Der Konflikt in Sri Lanka

Die Jagd auf die letzten Tiger

Die Armee Sri Lankas hat die Guerilla der Tamil Tigers militärisch nahezu besiegt. Doch der Konflikt bleibt ungelöst, und wer das Regime kritisiert, lebt gefährlich.

Sri Lankas Verteidigungsminister Gotabaya Rajapaksa ist sauer. Er will sich seinen Sieg über die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) nicht schmälern lassen. Der jüngere Bruder von Präsident Mahinda Rajapaksa drohte am Wochen­ende in der Hauptstadt Colombo offen auslän­dischen Botschaftern, Medien und internatio­nalen Organisationen mit »harten Konsequenzen«.
Gerade jetzt, wo man »die Terroristen der LTTE endgültig zerschmettere«, handelten auslän­dische Kräfte »unverantwortlich«. Der Tageszeitung The Island zufolge würden UN-Hilfsorga­nisationen und das Internationale Rote Kreuz zusammen mit CNN, der BBC und al-Jazeera in ­ihren Berichten das zivile Leid übertreiben. Ausländische Diplomaten, insbesondere der deutsche und der Schweizer Botschafter, versuchten, mit ihrem Ruf nach Verhandlungen die LTTE künstlich am Leben zu halten.
Gerne würden die Rajapaksas ihrem Land zum 61. Unabhängigkeitstag am 4. Februar den Sieg über die LTTE präsentieren, das wäre der Propagandacoup schlechthin. In der Tat steht der ­militärische Konflikt im Nordosten des südasiatischen Inselstaats vor einer wichtigen Zäsur. Die seit 1983 gegen die Regierung kämpfenden Tiger halten nach dem Verlust der Stadt Mullai­tivu nur noch ein Gebiet von rund 300 Quadratkilometern. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht hatten die LTTE dagegen rund ein Drittel der Insel kontrolliert und dort einen Parallelstaat aufgebaut. Die Tiger verfügten zeitweilig sogar über eine schlagkräftige Marine, 2002 war es ­ihnen gelungen, die Regierung zu einem Waffenstillstand zu bewegen.

Doch die Zeit arbeitete gegen die Tiger. Sie versäumten nicht nur, innertamilische Konflikte zu lösen, sondern verschärften sie durch den autokratischen Führungsanspruch der Clique um Velupillai Prabhakaran. Die Regierung wiederum verhinderte nach dem Tsunami von 2004 gezielt, dass die von den LTTE kontrollierten Gebiete angemessene Hilfe bekamen. Hochrangige Tiger aus dem Osten stellten sich auf die Seite der Regierung, Prabhakarans Guerilleros wurden allmählich zurückgedrängt, schließlich kündigte die Regierung im Januar vergangenen Jahres den Waffenstillstand offiziell auf (Jungle World 5/08).
Anfang dieses Jahres gelang es der Armee, die Stadt Kilinochchi, den Sitz der LTTE-Führung, einzunehmen. Danach ging es Schlag auf Schlag, am 25. Januar fiel Mullaitivu. Beide Städte sollen nahezu zerstört, die Bevölkerung soll größtenteils zur Flucht gezwungen worden sein. Unabhän­gige Berichte aus dem Nordosten der Insel gibt es kaum, da sowohl Medien als auch internationalen Beobachtern und Hilfsorganisationen wegen »Sicherheitsbedenken« seit Monaten kein Zugang gewährt wird. Deren lokale Partner zeichnen ein düsteres Bild der Lage – die Infrastruktur sei weitestgehend zerstört, die Versorgungslage in den eroberten Gebieten mangelhaft. Es herrsche ein Klima der Angst, da die Armee alle Zivilisten als potenzielle Tiger betrachte und unter ihnen die gefürchteten Selbstmordattentäterinnen vermute.
Die Bevölkerung muss teilweise in Flüchtlingslager umziehen. Offiziell heißt es, nur so könne derzeit ihre Versorgung gewährleistet werden. Von tamilischer Seite wird dies dagegen als Zwangsumsiedlung gewertet, da so langfristig die Selbstversorgung zerstört werden dürfte, weil die Äcker nicht mehr bestellt werden können. Da außerdem auch keinerlei Wartungs- und Wiederaufbaumaßnahmen an der Infrastruktur möglich wären, würde dies ein Leben in den bis­herigen Siedlungen unmöglich machen. Berichten den LTTE nahestehenden TamilNet zufolge sollen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an der Tagesordnung sein.
Besonders dramatisch soll die Lage in den noch von den Tigern gehaltenen Arealen sein. Diese entsprechen insgesamt etwa der Größe Leipzigs und bestehen überwiegend aus Dschungel und Sümpfen. Mindestens 2 000 Kämpfer haben sich dort verschanzt, darunter viele Kindersoldaten, die in den vergangenen Monaten rekrutiert wurden. Zwischen 200 000 und 300 000 Zivilisten sollen dort zusammen mit ihnen eingekesselt sein. Die Armee weist zwar so genannte Schutz­zonen aus, diese bieten jedoch kaum Sicherheit. Die LTTE beschuldigen die Armee, wiederholt mit Artillerie, Kampfhubschraubern und Bombern diese Gebiete angegriffen zu haben, die ­Armee hingegen wirft den Tigern vor, die Menschen als Schutzschild zu missbrauchen.
In den vergangenen Wochen konnten Hilfsorganisationen, trotz der bekundeten Absicht beider Kriegsparteien, zumindest einen schmalen Korridor entlang einer Straße ins umkämpfte Rebellenterritorium einzurichten, tagelang nicht mit Versorgungskonvois durchkommen. Dem UN-Flüchtlingshilfswerk gelang es am Donnerstag voriger Woche erstmals, Nahrungsmittel in den Kessel hinein- und Hunderte Verletzte herauszubringen. Was sie über die dortige Lage berichteten, führte zu den kritischen Stellungnahmen hochrangiger UN-Mitarbeiter. Denen folgten endlich Appelle zahlreicher Staaten, worauf die Regierung Sri Lankas mit der Ankündigung einer zweitägigen Waffenruhe am Wochenende reagierte.
Das ging dem Verteidigungsminister anscheinend gehörig gegen den Strich. Bisher waren er und sein Bruder zusammen mit Generalstabschef Sarath Fonseka die Hauptnutznießer der militärischen Erfolge gewesen, die Armee hat sich inzwischen ein Fünftel des Staatsetats gesichert. Mit einer in der Geschichte der Insel einmaligen Propagandaschlacht gelang es ihnen, von der anhaltenden Wirtschaftskrise und den sozialen Missständen abzulenken. Die größte Oppositionspartei UNP gratuliert kleinlaut zu den Siegen der Kriegsherren. Der Großteil der Medien schart sich im nationalistischen Sieges­taumel um den Präsidenten und seine Gefolgsleute. Der ließ sich feiern, als er die Fernstraße über den Elefantenpass zur Halbinsel Jaffna wieder eröffnete, die seit Jahren geschlossen war, weil sich die Tiger dort verschanzt hatten.

Gerne sieht es das Regime, wenn die Presse Bilder von sich ergebenden LTTE-Kämpfern zeigt, die freundlich von der Armee begrüßt werden. Man sieht Dutzende toter Kämpfer, die angeblich von ihren eigenen Leuten ermordet wurden, weil sie als Verletzte beim Rückzug hinderlich waren. Das Militär präsentiert Mini-U-Boote, die für LTTE-Selbstmordmissionen gebaut worden seien. Der Guerillaführer Prabhakaran soll sich mit einem der drei verbliebenen Kleinflugzeuge der Air ­Tigers ins Ausland abgesetzt haben, vermutlich in Richtung Malaysia. Die politische Führung der LTTE widerspricht dieser Darstellung vehement, bleibt aber seit Monaten Foto- oder Videobeweise schuldig.
Es herrscht vielerorts eine Sicherheitshysterie, unzählige Checkpoints beherrschen in Colombo und andernorts das Straßenbild. Nach einem Sieg sieht das weniger aus, vielmehr nach einem konstanten Belagerungszustand. Trotzdem gelingt es Selbstmordattentätern der LTTE immer wieder, sich in die Luft zu sprengen.
Wer gegen die rücksichtslose Taktik der Militärs ist oder die Regierung kritisiert, wird schnell als Feind gebrandmarkt. Journalistenverbände werfen der Regierung vor, starken Druck auszu­üben. Immer wieder kursieren Listen so genannter Staatsfeinde. Seit 2006 wurden nach Berichten von Amnesty international 14 Journalisten in Sri Lanka ermordet. Keine dieser Taten wurde aufgeklärt, obwohl an jeder Ecke ein Uniformierter der Polizei oder Armee steht.
Wer sich mit den Mächtigen anlegt, lebt gefährlich. Der private Fernsehsender Sirasa, dem wiederholt von Ministern der Regierung Parteilichkeit zugunsten der oppositionellen UNP vorgeworfen wurde, bekam am 6. Januar ungebetenen Besuch von einer Gruppe bewaffneter Männer, die einen Großteil der technischen Anlagen zerstörten und Feuer legten. Verteidigungsminister Rajapaksa präsentierte prompt angebliche Beweise dafür, dass diese Attacke vom Sender selbst initiiert worden sei, schließlich sei Sirasa zu einer »Stimme der Tiger« geworden und wolle sich zum Opfer stilisieren.

Wer versucht, das Regime mit den Kreisen der Attentäter in Verbindung zu bringen, die in einem Umfeld von Nationalisten und Geheimdienstlern vermutet werden, muss um sein Leben fürchten. In Erwartung seiner eigenen Ermordung schrieb Lasanthe Wickrematunga, Chefredakteur des Sunday Leader, den Artikel »Als sie mich holten«. Er stellt darin fest: »Kaum ein Beruf verlangt, dass man sein Leben für ihn lässt. Das tut nur die Armee und, in Sri Lanka, der Journalismus.«
Der Artikel behandelt den Nexus von politischer Gewalt und den Terror der LTTE sowie des Staats. Dem Präsidenten, dem der Journalist bis dahin freundschaftlich verbunden war, obwohl er erst kürzlich über eine dessen Bruder betreffende Korruptionsaffäre berichtet hatte, warf er Scheinheiligkeit vor und warnte ihn zugleich, er könne selbst ein Opfer der Gewalt werden. Am 8. Januar wurde Wickrematunga auf offener Straße in seinem Fahrzeug erschossen, mitten in einem der Hochsicherheitsgebiete der Hauptstadt, am Sonntag darauf erschien sein Artikel posthum.
Der militärische Erfolg nutzt allenfalls der Armeeführung und einigen Politikern. Die Meinungsfreiheit wird stärker denn je eingeschränkt. Eine gerechte Lösung für die Minderheiten, ­allen voran die Tamilen, ist derzeit unwahrscheinlich. Sri Lanka ist 61 Jahre nach seiner Unabhängigkeit weit von einer funktionierenden Demokratie entfernt. Wer sich gegen Gewalt und Machtmissbrauch stellt, muss um sein Leben fürchten, egal ob Journalist, Menschenrechtler oder Gewerkschafter.