Angela Merkel und die Krise

Kauft das deutsche Modell!

Angela Merkel will eine neue Weltwirt­schafts­ordnung nach dem Vorbild der Sozialen Markwirtschaft.

Es gibt auch noch gute Nachrichten für Angela Merkel. Während sie mit umstrittenen Konjunkturprogrammen versucht, die deutsche Wirtschaft wieder flott zu machen, tauchte vergangene Woche eine kleine Meldung auf. Einer Umfrage der britischen BBC zufolge hat Deutschland von allen Ländern auf der Welt das beste Image.

Die globale Beliebtheit kann die deutsche Bundeskanzlerin derzeit gut gebrauchen. Schließlich versuchte sie kürzlich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, die internationale Elite von einem besonderen Plan zu überzeugen. »Wir tun uns alle keinen Gefallen, wenn wir uns jetzt in der Krise abschotten«, sagte Merkel und schlug eine »Charta für nachhaltiges Wirtschaften« vor. Die Voraussetzungen dafür soll ein spezieller deutscher Exportartikel schaffen: Auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft soll eine neue »Architektur der Zusammenarbeit« entstehen, die später in einen »Weltwirtschaftsrat bei den Ver­einten Nationen münden kann, ähnlich wie wir nach dem Zweiten Weltkrieg auch einen UN-Sicher­heitsrat geschaffen haben«. Sie habe dem bri­tischen Premierminister Gordon Brown daher vor­geschlagen, die Finanzorganisationen zum G20-Gipfel Anfang April in London einzuladen.
So utopisch sich der plötzliche Einsatz für eine »nachhaltige Wirtschaft« auch anhörte, mit ihrem »Modell Deutschland« verfolgt Merkel nicht zuletzt die »nachhaltigen« Interessen ihrer eigenen Regierung. Ein neuer Protektionismus könnte den Exportweltmeister empfindlich treffen, der in den vergangenen Jahren gerade wegen seiner unsozialen Methoden erfolgreich war. Trotz niedriger Inflationsrate sinken in Deutschland seit acht Jahren konstant die Reallöhne – was wesentlich zu den Exporterfolgen beigetragen hat.
Mit großem Argwohn betrachtet Merkel daher die derzeitigen Pläne der US-Regierung. »Ich sage es ganz freimütig, ich sehe es mit einem gewissen Misstrauen, dass es in den USA Subventionen für die Autowirtschaft gibt«, erklärte sie in Davos. Tatsächlich neigen einige Staaten dazu, als Reaktion auf die Wirtschaftskrise ihre Märkte abzuschotten. Die russische Führung erließ hohe Importzölle für ausländische Autos, während die chinesische Regierung im vergangenen Jahr die Einfuhr für zahlreiche ausländische Produkte erschwerte.
Entsprechend erntete Merkel mit ihrer Initiative nur verhaltene Reaktionen. Denn trotz der fortschreitenden Krise ist völlig unklar, wie Regie­rungen und internationale Organisationen langfristig darauf reagieren werden. Von einem neuen Protektionismus dürfte wohl niemand profitieren, dafür sind die gegenseitigen Abhängig­keiten viel zu groß. So warnte ausgerechnet der des liberalen Gedankenguts bislang gänzlich unverdächtige russische Ministerpräsident Wladimir Putin in Davos vor »exzessiven Staatseingriffen in die Wirtschaft«. Und auch der neue US-Präsident Barack Obama sprach sich kürzlich gegen eine »Buy-American-Klausel« in seinem geplanten Konjunkturprogramm aus. »Es wäre ein Fehler, wenn wir anfangen, die Botschaft auszusenden, dass wir uns um uns selbst kümmern und uns keine Sorgen um den Welthandel machen«, sagte er. Einen möglichen Handelskrieg könnten sich die USA gegenwärtig nicht leisten.

Was aber geschieht, wenn sich die Krise weiter verschärft? In vielen Ländern sind die Folgen mittlerweile deutlich spürbar. Außer in Spanien und den USA sind vor allem in Großbritannien die Arbeitslosenzahlen bereits deutlich gestiegen. Während polnische Arbeitsemigranten derzeit massenhaft die Insel verlassen, kam es kürzlich zu den ersten wilden Streiks. Anlass war der geplante Neubau einer Ölraffinerie, den der Ener­giekonzern Total an eine italienische Firma vergab. Die Stammbelegschaft legte daraufhin die Ar­beit nieder und skandierte: »British jobs for British workers« (siehe S. 14) – ein Slogan, den Gor­don Brown vor zwei Jahren auf dem Labour-Parteitag geprägt hat, um sich bei den Gewerkschaf­ten beliebt zu machen. Wenn er sich in einigen Wochen mit Merkel in London trifft, denkt er viel­leicht eher an die nächsten Wahlen als an einen imaginären Weltwirtschaftsrat.