Der ungebrochene Erfolg der Castingshow »Germany’s Next Topmodel«

Not Yet a Woman

Diese Woche endet die 18. Staffel der beliebten Model-Castingshow »Germany’s Next Topmodel«. Dass Mädchen und Frauen auch heutzutage noch vom Erfolg als Model träumen, hat auch mit der Doppel­belastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit zu tun.

Wenn am 15. Juni 2023 das diesjährige Finale der Fernsehsendung »Ger­many’s Next Topmodel« (GNTM) läuft, dann ist zum 18. Mal eine Staffel an ihr Ende gelangt. Wieder hieß es 18 Wochen lang: »Nur eine kann ›Germany’s Next Topmodel‹ werden!« Und: »Heute habe ich leider kein Foto für dich.« Wer hätte 2006 gedacht, dass eine Model-Castingshow auch nach 18 Jahren immer noch zu einer der erfolgreichsten Sendungen im deutschsprachigen Raum gehören könnte?

Von Anfang an haben Medien­päda­gog:innen, Feminist:innen und Eltern die Sendung besorgt verfolgt und befürchtet, dass ihr Konsum unrealistische und ungesunde Schönheitsideale vermittelt und dadurch dazu beitragen könnte, dass Mädchen Essstörungen entwickeln. Im vergangenen Jahr erreichte die Kritik eine neue Dimension, nachdem die ehemalige Kandidatin Lijana Kaggwa die Sendung für den von ihr im Zuge der Ausstrahlung erlittenen Shitstorm nebst Morddrohungen verantwortlich gemacht hatte, und der bekannte Influencer Rezo dies zum Anlass nahm, ein Zerstörungsvideo zu GNTM zu machen, das viral ging. Er skandalisierte vor allem die Sexualisierung Minderjähriger und das Body Shaming früherer Staffeln. Auswirkungen auf die Begeisterung, die vor allem viele Mädchen und Frauen der Sendung entgegenbringen, hat das bislang kaum.

Das Phänomen GNTM bleibt erklärungsbedürftig. Was verschafft dem Format vor allem beim weiblichen Publikum einen so großen Erfolg in einer Zeit, in der die Idee der Gleichberechtigung sich doch weitgehend durchgesetzt hat? Warum bewerben sich jedes Jahr Tausende Frauen als Kandidatinnen bei der Castingshow?

Viele mögen es heute kaum glauben, aber Model war nicht immer der Traumjob schlechthin für kleine Mädchen. Noch Ende der achtziger Jahre antwortete Claudia Schiffer in einem Interview auf die Frage, ob sie schon immer hätte Model werden wollen: Mädchen in Deutschland hätten solche Gedanken nicht. Es gelte nicht einmal als Option.

Die Modewelt reflektiert, dass der Übergang vom Mädchen zur heterosexuellen Frau nicht einfach und oft schmerzhaft ist, weil er vielfach mit Verrat und Selbstaufgabe einhergeht.

Erst in den neunziger Jahren machte der Hype um die sogenannten Supermodels diese zum Objekt der Anbetung und ihre Tätigkeit zum Inbegriff des Glamours und gelungener weiblicher Karrieren. Mögen die Namen von ­Cindy Crawford, Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz und Kate Moss auch langsam verblassen, im international erfolgreichen Format »Next Topmodel« hat dieser Wunsch seinen zeitgenössischen Ausdruck ­gefunden. Nun musste keine mehr warten, bis ein Modelscout sie ansprach, sondern man konnte das Schicksal selbst in die Hand nehmen, um einer Heidi Klum nachzueifern, die immerhin denselben Weg gegangen war: 1992 gewann sie einen von Thomas Gottschalk ausgerichteten Model-Wettbewerb.

Gleichberechtigung bedeutet spätestens seit den achtziger Jahren in erster Linie, dass Mädchen nicht mehr vor allem auf die Ehe vorbereitet werden, sondern ähnlich wie bei den Jungen ihr beruflicher Werdegang im Vordergrund der Erziehung steht. Ehe und Kinderkriegen sollen nunmehr warten, bis die ökonomische Existenz einigermaßen gesichert ist.

Die vielen Frauen nahegelegten Arbeitsoptionen in der Dienstleistung oder im sozialen und pflegerischen Bereich entpuppen sich als schlecht bezahlte Plackerei. So beschreiben es auch viele Kandidatinnen bei GNTM wie zum Beispiel Somajia Ali aus der diesjährigen Staffel: Sie arbeitet an einer Tankstelle und versucht, nebenher eine Karriere als Tänzerin aufzubauen. Sie würde alles dafür geben, ihre prekäre Situation hinter sich zulassen, sagt sie.

Modeln dürfte traurigerweise fast der einzige Beruf sein, bei dem der Gender Pay Gap zu Ungunsten der Männer ausschlägt. Der von Linda Evangelista geäußerte Satz »We don’t wake up for less than Dollar 10.000 a day« lässt das Leben als Model als sehr attraktiv erscheinen. Solange viele Frauen wenig andere Möglichkeit haben, wird der Wunsch nach einer Karriere als Model für sie der große Traum bleiben und die Kritik an der Sendung heuchlerisch.

Der Beruf des Models ist nicht nur aufgrund der potentiell attraktiven Bezahlung beliebt, sondern vor allem weil der berufliche Erfolg mit der weiterhin an Frauen gestellten Anforderung verbunden werden kann, schön und sexy zu sein. Da Mädchen von klein auf suggeriert wird, dass ihre Schönheit ihren Wert widerspiegelt und Grundlage ihres gesellschaftlichen ­Erfolges sei, ist die Sorge um ihr Aussehen ihr täglich Brot und begründet ihr Selbstwertgefühl. Da ein Model als Inbegriff von Schönheit gilt, erfüllt es schon aufgrund seiner Tätigkeit wesentliche Voraussetzungen gelungener weiblicher Subjektivität. Aber mehr noch: Die weibliche Schönheit entwickelt sich immer mehr zum zentralen Zeichen der Geschlechterdifferenz, wenn alle anderen Unterschiede sich tendenziell aufzulösen scheinen.

GNTM wurde jahrelang aufgrund des sehr rigiden Körperideals kritisiert, das dort angelegt wurde. Nun hatte sich Heidi Klum diese Vorgaben aber nicht ausgedacht, sondern es waren und sind bis heute die körperlichen Anforderungen, die vor allem an ein Laufstegmodel gestellt werden.

Seit einigen Jahren versuchen der Staat und Teile der Branche, den vielfach krankmachenden Anforderungen der Modeindustrie entgegenzutreten. Models mit Untergewicht dürfen in vielen Ländern per Gesetz nicht mehr auf die Laufstege und die Vielfalt von Körperformen soll vermehrt repräsentiert werden. GNTM ist auf diesen Zug aufgesprungen. Seit 2019 gibt es in der Sendung keine Vorgaben mehr zu Gewicht, Größe oder Alter der Models. Trotz der ganzen Aufregung um body positivity und Plus-size-Models hat sich die Modeindustrie insgesamt jedoch nur wenig verändert. Der Großteil der Models sieht eben weiterhin nicht aus wie Kim Kardashian (mit großem Po und Busen), sondern eher wie zu groß geratene vorpubertäre Kinder: Flach und schmal und kein einziges Härchen unterhalb des Kopfs. Auch die Gesichter bedienen das Kindchenschema von großen Augen, kleiner Stupsnase und hoher Stirn, selbst wenn gewisse Reifezeichen nicht fehlen dürfen: vor allem hohe Wangenknochen. Kate Moss bleibt hier das unübertroffene Ideal.

Es ist erklärungswürdig, dass die Modeindustrie Frauen ein Schönheitsideal vorgibt, das nur bedingt zum Sexsymbol taugt und keine mütterlichen Züge aufweist und so die traditionellen weiblichen Rollen negiert.

Das ideale Model verkörpert eine Zeit des Übergangs vom Kind zur Frau. Es erinnert immer auch an eine Zeit vor den Ansprüchen der Heterosexualität und des Patriarchats, in der Mädchen oft noch viel selbstbewusster waren, in der eine beste Freundin oder eine Mädchenclique ihr kindliches Universum bestimmte und in der homoerotische Phantasien zumindest halbbewusst eine bedeutende Rolle spielten. Eine Zeit, die oftmals intensiv erlebt wird und fast immer dem Untergang geweiht ist, wenn heterosexuelle Beziehungen wichtiger werden. GNTM mit seiner im Mittelpunkt stehenden Mädchengruppe spielt mit diesen Assozia­tionen. Die Modewelt reflektiert, dass der Übergang vom Mädchen zur heterosexuellen Frau nicht einfach und oft schmerzhaft ist, weil er vielfach mit Verrat und Selbstaufgabe einhergeht. Der männliche Blick, an dem sich Mädchen auszurichten haben, um von Männern anerkannt und begehrt zu werden, wird in der Fernsehsendung von der Kamera mit ihren meist männlichen Fotografen repräsentiert, die eine sexy Attitüde erwarten.

Aber es bleibt, gerade weil die Models so dünn sind, das Bild des kleinen Mädchens erhalten und somit drückt sich hier, wie auch in den Essstörungen junger Frauen, oftmals die Verweigerung aus, Weiblichkeitsidealen zu entsprechen. Vielmehr zeigt sich darin eine Wut auf die Gesellschaft und ihren Erwartungen, die sich jedoch nicht gegen diese wendet, sondern letztendlich selbstzerstörerisch ist.

Vergangenes Jahr konnte in der deutschen medialen Debatte manchmal der Eindruck entstehen, dass GNTM die Hauptverantwortung dafür trägt, dass die Emanzipation der Geschlechter noch nicht so weit fortgeschritten ist wie gehofft. Es wäre natürlich schön einfach, wenn man nur eine Fernsehsendung absetzen und nicht etwa gesellschaftliche Strukturen verändern müsste, um die Frauenemanzipation auf eine neue Stufe zu hieven.

Der Grund, aus dem GNTM auch nach 18 Jahren immer noch relativ erfolgreich ist, besteht darin, dass hier die leidvollen Erfahrungen, die Frauen beim Erwachsenenwerden machen, aus der sicheren Entfernung des Fernsehpublikums nachvollzogen werden können, die Konflikte aber zumindest in der Phantasie eine positive Lösung finden, indem man als strahlend schöne, erfolgreiche Frau aus dem Prozess herauskommt. Entsprechend kann man wenigstens davon träumen, selbst eine Nachfolgerin von Heidi Klum zu werden, anstatt doch nur eine Verkäuferin bei Woolworth, die kaum weiß, wie sie sich neben der Arbeit noch um die Kinder kümmern soll.