Private und staatliche Hochschulen

Freiwillige Selbstaufgabe

Für private Sponsoren sind staatliche Hochschulen mindestens so attraktiv wie private Hochschulen. Zu dieser Entwicklung hat nicht zuletzt das Studiengebührenmodell der Privatuniversität Witten-Herdecke beigetragen.

Eine eigenartige Studierendenbewegung konnte man Mitte Dezember vor dem nordrhein-westfälischen Landtagsgebäude in Düsseldorf beobach­ten: 250 Immatrikulierte demonstrierten gegen die drohende Insolvenz ihrer Universität. Um diese abzuwenden boten sie an, freiwillig 60 Prozent mehr Studiengebühren zu bezahlen. Fürsorglich wurden die Studierenden dann auch noch von der Polizei daran gehindert, unter dem nicht mehr ganz taufrischen Motto »Unsere Uni darf nicht baden gehen!« in den eiskalten Rhein zu springen.
Dabei handelt es sich bei »unserer Uni« um die erste staatlich anerkannte private Universität in Deutschland, Witten-Herdecke. 1982 gegründet, drohte ihr Ende vergangenen Jahres tatsächlich die Pleite. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, die seit Mitte der neunziger Jahre rund 14 Prozent des Universitätshaushalts aus Steuergeldern finanziert, stornierte die Überweisung der für 2008 zugesagten 4,5 Millionen Euro und forderte darüber hinaus drei Millionen Euro aus dem Jahre 2007 zurück. Die Universität sei nicht in der Lage, vernünftig zu haushalten und einen glaubhaften Wirtschaftsplan für die nächsten Jahre vorzulegen, lautete die Begründung.

Die drohende Pleite ist allerdings ein Bühnenstück, das etwa alle zwei bis drei Jahre wieder aufgeführt wird. Immer tritt gegen Ende der Vorstellung ein Weißer Ritter auf und spielt die Nummer »Rettung in letzter Minute«. So auch dieses Mal. Ende Januar fand unter der Beteiligung von Hochschulvertretern, des NRW-Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart (FDP) und privaten Förderern ein nächtlicher Krisengipfel statt, der ein »Rettungspaket« aus kurzfristigen Spenden, Sponsorenzusagen und Bürgschaften schnürte. Darin enthalten war zum einen der Abbau von 30 Vollzeitstellen in der Universitätsverwaltung und die Zusage der Studierendenvertreter, den Studiengebührenanteil am Budget von derzeit sieben auf 20 Prozent zu erhöhen.
Daraufhin wurden die stornierten Landesmittel nicht nur freigeben, sondern sogar um 2,25 Millionen Euro für die kommenden zwei Jahre erhöht. Diese knallharte »Restrukturierung« nach allen Registern der Betriebswirtschaftslehre dürfte die eigentliche Zielsetzung des Finanzstop-Manövers durch das Ministerium gewesen sein, denn grundsätzlich hat der Wissenschaftsminister nichts gegen private Hochschulen.
Eine Konstante fast aller bisheriger Krisen Witten-Herdeckes war die Erhöhung der Studien­gebühren, deren Geschichte fast schon tragikomische Züge hat. Als die Universität 1982 staatlich anerkannt wurde, war dies an die Auflage gebunden, keine Studiengebühren zu erheben. Diese wurden in der ersten finanziellen Krise 1994 erfunden. Der Forderung nach staatlichen Subventionen sollte damit Nachdruck verliehen werden, dass man die Bereitschaft zur eigenen finanziellen Mitverantwortung zeigte. Die Strategie war erfolgreich.
Der Legende nach wurde das Inkassosystem nach dem Modell des »umgekehrten Generationen­vertrages« von einer studentischen Wohngemeinschaft entwickelt: Wer nicht unmittelbar zahlen konnte, verpflichtete sich, acht Berufsjahre lang jeweils acht Prozent seines Bruttoeinkommens in einen Fonds der Uni einzuzahlen – in der Krise 2005 wurde dieser Betrag auf zehn Jahre und zehn Prozent erhöht –, der von einer eigens gegründeten Studierendengesellschaft e.V. vollständig selbst verwaltet wurde. 2008 kündigte das Präsidium der Universität die Zusammenarbeit mit der Studierendengesellschaft und legte wesentlich höhere Gebühren für Studienanfänger fest, die nun im Dezember von den Studierendenvertretern selbst noch einmal überboten wurden.

Die Studierendengesellschaft hatte 1994 noch entschieden dagegen protestiert, dass mit den Gebühren ein nachahmenswertes Modell erfunden worden sei. In einer Pressemitteilung hieß es damals: »Die Studierenden verstehen diese Lösung als notwendige Übergangslösung. Aus ihrer Sicht müssen gemeinsam alle möglichen Anstrengungen unternommen werden, um Studiengebühren wieder überflüssig zu machen.« Von einer Übergangslösung war jedoch spätestens nach der Jahrtausendwende keine Rede mehr. Die Verfechter von Gebühren für die staatlichen Hochschulen propagierten landauf, landab das »Wittener Modell« als ein Musterbeispiel für besonders »sozialverträgliche« Studiengebühren. Es war vermutlich die Kombination aus Basisdemokratie und Privatisierung im »umgekehrten Generationenvertrag«, die die taz schließlich so begeisterte, dass sie 2004 das Wittener Studiengebührenmodell als »historische Chance« feierte und alle Studierendenvertreter im staatlichen System, die dies anders sahen, als ewiggestrige Reformverweigerer abkanzelte.

Private Hochschulen konnten in Deutschland bisher nie die Stellung einnehmen wie etwa in den angelsächsischen Ländern. Gerade mal 2,7 Prozent aller Studierenden hierzulande sind an privaten Universitäten eingeschrieben.
Das jetzige »Rettungspaket« für Witten ist lediglich eine Überbrückung und schafft noch keine institutionelle Dauerfinanzierung. Auch unter privaten Investoren ist das Interesse an der privaten Universität arg gesunken.
Dies hat mit der Entwicklung des gesamten Hochschulsystems zu tun, die sich in gewisser Weise an der Krisengeschichte Wittens ablesen lässt. Hauptursache der ersten Krise 1994 war der Rückzug von Bertelsmann, einem der Hauptsponsoren. Die Bertelsmann-Stiftung gründete im selben Jahr gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Dieses sollte sich in den kommenden Jahren als einflussreichste Beratungs­agentur für den institutionellen Umbau des staatlichen Hochschulsystems nach »unternehmerischen« Gesichtspunkten entwickeln. Wichtigste Mittel hierfür sind Studiengebühren, »wettbewerbliche« Verteilung der Finanzen und ein zentralistisches Management statt Selbstverwaltung und Mitbestimmung. Die juristisch radikalste Realisierung dieses Konzeptes ist das »Hochschulfreiheitsgesetz« (2007) Nordrhein-Westfalens, für das das CHE die Blaupause geschrieben hatte. Dessen langjähriger Leiter Detlef Müller-Böling äußerte sich daher in einem Interview Anfang Januar auch äußerst freimütig zur Wittener Krise: »Die Unternehmen brauchen heute nicht mehr eigene Hochschulen zu gründen, um sinnvoll zu investieren, sie können das an den staatlichen Hochschulen tun. Die sind nach der Entfesselung qualitativ genauso gut, wenn nicht besser.«
Warum sollte ein Unternehmer das Risiko und die Kosten einer privaten Gründung auf sich nehmen, wenn ein zu 95 Prozent staatlich finanziertes System von der Politik auf dem Silbertablett serviert wird? Das ist sowohl effizienter als auch kostengünstiger, schließlich lässt sich die öffentlich finanzierte Infrastruktur gleich mit nutzen.