Proteste in Frankreich gegen die Strategie der Regierung zur Krisenbewältigung

Streiktag gegen Sarkozy

Von einer Stärkung der Nachfrage hält der französische Präsident Sarkozy nichts. Er möchte lieber die Gewerbesteuer abschaffen. Die Gewerkschaften planen einen weiteren Streik- und Aktionstag.

»Wir haben es mit einer Krise zu tun, wie die Welt sie seit einem Jahrhundert nicht gekannt hat. Ich verstehe die Besorgnis der Franzosen. Ich muss zudem so stark wie möglich jene beschützen, die schon bisher vom weltweiten Wachstum ausgeschlossen blieben.« Beruhigend klangen sie nicht unbedingt, die Worte, mit ­denen Präsident Nicolas Sarkozy sich am Donnerstagabend der vergangenen Woche in seiner Fernsehansprache an die Franzosen wandte. Paradoxerweise sollten sie aber gerade dafür sorgen, die soziale Unruhe im Zaum zu halten, die wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise entstanden ist. Indem er nicht den Eindruck erweckt, die Probleme zu verharmlosen, sondern sie im Gegenteil eher dramatisch überzeichnet, möchte Sarkozy vermeiden, in den Augen der Öffentlichkeit als typischer Politiker zu erscheinen, der den Leuten nur gut zuredet.

»Glauben Sie, dass meine Arbeit einfach ist?« fragte er die Journalisten, die ihm anderthalb Stunden lang vorher ausgewählte und abgesprochene Fragen stellen durften. Über 15 Millionen Zuschauer verfolgten die Sendung. Ob Sarkozy Erfolg hatte, ist eine offene Frage. Den ersten Umfragen zufolge fand nur gut ein Drittel der Franzosen seinen Auftritt überzeugend. Zudem ­ergab eine am Montag publizierte Befragung, dass 53 Prozent derzeit bereit sind, »einer so­zialen Bewegung zu folgen«, also beispielsweise in den Streik zu treten.
Die großen Demonstrationen am Streik- und Aktionstag der Gewerkschaften am 29. Januar dürften also nicht die letzten bleiben. Anderthalb Millionen Demonstrierende hatten an jenem Donnerstag in ganz Frankreich gegen Sarkozys unsoziale Politik zur Bewältigung der Krisenlasten protestiert.
Eine Änderung ihrer Politik schließt die Regierung bislang kategorisch aus. In einem In­terview mit der Pariser Abendzeitung Le Monde erklärte Premierminister François Fillon Anfang voriger Woche: »Nichts wäre schlimmer als ein Kurswechsel.« Stattdessen zog er es vor, ­seinen »Plan zur Ankurbelung der Wirtschaft« nochmals detailliert vorzustellen, in 1 000 Ein­zelpunkte aufgegliedert. Denselben Plan hatte sein Chef, Präsident Sarkozy, bereits Anfang ­Dezember präsentiert, nicht ganz so sehr in die Einzelheiten gehend. Die größere Detailfülle ­ändert nichts an der grundsätzlichen Richtung des Krisenplans, der den Franzosen nun nur besser verkauft werden soll. »Erklärung und Pä­dagogik« seien nun nötig, meinte der neue Arbeits- und Sozialminister Brice Hortefeux dazu.

Aber es ist nicht das mangelnde pädagogische Talent, das die Gewerkschaften und viele Fran­zosen verärgert. Es ist der Kurs selbst. Die Re­gierung meint, es sei grundfalsch, eine »Ankurbelung der Wirtschaft durch den Konsum der Haushalte« zu versuchen, mehr Geld sollen die Empfänger von Löhnen und Gehältern oder von Arbeitslosenunterstützung also nicht erhalten. Denn Sarkozy erwartet, dass die Lohnabhän­gigen das zusätzlich zur Verfügung stehende Geld sparen oder aber ausländische Produkte kaufen. Deshalb sieht das »Ankurbelungsprogramm«, für das 26 Milliarden Euro bereitgestellt werden, nur eine knappe Milliarde für die Haushalte vor.
Auch diese Summe dient nur dazu, die Einführung des neuen »Aktiven Solidaritätseinkommens« (RSA) schmackhaft zu machen. Es handelt sich um eine Art Kombilohn, der zukünftig die Sozialhilfe restlos ersetzen soll. Die Unternehmer sollen Angestellte zu extrem niedrigen Löhnen beschäftigen dürfen, die dann durch Steuergelder aufgestockt werden. Die Bezieher dieses RSA, das ab Juni im ganzen Land eingeführt werden soll, erhalten nunmehr eine Prämie, um ihnen den Übergang zum neuen System zu versüßen.
Der Rest geht an die Unternehmen, etwa durch langfristige Aufträge für Baumaßnahmen ohne sofortigen Beschäftigungseffekt oder Steuer- und Abgabennachlässe. Vor allem Straßen will die Regierung bauen lassen, für die Förderung des Schienenverkehrs oder anderer, ökologisch sinnvoller Projekte gibt es nur geringes Interesse. Zuvor hatte die Regierung im vorigen Herbst immerhin 360 Milliarden Euro für die »Rettung der Banken« aufgewendet, für 320 Milliarden übernahm sie Garantien für Ausfälle des Kreditsystems, 40 Milliarden schoss sie für das Eigenkapital der Banken zu.

Die Gewerkschaften erwidern, in Zeiten, in denen die Realeinkommen ohnehin wegen der seit Jahren anhaltenden Teuerung und der stagnierenden Lohnentwicklung sinken, dürften die Lohnabhängigen »nicht auch noch die Krise bezahlen«, die das Kapital verursacht habe.
In seiner Ansprache versuchte Sarkozy, die Vorwürfe zu widerlegen. Das an die Banken gezahl­te Geld sei für die Steuerzahler und die französische Bevölkerung auf keinen Fall verloren, der Staat strecke es den Banken ja nur vor, und es trage dabei auch noch Zinsen. Sarkozy sprach von 1,4 Milliarden Euro jährlich, die er für zusätzliche Sozialausgaben aufwenden wolle. Er nannte etwa die Möglichkeit, die unterste Stufe der Einkommenssteuer abzuschaffen oder das Kindergeld zu erhöhen.
Allerdings bezweifeln Experten, dass die Rechnung auch nur annähernd aufgeht. Dazu wäre es erforderlich, dass keine einzige der vom Staat für die Banken übernommenen Bürgschaften auch in Anspruch genommen wird, dass also keinem einzigen Kreditinstitut die Pleite oder Zahlungsunfähigkeit droht. Überdies trifft es zwar zu, dass der Staat für die Vorschüsse an die Banken Zinsen kassiert, einen Satz von vier Prozent, niedriger als auf den privaten Finanzmärkten. Aber der Staat musste sich selbst neu verschulden, um die Verpflichtungen übernehmen zu können. Auch dies kostet Zinsen.
Sarkozys Rede kündigte auch eine Maßnahme an, die viele Beobachter überraschte und die dem Präsidenten noch Probleme bereiten dürfte. Bereits im kommenden Jahr möchte er die Gewerbesteuer komplett abschaffen. Diese Maßnahme wäre ein Geschenk für private Unternehmen, das den Präsidenten nichts kostet, wohl aber die Kommunen. Deren Einkommen hängt zu 29 Prozent von der Gewerbesteuer ab. Drei Viertel der staatlichen Investitionen werden von den Kommunen finanziert, vielen würde ohne die Gewerbesteuer der Ruin drohen.
Präsident Sarkozy möchte seine Pläne nun am 18. Februar mit Gewerkschaften und Unternehmern bei einer Unterredung im Elysée-Palast besprechen. Doch am Montagabend trafen sich die Repräsentanten von acht Gewerkschaftsverbänden und beschlossen einen weiteren gemeinsamen Streik- und Aktionstag, der am 19. März stattfinden soll.