Ein Gespräch über den 10. Geburtstag des Club Transmediale

»Wir sind einfach zu komplex«

Der Club Transmediale, das Berliner Festival für experimentelle Musik, das aufregendste seiner Art in Deutschland, feiert seinen 10. Geburtstag und reflektiert dabei das eigene Tun. Ein Gespräch mit den Organisatoren Oliver Baurhenn, Jan Rohlf und Remco Schuurbiers

Thematisch soll es bei der Transmediale dieses Jahr um »Structures« gehen. Was hat man darunter zu verstehen?
Jan Rohlf: Zum zehnjährigen Jubiläum der Transmediale wollen wir zurückblicken. Nochmals reflektieren: Wo sind wir gestartet, was war die Situation zu Beginn, was war da unsere Motivation, was ist in den zehn Jahren passiert und wie geht es weiter?
Die Frage in diesem Jahr lautet vor allem: Wer protegiert eigentlich die experimentelle, unabhängige Musikkultur? Der Nährboden sind einzelne Projekte, Künstler und Labels, das ist klar. Doch dahinter stecken meist Einzeltäter, die einfach engagierte Arbeit leisten – unter oft sehr schwierigen, prekären Bedingungen und mit sehr viel persönlichem Einsatz. Das rückt thematisch zwar kulturpolitisch ab und an in den Fokus, im Grunde aber wird dieser Sachverhalt trotzdem sehr stiefmütterlich behandelt.
Wir wollen in diesem Zusammenhang Independent-Strategien hinterfragen und vielleicht sogar klären: Lässt sich Erfolg unabhängig von Geld oder Popularität messen?
Wie wird diesen Fragen in der Praxis nach­gegangen?
Jan Rohlf: Wir wollen Gespräche mit Künstlern zu ihren Biographien führen. Etwa mit Wolfgang Voigt, der unter seinem Projektnamen Gas das Eröffnungskonzert der Transmediale spielen wird. So jemanden kann man zum Beispiel fragen, warum er zwischendrin einfach mal aufgehört hat, Musik zu machen. Oder aber: Mit welcher Strategie hat er damals das Kölner Technolabel Kompakt gegründet und wo will er damit noch hin? Wir denken aber auch darüber nach, Leute zum Dialog einzuladen, deren aktivste Zeit schon lange zurück liegt. Da wäre zum Beispiel jemand wie John Sinclair.
… der einstige Manager der Band MC 5 und ehemals Vorsitzender der Underground-­Organisation White Panthers …
Jan Rohlf: Genau. Der kommt ja sozusagen aus einer Frühphase der Independent-Kultur. Also aus einer Zeit, in der Leute beschlossen, sich von vorhandenen Strukturen der Industrie unabhängig zu machen und eigene aufzubauen – aber mit einem ganz anderen politischen Ansatz, als das heute oft der Fall ist. Die Frage ist: Wie bewertet John Sinclair das heute aus der Außenperspektive?
ybYBill Drummond von The KLF, der gerade sein Chor-Projekt »The 17« begründet hat, wird auch Rede und Antwort stehen.
Jan Rohlf: Bill Drummond stand von Anfang an ganz oben auf der Liste. »The 17« ist ein hoch-interessantes Projekt, das sich viele der Fragen stellt, die wir dieses Jahr auch behandeln wollen. Vor allem die Problematik der Qualität der Musik außerhalb der Produktökonomie als Basis.
Über diesen Weg wollen wir auch auf die Rolle der Amateurmusik in der Kultur kommen, zu den Dilettanten. Welchen Anteil haben solche Menschen eigentlich an der Entwicklung der Kultur oder der Technik? Da kann man tolle Beispiele bringen, bis hin zu Bill Gates, der ja auch einst in einer Art Hobbyclub angefangen hat zu programmieren.
Die erfolgreichen Nerds.
Jan Rohlf: Ja, aber auch Menschen, die grundsätzlich für eine andere Auffassung von Copyright stehen.
Dabei geht es auch um die Frage nach dem Selbstbewusstsein, darum, eben nicht zu sagen: »Wenn du nicht erfolgreich bist, dann bist du automatisch ein Loser.« Sondern: »Deine Arbeit ist wichtig! Dein kreativer Output ist wichtig! Du bis wichtig!«
Trotzdem sprechen Sie in Ihrer Pressemitteilung von den »Durchstartern der Saison«, die das musikalische Programm der Transmediale gestalten. Wer oder was genau ist so ein »Durchstarter«? Also doch jemand, der auch kommerziell erfolgreich ist?
Jan Rohlf: Für mich sind das einfach solche Kreative, die sehr schnell, vielleicht auch sehr kurzfristig in den öffentlichen Blick geraten sind. Im Zuge der neuen digitalen Vertriebs­wege passiert gerade dies auch häufiger und schneller.
Sie selbst sind ja »freie« Festivalorganisatoren. Reflektieren Sie beim Thema »Structures« auch Ihre eigenen Arbeitsbedingungen?
Jan Rohlf: Ja. Wir arbeiten mit sehr wenigen Ressourcen. Die finanziellen Mittel wachsen leider nicht in dem Maße, wie der Organisationsaufwand wächst. Wir haben das Gefühl, dass wir alles aus uns herausholen müssen, um dieses Festival langfristig zu sichern. Wir hinterfragen mit »Structures« also auch die prekären Bedingungen unserer eigenen Arbeit.
Wie finanziert sich so ein Festival?
Remco Schuurbiers: Der Haupstadtkulturfonds übernimmt etwa ein Fünftel der Kosten. Das meiste kommt über Sponsoren rein.
Oliver Baurhenn: Es ist aber eine Patchwork-Finanzierung. Wir haben keinen großen Sponsor an Bord.
Jan Rohlf: Für große Firmen ist unser Profil nicht eindeutig genug: Wir sind kein eindeutiges Kunst- oder Popfestival. Wir sitzen für die PR-Abteilungen zu sehr zwischen den Stühlen. Und die Besucherzahlen – so um die 12 000, allerdings in einem Zeitraum von neun Tagen – sind zwar nicht schlecht, aber für große Sponsoren dann eben doch zu gering.
Ich würde schon sagen, dass wir für Sponsoren eine interessante Zielgruppe haben. Aber wir sind einfach zu komplex, zu schwierig aufgestellt – wenn man das so sagen darf. Wir empfinden das natürlich nicht so.
Klar, wenn ein Abgesandter eines Sponsors um vier Uhr nachts den Freeform-Country-Präpunk Legendary Stardust Cowboy auf der Bühne stehen sieht, der zu dieser Zeit im vergangenen Jahr bei euch aufgetreten ist, dann wird er sich zwangsläufig fragen: Für wen machen die das hier eigentlich? Trotzdem: Betrachtet man es von außen, fragt man sich manchmal, wieso der Club Transmediale nicht interessanter ist für die stetig wachsende Kommunikationsbranche. Diese Branche boomt und sollte doch gerade unendlich viele interessante Inhalte brauchen.
Oliver Baurhenn: Klar, aber eben weil diese Branche so eine große Masse von Menschen bedient, gibt es dann eben stattdessen die neue Berliner Mega-Arena O2-World.
Die O2-World ist also das aufgeblähte Pendant zum Club Transmediale?
Jan Rohlf: Kann man so sehen. Dazu gibt es noch Veranstaltungen wie die »TDK-Timewarp« oder »Electronic Beats« mit Geld von der Telekom.
Auf der auch im Independentbereich groß gewordene Acts wie Peaches oder Hercules & Love Affair spielten.
Jan Rohlf: Ich mache den Künstlern keinen Vorwurf, dass sie mit den Sponsoren direkt zusammenarbeiten. Wir würden das ja auch tun. Aber Fakt ist auf jeden Fall, dass die Firmen mit der derzeitigen Praxis die eigenen Veranstaltungsformate bevorzugen und für unabhängige Kultur­schaffende wie uns die Arbeit immer schwieriger wird.
Könnten Sie sich auch vorstellen, das Festival in einer anderen, reicheren Stadt zu veranstalten als Berlin?
Oliver Baurhenn: Nein. Denn wir machen das Festival ja auch für Berlin. Das ist alles nicht so ohne weiteres austauschbar. Der Club Transmediale ist ein Berliner Projekt. Warum sollten wir uns eine Stadt suchen, in der wir keine Wurzeln haben, also überhaupt keinen Bezug?
Remko: Wir haben als Veranstalter natürlich schon Abende in anderen Städten gemacht, auf anderen Festivals. Aber das begreifen wir eher als Austausch innerhalb eines Netzwerks von anderen Festivalveranstaltern.
Jan Rohlf: Wir fühlen uns als Teil der für Berlin typischen Kunst-, Club- und Kulturszene, mit der wir mitgewachsen sind. In diesen Netzwerken operiert der Club Transmediale. Das ist uns wichtig und erzeugt für uns Sinn.
Der Club Transmediale inspiriert ja auch immer wieder Menschen von überall. Gerade durch dieses spezifische Berlin-Ding. Alle stecken hier mit drin: Bildende Künstler, Musiker, Clubbetreiber usw. Das spürt man auch, wenn man vor Ort ist, diese ganzen Verbindungen. Allein deshalb wäre es fatal, den Club Transmediale in eine andere Stadt zu verpflanzen. Egal, wie schwierig die Arbeitsbedingungen auch manchmal sein mögen.

www.clubtransmediale.de