Die Bundesregierung und die Atomindustrie

Ein Versuch, ein Problem

Zukünftig ist die Bundesregierung für Asse II zuständig. In dem maroden Salzstock, der als Versuchsendlager für Atommüll gilt, droht eine Katastrophe. Die Atom­industrie ist ein Problem los und hofft auf die Verlängerung der Laufzeiten ihrer AKW nach der Bundestagswahl.

»Wir sind umzingelt«, sagte Walter Hohlefelder, der Präsident des Deutschen Atomforums, zur Eröffnung der diesjährigen Wintertagung, und die rund 250 Teilnehmer schmunzelten beifällig. Denn um das Hotel Maritim Arte in der Berliner Friedrichstraße hatten sich rund 1 500 Atomkraftgegner versammelt und schlugen deutlich hörbar Krach. »Aber nicht in den Köpfen«, sprach Hohlefelder weiter. Der Lobbyverband der Atom­industrie gibt sich offen – offen für die Verlängerung der Laufzeiten von deutschen Atomkraftwerken. Wer hätte das gedacht?
Überraschender war da schon, dass Hohlefelder in seiner Rede die Endlagerung als reales Problem ansprach: »Die Endlagerung ist die Achillesferse der Kernenergie.« Um die Metapher noch weiter zu strapazieren, fügte er allerdings hinzu: »Sie ist keine technische Achillesferse, sondern eine politische.«

Dabei hat die Politik in Gestalt der Bundesregierung der Atomindustrie gerade ein lästiges Problem abgenommen: Asse II. In das im Landkreis Wolfenbüttel gelegene ehemalige Salzbergwerk wurden von 1967 bis 1978 125 000 Fässer mit schwach radioaktivem und 1 300 Fässer mit mittelradioaktivem Müll vor allem aus Atomkraftwerken sowie aus der Kernforschungsanlage Karlsruhe eingelagert. Die Einlagerung wurde nach dem Bergrecht genehmigt und als »versuchsweise nicht rückholbare Endlagerung« deklariert. Obwohl die Lagerung – wie selbstverständlich bei allen Atomprojekten – als vermeintlich sicher galt, stellte die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) als Betreiberin des Endlagers fest, dass seit 1988 permanent Salzlauge in die Lagerräume einsickerte. Die Lauge tritt aus dem Neben- und Deckgebirge aus, ihre Herkunft ist allerdings bis heute ungeklärt (Jungle World, 14/08). Die GSF garantiert deshalb die Sicherheit der Anlage nur noch bis zum Jahr 2014; die Bundesregierung rechnet nach neuesten Erkenntnissen damit, dass der Stock bis 2020 hält. Würden jedoch einzelne Kammern oder das gesamte Bergwerk einstürzen, könnte der radioaktive Inhalt der Fässer, darunter 12,5 Kilogramm hochgiftiges Plutonium, innerhalb kürzester Zeit ins Grundwasser gelangen. Die Gefahr ist real, denn die Speicherbecken für die Lauge sind randvoll, und in mehreren Kammern drohen die durchfeuchteten Decken einzustürzen.
Eine weitere Gefahr besteht für den Fall, dass das Bergwerk einstürzt. Der Chemiker Rolf Bertram rechnet damit, dass eindringende oder bereits eingedrungene Lauge mit dem teilweise ausgetretenen Inhalt der Fässer reagieren könnte: »Dabei können giftige und brennbare Gase wie Wasserstoff und Methan und entzündliche Gasgemische wie Knallgas und Chlorknallgas entstehen.« Aus dem Endlager würde somit eine Art »schmutziger Bombe«.

Da die Bundesregierung mit den in Anbetracht der Gefahren etwas laxen Notfallplänen der GSF – Bergwerk spülen, Deckel zu – nicht ganz zufrieden war, vereinbarten das Forschungs- und das Umweltministerium, die Zuständigkeit für den Betrieb und die Stilllegung der Schachtanlage Asse auf das Bundesamt für Strahlenschutz zu übertragen.
Bei der Festschreibung des Betreiberwechsels im Atomgesetz konnten die Große Koalition und die FDP offenbar nicht dem derzeit üblichen Bedürfnis entsagen, das Kapital vor Risiken schützen zu wollen. Alle drei Parteien stimmten am 30. Januar im Bundestag für eine Atomgesetznovelle, und in einer Klarstellung dazu steht lapidar: »Die Kosten für den Weiterbetrieb und die Stilllegung trägt der Bund.« Die Koalition begründet ihr Geschenk an die Atomindustrie in Höhe von mindestens 2,5 Milliarden Euro damit, in der Asse sei radioaktives Material aus der atomaren Forschung eingelagert worden. Allen Beteiligten ist allerdings klar, dass ein Großteil der eingelagerten atomaren Abfälle aus Atomkraftwerken stammt. Zwar wurde wohl tatsächlich der größte Teil des Mülls aus dem Forschungszentrum WAK in Karlsruhe angeliefert. Nach Erkenntnissen der umweltpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, ist der größte Teil davon allerdings aus dem inzwischen abgeschalteten AKW Obrigheim nach Karlsruhe gebracht worden. Offensichtlich haben die AKW-Betreiber einen Weg gefunden, ihren Atommüll in staatlichen Forschungsanlagen zu »waschen« und im Namen der Forschung kostenlos loszuwerden. Man fühlt sich geradezu an die Methoden der italienischen Müllmafia erinnert.
Genau belegen lässt sich aber bisher nicht einmal, wer wann was in der Asse eingelagert hat. Dazu müsste man sich an die gefährliche Arbeit der Inventarisierung machen. Die Regierung und die Atomindustrie wollen offensichtlich einvernehmlich darauf verzichten. Zur weiteren Aufklärung wollten Grüne und Linke einen Untersuchungsausschuss des Bundestages einsetzen lassen. Ihr Ansinnen scheiterte an der fehlenden Unterstützung aus anderen Fraktionen.
Wie geht es nun weiter mit der Asse? Ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren wird es nur für die Stilllegung geben, der Weiterbetrieb erfolgt ohne Planfeststellungsverfahren. Eine Expertengruppe wurde eingesetzt, um verschiedene Möglichkeiten auszuloten. Dazu zählt bisher auch ausdrücklich die Möglichkeit, die Fässer wieder herauszuholen. Bis zum Herbst soll ein »Gesamtkonzept« erarbeitet werden.

Ungeachtet all dessen predigte Walter Hohle­felder auf der Tagung des Deutschen Atomforums Hoffnung für die Atomindustrie. Er sagte, was alle schon wissen: Die Atomkonzerne setzen auf eine schwarz-gelbe Mehrheit bei der Bundestagswahl im Herbst, um verlängerte Laufzeiten für die Atommeiler durchzusetzen. Markus ­Söder (CSU), der bayerische Umweltminister, bestätigte im Laufe der Veranstaltung ausdrücklich, dass die Konzerne in dieser Hinsicht mit der Union rechnen könnten.
Die nächste Legislaturperiode wird tatsächlich entscheidend sein, denn nach dem vereinbarten Atomkonsens müssten in den kommenden vier Jahren sieben AKW abgeschaltet werden. Die Atommeiler Brunsbüttel, Biblis A und Neckarwest­heim 1 dürfen nur noch ein geringes Stromkontingent produzieren, danach müssen nach dem derzeit gültigen Atomrecht vier weitere AKW – Biblis B, Isar 1, Philippsburg 1 und Unterweser – den Betrieb endgültig einstellen. Für die deutsche Atomindustrie hat spätestens jetzt der Kampf ums Überleben begonnen. Deshalb konzentrieren sich die Konzerne auf die Laufzeitverlängerung. Erst später wäre nach Hohlefelders Ansicht der Neubau von »fortgeschrittenen Reaktoren der Generation IV« möglich.
So oder so gilt für Hohlefelder: »Die Endlagerung ist technisch lösbar, das sagen weltweit alle Experten.« Was natürlich Unsinn ist, es gibt genügend Kritiker mit Sachverstand. Nicht zuletzt die Erfahrung mit der Asse lässt gehörig an der Sicherheit von Endlagern zweifeln. Da kann es nicht überraschen, wenn Gerhard Harder, der Vorsitzende der Bürgerinitative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, bei den Protesten zur Eröffnung der Tagung des Atomforums zu einer anderen Einschätzung kam: »Die logische Konsequenz der Politik und der Unternehmen müsste eigentlich lauten: Ausstieg sofort.«