Benedikt XVI. rehabilitiert die Lefebvristen

Ketzer und Hetzer

Der Papst rehabilitierte eine reaktionäre, offen antisemitisch auftretende Priesterbruderschaft, die ganze Welt fragt sich warum: Wußte Ratzinger nicht, was er tat, oder verfolgt er einen Plan? Und wer sind eigentlich die Lefebvristen?

Seitdem Joseph Ratzinger 2005 als Benedikt XVI. zum Papst gewählt wurde, hat er offenbar ein Anliegen: Er will ein 20 Jahre altes Schisma überwinden, eine Kirchenspaltung, die 1988 mit dem Ausschluss der Anhänger des französischen fundamentalistischen Bischofs Marcel Lefebvre aus der römisch-katholischen Amtskirche erfolgte. Dieser hatte ohne Erlaubnis des Papstes vier ­Bischöfe für die Priesterbruderschaft des Pius X. geweiht. Der 1991 verstorbene Lefebvre war ehemals Kolonialbischof im westafrika­nischen Dakar und trat vehement gegen die Neu­erungen des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 ein.
Dazu gehören die Feier der Messe in den jeweiligen Landessprachen, die für das »gemeine Volk« verständlich ist – und eine Suche nach Aussöhnung des katholischen Christentums mit den Juden, die nicht länger als »Gottesmörder« geschmäht werden dürfen. Beides ist Unsinn aus der Sicht des Ultrareaktionärs Lefebvre und seiner Anhänger, die felsenfest von der Überlegenheit der eigenen Religion überzeugt sind. Es könne nur einen wahren Glauben geben, und den besitze man selbst.

Dabei ist es nicht so sehr der Antisemitismus im engeren – eliminatorischen – Sinne, der Marcel Lefebvre zu seinen Lebzeiten umtrieb. Sein eigener Vater war 1944 im Konzentrationslager ermordet worden, unter anderem weil er sich als Fluchthelfer für Juden betätigt hatte. Der Kern von Lefebvres Lehre besteht im autoritären Anspruch, die Menschheit mit der einzig wahren Heilslehre beglücken zu können. Daraus abgeleitet wird die Ablehnung jeder Form von inter­religiösem Dialog, von »Aufweichungen« der Dok­trin und von Demokratie. Lefebvre zeigte sich daher von katholisch inspirierten Diktaturen, wie denen unter Franco in Spanien, Salazar in Portugal und Pinochet in Chile, begeistert.
Lefebvres Strömung kultiviert vor diesem Hintergrund einen heftigen, religiös motivierten Antijudaismus in der uralten christlichen Tradition des Gottesmörder-Vorwurfs, wie sie durch das Zweite Vatikanische Konzil zum größeren Teil revidiert worden ist. So verwundert es auch nicht, dass sich Auschwitz-Leugner in der Anhängerschaft Lefebvres finden – von dem man jedoch zu Lebzeiten keine Äußerung zu diesem Thema vernahm. Die Anhänger Lefebvres sind derzeit in rund 40 Ländern zu finden. Ihre Anzahl wird von manchen Quellen auf insgesamt 150 000 bis 250 000 geschätzt, der Vatikan geht allerdings von 600 000 aus. Unter ihnen sind rund 500 Priester, vor allem in Frankreich und der Schweiz. In vielen Ländern sind Lefebvristen in rechtsextremen Gruppen politisch aktiv oder sympathisieren mit ihnen. In Frankreich finden sie sich etwa im Umfeld des Front National.
Am 23. Januar verkündete der Vatikan, die Exkommunikation der vier Bischöfe, die im Jahr 1988 von Lefebvre geweiht wurden, sei aufgehoben worden. Es handelt sich um Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galaretta.
Benedikt XVI. wollte mit den Lefebvristen eine reaktionäre Stoßtruppe für die Kirche zurückgewinnen. Eingehandelt hat er sich nun aber nicht nur eine solche, sondern auch einen expliziten Holocaust-Leugner in ihren Reihen. Das schwedische Fernsehen SVT strahlte am Mittwoch vor zwei Wochen ein früher aufgezeichnetes Interview mit Richard Williamson aus. Darin bestreitet er offen die historische Existenz des Holocaust. Er beziffert die Anzahl der in NS-Konzen­trations­lagern umgekommenen Juden auf rund 200 000, kein einziger sei in Gaskammern umgekommen, da es sie nie gegeben habe.
Noch während sich der Vatikan bemühte, die Empörung über Williamsons Äußerungen zu mindern, setzte ein zweiter Priester der Piusbruderschaft eins drauf. »Ich weiß, dass es Gaskammern zumindest für die Desinfektion ge­ge­ben hat, aber ich kann nicht sagen, ob dort Menschen gestorben sind«, sagte der italienische Priester Don Floriano Abrahamowicz im Interview mit einer norditalienischen Lokalzeitung.
Nur erwartbar war die Begeisterung von Anti­semiten, die bis dahin mit der katholischen Kirche nichts oder nur bedingt zu tun hatten. Dies gilt für deutsche Nazis, etwa auf der Webpage Altermedia, aber auch für französische Rechts­ex­treme. Der Mouvement National Républicain etwa, die rechtsextreme Partei unter Bruno Mégret, begrüßte in einer Presseerklärung die Re­integration der Lefebvristen in die Amtskirche, mit der Begründung, dass die Christen »gegen die Ausbreitung des Islam« zusammen­stehen müssten.
Aber unter Christen und in weiten Teilen der katholischen Kirche sorgte die Aufhebung der Exkommunikation, die zeitlich mit den Nachrichten über die Auslassungen von Williamson zusammenfiel, für Unruhe und Empörung. Daraufhin erklärte die französische Bischofskonferenz in einer Resolution, das Ende der Exkommunikation bedeute »keine Rehabilitierung« der Lefebvristen. Vielmehr sei dies nur »der Beginn eines langen Weges, der einen Dialog unter bestimmten Voraussetzungen erfordern wird«. Eine Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils sei dabei unabdingbar.
Im Vatikan selbst, wo man sich über die Folgen der Reintegration der ultrareaktionären Putztruppe wohl nicht völlig im Klaren war, ist man nun zurückhaltend. Der offizielle Sprecher des Kirchenstaats, Federico Lombardi, versuchte anfänglich, mildernd einzugreifen, indem er die Äußerungen Williamsons zum Holocaust für »in keiner Weise akzeptabel« erklärte. Der Vatikan habe damit nichts zu tun, die Rücknahme der Exkommunikation durch Benedikt XVI. stehe damit in keinem Zusammenhang. Williamson entschuldigte sich am Freitag voriger Woche in einen offenen Brief beim Papst für die »Unannehmlichkeiten«, die seine Äußerungen verursacht hätten, ohne diese allerdings zurückzunehmen. Auch der Papst sah sich gezwungen, auf den Skandal zu reagieren. Mitte vergangener Woche erklärte er seine »volle und nicht diskutierbare Solidarität« mit den Juden – die er auf theologischer Ebene als »unsere Brüder, die den Ersten Bund [mit Gott] empfangen haben«, bezeichnete. Er erklärte, es werde kein Zurück hinter das Zweite Vatikanische Konzil geben, erinnerte an seinen Besuch in Auschwitz und sprach in scharfen Worten vom Holocaust. Gleichzeitig ordnete er ihn in eine religiöse Interpretation ein und sprach davon, der Holocaust zeige, was passiere, wenn »die un­vorsehbare Macht des Bösen das Herz des Menschen ergreift«.
Am Wochenende sorgte eine weitere päpstliche Entscheidung für neuen Ärger im Vatikan. Der ultrakonservative Gerhard Maria Wagner wurde zum Weihbischof von Linz ernannt. Für Schlagzeilen sorgte Wagner bereits vor Jahren, als er vor »Harry Potter«-Büchern warnte, weil er darin »Satanismus« am Werk sah. Den Tsunami und den Hurrikan Katrina bezeichnete er als eine Art Strafe Gottes: Die Flutwelle habe die reichen Hedonisten getroffen, die zu Weihnachten ins arme Thailand flüchteten. In New Orleans seien »nicht nur alle Nachtklubs und Bordelle«, sondern auch sämtliche »Abtreibungskliniken« der Stadt zerstört worden.
Nach Angaben des ORF soll der Vatikan bei der Entscheidung mehrere Vorschläge des Linzer Diözesanbischofs Ludwig Schwarz nicht berücksichtigt haben. Wagner sei direkt von der Kurie in Rom nominiert worden, was viele Beobachter als eine weitere Bestätigung des katholischen Dogmatismus unter Ratzinger sehen.