt auch politische Kritik an einigen Personalentscheidungen Obamas. Larry Summers, ehemaliger Finanzminister unter Clinton und designierter Berater Obamas im Weißen Haus, hat das Problem, dass er Ende der neunziger Jahre die Deregulierung des Finanzmarkts nicht nur befürwortete, sondern auch an den politischen Entscheidungen maßgeblich beteiligt war. Überdies erregte Summers im Jahr 2005 als Präsident der Harvard University einiges Aufsehen, als er behauptete, dass Frauen weniger Talent für Mathematik und Naturwissenschaften hätten als Männer. Er musste sein Amt in Harvard niederlegen, seine Ernennung ist nicht gerade populär in linken und feministischen Kreisen. Als Berater des Präsidenten muss er nicht vor dem Senat erscheinen, anders als Geith­ner, dessen Bestätigung jedoch als sicher gilt.
Bereits vor der Amtseinführung äußerten linke Kritiker Zweifel, ob Obama tatsächlich wie versprochen das Gefangenenlager in Guantánamo schließen und im »war on terror« rechtsstaatliche Prinzipien durchsetzen würde. Wohl auch um solchen Zweifeln entgegenzutreten, wurde Leon Panetta, ein weiterer ehemaliger Stabschef Clintons, zum Direktor der CIA ernannt. Panetta ist ein erklärter Gegner der unter Bush eingeführten Verhörmethoden und beschäftigte sich als Kongressabgeordneter auch mit Bürgerrechtsfragen, über Erfahrungen im Spionage- und Geheimdienst­geschäft verfügt er jedoch nicht.
Seine Ernennung rief zunächst heftige Ablehnung hervor, wohl vor allem, weil Obamas Team offenbar die Meinung der neuen Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses im Senat, der kalifornischen Demokratin Dianne Feinstein, nicht vorab eingeholt hatte. Obamas Unterstützer verweisen darauf, dass Insider des Geheimdienstgeschäfts für acht Jahre des Missmanagements und möglicherweise auch für illegale Aktivitäten verantwortlich seien und es daher nötig sei, den Geheimdienst von einem Direktor führen zu lassen, der nie in solche Praktiken verwickelt war.

Ohnehin ist der CIA-Direktor nicht mehr der mächtigste Geheimdienstler der USA. Seit dem Jahr 2004 gibt es einen Director of National Intelligence, der die Arbeit der 16 Geheimdienste koordiniert und den Präsidenten in Fragen der »nationalen Sicherheit« berät. Diesen Job übernimmt Admiral Dennis Blair. Linke inner- und außerhalb des Kongresses kritisieren diese Wahl Obamas, da es unklar ist, wie Blair in den vergangenen Jahren in die Vergehen Bushs verwickelt war. Auch die Entscheidung Obamas, den seit 2007 amtierenden Verteidigungsminister Robert Gates weiter zu beschäftigen, wird vom Antikriegsflügel der Demokraten sowie der Friedensbewegung abgelehnt.
Die Auseinandersetzung mit der Senatorin Feinstein war ein erstes Zeichen dafür, dass Obama trotz der demokratischen Mehrheit Probleme mit dem Kongress bekommen könnte. Auch wenn der Präsident und die Mehrheit der Abgeordneten der gleichen Partei angehören, gibt es Differenzen zwischen der Exekutive im Weißen Haus und der Legislative auf dem Capitol Hill, einflussreiche Kongressmitglieder vertreten ihre Interessen auch gegen einen Präsidenten, der ihr Parteifreund ist.
Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, widersprach Obama bereits. Die zu den linken Abgeordneten zählende Politikerin gab jüngst bekannt, dass sie, im Gegensatz zu Obamas offiziellen Plänen, auf eine schnelle Rücknahme der unter Bush beschlossenen Steuererleichterungen für Reiche besteht. Darüber hinaus bekräftigte Pelosi ihr Interesse an einer offiziellen Untersuchung möglicherweise strafbarer Handlungen der Regierung Bushs. Unter linken Demokraten wird auch über eine Art »Wahrheitskommission« gesprochen. Obama dagegen scheint kein Interesse an einer juristischen Aufarbeitung der Politik seines Vorgängers zu haben, die, ungeachtet der Tatsache, dass Bush äußerst unpopulär ist, die Republikaner wohl gegen ihn aufbringen würde.

Kritiker werfen Obama vor, den Republikanern zu viele Zugeständnisse zu machen, statt die ideo­logische und machtpolitische Schwäche der Konservativen zu nutzen. Und dies nicht nur auf symbolische Weise, wie durch die Einladung des homophoben Predigers Rick Warren zu seiner Amtseinführung, sondern auch konkret. Eine derartige Strategie könnte sich jedoch auszahlen, wie die jüngste Verabschiedung des ersten fortschrittlichen Gesetzes unter Obamas Führung zeigt. Ungefähr 40 Prozent der republikanischen Senatoren stimmten mit Obama und den Demokraten für die Wiederherstellung der Antidiskriminierungsgesetzgebung bei der Lohngleichheit. Angesichts der vielen heiklen Themen, die in den kommenden Monaten zur Debatte stehen, hofft Obama sicherlich, häufiger auf republikanische Unterstützung zurückgreifen zu können, auch wenn die Linken darüber nicht glücklich sind.