Die deutsche Debatte über den deutschen Papst

Buße muss sein

In der deutschen Debatte über Benedikt XVI. und die Holocaustleugnung geht es nicht um die Kritik am Klerikalfaschismus. Die aufgeklärte Volksgemeinschaft fühlt sich von »ihrem Papst« blamiert.

Holocaustleugnung hat für die deutsche Alltagsvernunft mittlerweile einen ähnlichen Status wie Ufos oder Marsmenschen: Irgendetwas, so glaubt die schweigende Mehrheit, wird zwar schon dran sein, aber wer wirklich den Holocaust leugnet, darf damit rechnen, als unzurechnungsfähig von jeder ernsthaften Debatte ausgeschlossen zu werden. So skandalös es ist, dass als »Historiker« camouflierte Kriminelle wie David Irving regelmäßig ein Forum für die Verbreitung ihrer Dif­famierungen erhalten, so unwahrschein­lich ist es, dass ihr Irrsinn künftig zur Überzeugung der deutschen Mehrheit wird.
Im Gegenteil haben die Deutschen von Gerhard Schröder und Josef Fischer gelernt, die ­Adorno zum Apologeten der völkischen Kriegspolitik um­funktionierten, dass jeder Äußerung antisemitischer Ressentiments ein selbstkritisches Bekennt­nis zur »deutschen Verantwortung« für Auschwitz voranzugehen habe. Die guten Menschen von Deutsch­land haben aus dem unermesslichen Ver­brechen die Grundlage einer positiven Ethik gemacht, mit der sich jede Schandtat rechtfertigen lässt.

Entsprechend einheitlich traten die Mahner auf, die sich gegen Benedikt XVI. in Stellung brachten, nachdem dieser Ende Januar die Exkommunikation von vier Bischöfen der fundamentalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X. aufgehoben hatte, unter denen auch der bekennende Holocaustleugner Richard Williamson ist (Jungle World 6/09). Sogar Angela Merkel wandte sich in einem offenen Verstoß gegen die christdemokratische Regel, sich um keinen Preis in die Angelegenheiten des Vatikan einzumischen, gegen den Papst und forderte eine eindeutige Abgrenzung von Williamson und seinen Brüdern.
Doch die Skandale häuften sich: Floriano Abraha­mo­wicz, der Vorsteher der Piusbruderschaft in Nordostitalien, der zu wissen glaubt, die Konzentrationslager seien »zur Desinfektion« benutzt worden, nannte das Zweite Vatikanische Konzil von 1962, auf dem sich die katholische Kirche zur Religionsfreiheit bekannt und den »Christusmörder«-Vorwurf gegen die Juden revidiert hatte, eine »Cloaca Maxima« und bekundete seine Sym­pathie für Williamson. Der Distriktvorstand der Piusbruderschaft in Deutschland, Franz Schmidberger, schmähte den Propheten Mohammed als »Kinderschänder«, weil dieser »geschlecht­lichen Umgang« mit Minderjährigen gepflegt habe, und zu allem Überfluss wurde in Österreich der Erzreaktionär Gerhard Maria Wagner, der für die strikte Beibehaltung des Zölibats und gegen Homosexualität agitiert, zum Weihbischof von Linz ernannt. Anfang der Woche beruhigte sich die Lage ein wenig: Schmidberger entschuldigte sich für seine Wortwahl, und Benedikt XVI. forderte Williamson auf, sich von seinen Äußerungen zu distanzieren, woraufhin Merkel sich zu­frieden zeigte – nicht zuletzt, um ihre katholischen Fraktionskollegen zu beruhigen, die ihre In­tervention mit Befremden verfolgt hatten.

Abgesehen davon, dass eine Ungeheuerlichkeit wie die Leugnung der Judenvernichtung auch durch einen nachträglichen Widerruf nicht zurückgenom­men werden kann, hinterlässt die deutsche Empörung über die fundamentalistischen Kreise der katholischen Kirche und über deren vermeintlichen Patron Benedikt XVI. aber auch in anderer Hinsicht einen üblen Nachgeschmack. Auffällig war, dass die Kritik sich nur selten gegen die historisch verbürgte, in klerikalfaschistischen Geheimgesellschaften und kryptischen Männerbünden bis in die Gegenwart fortlebende Allianz zwischen Katholizismus, Faschismus und Antijudaismus richtete, sondern meist gegen die Volksschädlichkeit der Holocaustleugnung, die sich nicht etwa im Namen von Vernunft und Humanität, sondern im Namen des »deutschen Ansehens« verbiete.
Entsprechend ist Benedikt XVI. nur selten als Repräsentant der katholischen Kirche und ihres universalen Wahrheitsanspruchs, sondern als Repräsentant des deutschen Volkes getadelt worden, als der er hierzulande getreu der Devise »Wir sind Papst« noch immer gilt. »Ein deutscher Papst blamiert die katholische Kirche«, titelte der Spiegel und jammerte: »Die Deutschen verstehen ihren Papst nicht mehr.« Auch Merkel berief sich zur Begründung ihrer Kritik am Papst auf das »deutsche Ansehen« statt auf das christliche Versöhnungsversprechen.
Dass der Papst qua Berufung jeder Volksgenossenschaft enthoben und allein seiner Kirche verpflichtet ist, wird indessen nicht nur am autonomen Status des Vatikan, sondern bereits an scheinbaren Äußerlichkeiten wie dem Namenswechsel deutlich. Trotz aller Beschwörung von Brauchtum und Gesinnung halten die Deutschen von derlei dogmatischem Schnickschnack nicht viel: Für sie ist Benedikt XVI. nach wie vor Ratzinger, und der Papst gilt als Katholik nur so viel, wie er als Deutscher leistet.
In den Aktivitäten der Piusbruderschaft spiegelt sich ein Grundzug aller katholischen Dogmatik, die mit dem protestantischen Hang zum »interkonfessionellen Dialog« nie viel anzufangen vermochte und sich stets als einzig wahre Heilslehre begriffen hat. Die Nähe des Katholizismus zur Mystik hat immer wieder häretische Abspaltungen befördert, zu denen auch die 1944 von Marcel Lefebvre gegründete Piusbruderschaft zählt. Lefebvre, dessen Vater von den Nazis im KZ ermordet wurde, war kein Holocaustleugner, sondern ein Antijudaist. Dass diejenigen, die sich heutzutage auf ihn berufen, eine Mischung aus Negationismus und Klerikalfaschismus predigen dürfen, ist auch der institutionellen Undurchsichtigkeit der katholischen Kirche geschuldet, die im Vergleich mit der protestantischen Basisdemokratie wie ein Netzwerk archaischer Rackets anmutet.

Tatsächlich verstieß die Rhetorik des Zweiten Vatikanischen Konzils vom »Dialog« gegen so ziemlich alles, was den Katholizismus ausmacht. In seinem Herzen glaubt kein echter Katholik an den »Dialog der Weltreligionen«. Darin liegt die Anfälligkeit des Katholizismus für Irrationalismus und Ressentiment begründet, aber auch seine Sprödigkeit gegenüber der multikulturalistischen Propaganda für die Toleranz für »fremde Kulturen«, seien sie auch noch so repressiv. In seiner Kritik am Islam, mit der sich Benedikt XVI. hierzulande unbeliebter gemacht hat als durch seine HJ-Vergangenheit, hat sich diese Sprödigkeit niedergeschlagen. In seiner Milde gegenüber den Faschisten und Antisemiten der Piusbruderschaft zeigt sie sich von ihrer irren Seite.
Statt mit ihrer Polemik gegen den Katholizismus bei diesem Widerspruch anzusetzen, sind die deutschen Kritiker des Papstes, die immer schon besser als der Papst zu wissen glaubten, wie sich der Religion ein volkspädagogischer Nutzen abgewinnen lasse, ganz einfach beleidigt, weil der Hirte dem Bewusstsein seiner Herde in der Aufarbeitung der Vergangenheit hinterherhinkt. Sobald Benedikt begriffen hat, dass der volksgemeinschaftliche Antisemitismus in der Berliner Republik die Anerkennung der »deutschen Verantwortung« voraussetzt, dürften die derzeitigen Kritiker am weiteren Treiben der kryptofaschistischen Cliquen des Katholizismus nichts mehr auszusetzen haben.