Ein ehemaliger Rotbrigadist entschuldigt sich bei Neofaschisten für den bewaffneten Kampf in Italien

Heimspiel für Neofaschisten

Ein Besuch bei einer Veranstaltung im neo­faschistischen Sozialen Zentrum »Casa Pound« in Rom, wo der ehemalige Rot­brigadist Valerio Morucci sich bei alten und neuen Kameraden für den bewaffneten Kampf der siebziger Jahre und für den Antifaschismus entschuldigte.

Auf den ersten Blick sind nur Männer zu sehen. Alle tragen kurzgeschorene Haare und schwarze Jacken. Anlässlich des Besuchs von Valerio Morucci, einem ehemals prominenten Mitglied der italienischen bewaffneten Gruppe der Brigate Rosse (BR), haben sich die Hausherren der Casa Pound auf ungebetene Gäste eingestellt. Der Eingang zum neofaschistischen Centro Sociale im Zentrum Roms wird streng kontrolliert. Um ins Treppenhaus zu gelangen, muss der Besucher ein Spalier von Rechten passieren. Der Aufzug darf nicht benutzt werden. Der Konferenzraum befindet sich im obersten Stockwerk. Auf jeder Etage stehen drei Kameraden, die ihre Bekannten abklatschen und die Fremden misstrauisch beäugen. Vorbei an Propaganda­plakaten des Duce, Por­traits faschistischer Filmdiven und Aufnahmen Leni Riefenstahls von der Berliner Olympiade 1936 führen die Stufen bis unters Dach. Dort versperrt ein weiterer Ordnungsdienst den Zugang zum Saal, die wenigen Stuhlreihen sind für die Presse und VIPs aus der rechten Szene reserviert. Das Publikum muss sich mit den Stehplätzen im Korridor und einer Videoübertragung begnügen. Auch auf den Gängen sind fast nur Männer zu sehen. Immerhin tragen einige von ihnen eine Umhängetasche oder einen leger umgebundenen Schal, man könnte sie sogar für Linke halten, doch ganz sicher kann man sich heute nicht sein, jeder Einzelne ist darauf bedacht, sich nicht zu erkennen zu geben. Dagegen fällt der Ehrengast auf dem Po­dium dank seines gelben Wollpullovers zwischen den schwarz gekleideten Gastgebern sofort auf.
Bereits im Januar sollte Morucii an der Universität Sapienza in einem Seminar zum Thema »Gewalt und Erinnerung« sprechen. Doch die Einladung des ehemaligen Terroristen, der 1978 an der Entführung und Ermordung des damaligen Vorsitzenden der Christdemokraten, Aldo Moro, beteiligt war, galt der parlamentarischen Rechten als Skandal. Schließlich untersagte der Rektor Moruccis Teilnahme an dem Seminar. Da im vergangenen Jahr auch Veranstaltungen von Neofaschisten verboten worden waren, versicherten aus­gerechnet die römischen Kameraden Morucci ihre Solidarität. Er bedankte sich und betonte, die Faschisten gehörten, ebenso wie er selbst, zu einer Kategorie von Personen, denen in Italien die Redefreiheit verwehrt werde, deshalb nehme er die Einladung zum »freien Meinungsaustausch« in der Casa Pound an.

Sogar die Organisatoren sind an diesem Freitag vom Andrang überrascht. Die Lautsprecheranlage funktioniert anfangs nicht, die Grußworte von Carlomanno Adinolfi, dem Chefredakteur der haus­eigenen Zeitschrift Occidentale, und von Luca Gramazio, dem Vizefraktionsvorsitzenden der Alle­anza Nazionale im Stadtrat, sind kaum zu verstehen.
Jedoch wird rasch deutlich, dass der offizielle An­lass der Veranstaltung, die Präsentation von Moruccis Buch »Patrie galere« über seine Erfahrungen in den Gefängnissen Italiens, nebensächlich sein wird. Ugo Maria Tassinari, der als »linker Chro­nist« und Neofaschismus-Experte vorgestellt wird, und Angelo Mellone, der als Intellektueller der neuen italienischen Rechten gilt, bemühen sich um eine Historisierung der Rechtsradikalen. Giampiero Mughini, ehemaliger Herausgeber der Zeitschrift der außerparlamentarischen Linken, Lotta Continua, mittlerweile aber vor allem als Fußballkommentator und militanter Juventus-Fan bekannt, stellt klar, worum es an diesem Abend gehen soll: »Der Faschismus hat 20 Jahre gedauert, der Antifaschismus 60 Jahre. Jetzt reicht es!« Mughinis Stadionjargon passt zur Bot­schaft der ganzen Veranstaltung: als hätten Linke und Rechte vor 40 Jahren ein Derby ausgetragen und sich dabei nicht an die Fair-play-Regeln gehalten.
Nach über einer Stunde ergreift Morucci selbst das Wort. Sein Auftakt überrascht: »Ich bin hier als euer Feind.« Doch der bedächtige Ton verrät, dass es ihm nicht um Konfrontation geht. Das Bekenntnis ist vielmehr ein rhetorischer Einstieg zur nachfolgenden mea culpa: »Es tut mir leid, zu einer politisch-militärischen Gruppe gehört zu haben, die den Feind diskriminiert, seine Identität ausgelöscht, ihn zum Untermenschen erklärt und schließlich zerquetscht hat.« Und weiter: Die Logik dieses »ideologischen Rassismus« habe den Kampf in den siebziger Jahren zu einer »ethnischen Säuberung« werden lassen. Endstation dieser Enthumanisierung seien – und hier schlägt Morucci unerwartet eine historische Kapriole von den Kämpfen der siebziger Jahren zurück zum antifaschistischen Befreiungskrieg – die Vernichtungslager und die foibe.
Mit dieser Gleichsetzung hat Morucci tatsächlich eine wichtige antifaschistische Unterscheidung aufgehoben. Wenige Tage vor dem von den Postfaschisten eingeführten und von den Neofaschisten mit Aufmärschen gefeierten nationalen Gedenktag für die Opfer der Racheakte der Partisanen in Istrien und Dalmatien wiegt dieses Zugeständ­nis schwer. Dass in den Karsthöhlen (it. foibe) vor allem ehemalige faschistische Kriegsverbrecher getötet wurden, die zwei Jahrzehnte lang die slawische Bevölkerung diskriminiert und ausgelöscht hatten, bleibt in Moruccis Sermon unerwähnt. Schließlich geht es ihm nicht um die Geschichte, sondern um seinen »persönlichen Weg« der Läuterung. Er schließt seine Predigt mit dem Hinweis, in den Evangelien sei nachzulesen, dass Jesus immer auf der Seite der Sünder gestanden habe.
Während die jungen Zuhörer die frohe Botschaft mit verhaltenem Applaus aufnehmen, tun sich die Alten schwer, in Morucci einen Friedensapostel zu erkennen. In der Diskussion suchen sie ihn in freundlichem, aber bestimmtem Ton für jeden ihrer gefallenen Kameraden verantwortlich zu machen.

Die Wachposten draußen haben einen ruhigen Abend. Es gibt keine Versuche, die Veranstaltung zu stören. Bereits vorher hat die Ankündigung, dass Morucci sich mit den Faschisten aus der Casa Pound trifft, die radikale Linke nicht besonders empört. Die Studentenbewegung ließ von ihrem selbsternannten Pressesprecher Francesco Raparelli mitteilen, dass »die Biographie und die Geschichte Moruccis glücklicherweise niemanden mehr interessieren« würden.
Damit macht es sich die radikale Linke zu einfach. Immerhin war Morucci bis zur Auflösung der Gruppe und bis zu seinem Eintritt in den bewaffneten Kampf führendes Mitglied von Potere Operaio (PotOp), einer der wichtigsten Organisationen jener operaistischen Bewegung, die die autonomen linken Studenten in den vergangenen Jahren verstärkt rezipiert haben. Bereits in einem früher erschienenen Erinnerungsbuch hatte Morucci erklärt, dass PotOp nie »betont antifaschistisch« gewesen sei und man hinsichtlich des Klas­senkampfs den neofaschistischen Umtrieben nur »kollaterale« Bedeutung beigemessen habe. Kritik an der faschistischen Ideologie wurde kaum geübt. Diese fehlende Ausein­andersetzung kennzeichnet die radikale Linke noch heute. Damit aber wird das Festhalten an der Tradition des Antifaschismus zur bloßen Beteuerung. Die italienische Linke hat dem Geschichtsrevisionismus der vergangenen Jahre und der autoritären rassistischen Politik der Rechten nichts entgegenzusetzen.