Die Reaktionen auf die Spitzelaffäre bei der Deutschen Bahn

Der Staat kommt

Nach den »gierigen Managern« werden willkürlich agierende Konzerne gescholten. Die Reaktionen auf die Spitzelaffäre bei der Deutschen Bahn zeigen, dass der Staat gegenüber den Unternehmen an Macht gewonnen hat.

Die Zeiten werden härter: Als vor einem Jahr Klaus Zumwinkel wegen Steuerhinterziehung gestürzt wurde, da passte das nahtlos in den moralischen Diskurs von der Gier einzelner Manager und Unternehmer. Jetzt steht der nächste Manager auf der Abschussliste. Hartmut Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, genießt nicht mehr die nahezu bedingungslose Unterstützung des politischen Establishments.
Der Grund dafür ist nicht persönliche Bereicherung, sondern etwas, das Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für Datenschutz, »Firmen-Selbst­justiz« nennt. Unter Mehdorn wurden persönliche Daten – Wohnadressen, Telefonnummern ­und Bankverbindungen – von mindestens zwei Dritteln der Bahnmitarbeiter mit den Daten von Auftragnehmern der Bahn abgeglichen. Über 173 000 An­gestellte wurde pauschal der Verdacht der Kor­ruption verhängt (die Ausbeute: 100 »Hinweise« auf Korruption). Mehdorn »wusste nichts davon« (O-Ton), verteidigte aber den Vorgang: »Wir werden das wieder machen, wenn’s darauf ankommt.« Schließlich treffe man doch nur Antikorruptionsmaßnahmen, die die Uno vorge­schla­gen habe. Das war am 29. Januar. Keine Woche spä­ter wird in der Regierung offen über seinen Rücktritt diskutiert.
Die Wochen, in denen über Konsumgutscheine debattiert wurde, sind vorbei. Derzeit ist die Rede von Staatsfonds oder gar direkter Verstaatlichung. Nicht nur der Finanzsektor, auch die so genannte Realwirtschaft rückt ganz nah an den Staat heran. Das selbstherrliche Schalten und Walten eines Mehdorn, das keine persönliche Schrul­le war, sondern dem angestrebten Börsengang, also der vollständigen Privatisierung des ehemaligen Staatsmonopolisten Deutsche Bahn diente, passt nicht mehr in diese Zeit. Nachdem im vorigen Jahr wieder einmal der gierige Manager kritisiert worden ist, ist jetzt das willkürlich agierende Unternehmen an der Reihe, das noch einen einzelnen Blogger, Markus Beckedahl, klein­lich unter Druck setzt, weil der ein Memo des Un­ternehmens zur Überwachungsaffäre publiziert hat. In diesen Zusammenhang gehören übrigens auch die nicht abreißen wollenden Meldungen zur Spitzelaffäre bei der Telekom.
Gerade die Manager der ehemaligen Staatsmono­polisten haben in den vergangenen Jahren den Klassenkampf von oben erfolgreich geführt. Ging es doch darum, Riesenbetriebe mit durchaus homogener Belegschaft in profitable Einzelteile zu zerlegen und die Belegschaft dabei so zu zersplittern, dass nur noch einzelne Gruppen zu Arbeitskampfinitiativen sich in der Lage sahen. Dieser Prozess ist von den Zumwinkels und Mehdorns weit vorangetrieben worden. Einerseits.
Andererseits weiß niemand, wie groß Wut und Be­­stürzung bei den Lohnabhängigen, den Arbeits­losen in spe, sein werden, wenn ab dem Frühjahr das Ausmaß der Wirtschaftskrise deutlich werden dürfte. Da ist es eine krisenpräventive Maßnahme der etwas anderen Art, wenn ein besonders unbeliebter Funktionär des Kapitals wie Meh­dorn von Staats wegen als nachgerade rachsüchtig hingestellt wird. Jetzt muss der Staat ran und höchstrichterlich den Betriebsfrieden garantieren. »Es darf sich keine Unternehmen-Selbstjustiz etablieren, die ohne gesetzliche Grundlage und ohne richterliche Kontrolle abläuft«, stellt Daten­schützer Schaar klar. Eben: Die Zeiten werden härter.