Das österreichische Skisprung-Team gilt als Boygroup

Schlieri, Morgi, Wuff und Koch, die Superadler Österreichs

Auch wenn teilweise schon deutlich über 20, gilt das österreichische Skisprung-Team als Boygroup, die entsprechend vermarktet wird.

Vor knapp zehn Jahren haben es Sven Hannawald und Martin Schmitt vorgemacht: Sie nutzten ihre an sich einfältige Tätigkeit, sechs Sekunden in der Luft von einer Schanze herunterzufallen und dann auf weichem Schnee zu landen, dazu aus, zehn- bis 13jährige Mädchen zum Kreischen und Toben zu bringen, wie das ansonsten nur Robbie Williams bei ihren Müttern ­gelingt.
Nun geht das Gespenst wieder um, und diesmal hat es sich in Österreich niedergelassen. Hier ist es aber nicht ein Duo, das die große Schanze der pubertären Befreiung verspricht, sondern eine Gruppe. Das Etikett »Boygroup« wurde ihnen schon mehrfach umgehängt: Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern, Martin Koch und Wolfgang Loitzl. Die letztgenannten beiden fliegen zwar schon stram­men Flügels Richtung dreißig, »Schlieri« und »Morgi« sind aber tatsächlich so etwas wie juvenile Popstars, zumindest wenn man das angehängte »i« als Gradmesser nimmt. (Loitzls Spitzname ist Wuff und nicht Wolfi und Koch wurde noch nie Martini gerufen.)
Mit jedem anderen Maßstab freilich bleiben die Fragen nahezu unbeantwortbar: Warum sollen ausgerechnet aus einem Land Popstars kommen, dessen einziger Beitrag zu dem Genre – Falco – schon seit über zehn Jahren tot ist? Was macht die österreichischen Skispringer tatsächlich zu einer Boygroup? Und wann ist ein Boy ein Boy?
Die Antwort auf derlei existenzielle Fragen liefert wie immer die Werbung. Die »Superadler«, wie die Boygroup nämlich mit Nachnamen heißt, wurden Anfang der Saison von der österreichischen Volksbank als Testimonials unter Vertrag genommen. Seither sorgen sie dafür, die Marke der Bank zu »emotionalisieren«, wie es im Marketing-Dummsprech heißt. Ob dies eine Vertreterin einer Branche überhaupt braucht, die sich gerade emotionell von Milliarden Dollar verabschieden muss, sei dahingestellt. Andererseits konnte man das vor Beginn dieser Skisprungsaison ja noch nicht wissen. Da sind dem Head of Marketing der Volksbank noch Sätze ausgefallener Poesie und ewiger Wahrheit eingefallen wie: »Dynamik zeichnet den Skisprungsport aus. Aber auch Gefühl, ­Ästhetik, Ruhe und Konzentration. Werte, die auch die Volksbank in ihrem genetischen Code trägt. Werte, die gerade in Zeiten großer Veränderungen wichtig sind.«
Das biologische Erbgut einer Bank bleibt hoffentlich unentschlüsselt, zumal wenn sich ihre wahren Werte eben in Luft aufgelöst haben. Was Skispringern hingegen im Blut liegt, wurde im Lauf ihrer Geschichte schon mehrfach erzählt. Bei Finnen z.B. handelte es sich häufig um Alkohol. Die Schicksale von Matti Nykänen und Co. sind bekannt. Den österreichischen Skispringern blieben vergleichbare Drogenkarrieren bisher eher verwehrt. Grund dafür ist zumeist das »perfekte Umfeld«, das vom österreichischen Skiverband geliefert wird.
Dazu gehört neben schulischer, athletischer und technischer Ausbildung auch die psychologische Betreuung während der Wettkämpfe. Autogenes Training und andere Psychotechniken wurden von den Skispringern bereits in den siebziger Jahren in den Österreichischen Skiverband eingeführt. Nicht zuletzt sind es auch die Werbeverträge, die für das nötige Selbstvertrauen und die seelische Sicherheit sorgen. So stehen den Adlern nicht Bier und Schnaps, sondern ausschließlich legale Aufputschmittel ins Gesicht geschrieben, etwa taurin- und koffeinhaltige Limonaden. »Red Bull« ist der Helmsponsor von Schlieri und Morgi, »Power Horse« jener von Wuff. Bei Martin Koch sind es die eher weniger coolen Manner Schnitten, aber dafür darf er sich wenigstens über einen entsprechend rosafarbenen Helm freuen.
Dass sich die Werbesprüche zu der Emotionen versprechenden Boygroup ein wenig gleichen, scheint bis jetzt niemandem aufgefallen zu sein. Oder es ist ohnehin egal. »Red Bull verleiht Flügel«, verspricht der Safthersteller, »V wie Flügel« kalauert die Volksbank nicht unähnlich. »V« das stehe für Flügel, Volksbank sowie den V-Stil, reiben sich die Marketing­strategen die Hände, und dürfen sich über den höchsten Erinnerungseffekt aller Werbesprüche österreichischer Banken freuen. Deshalb haben sie auch den großen Bus gesponsert, mit dem die »Superadler« zwischen ihren Schanzenhorsten reisen.
»Die Adler kommen«, steht auf dem Bus geschrieben, und die fünf Sportler (neben den erwähnten auch noch Andi Kofler) plus Trainer Alexander Pointner prangen überlebensgroß und überbunt auf dem Lack seiner Breitseite. Österreichische Tageszeitungen sahen schon darin unleugbar den Popstarstatus der Skihüpfer zum Ausdruck gebracht: Wer mit so einem Bus herumfährt, muss irgendwie U2 und Bon Jovi sein. Man kommt damit nicht nur schneller von Wettkampf zu Wettkampf und kann sich vor allzu aufdringlichen Boygroupies schützen – den meist männlichen alkoholgestärkten Adlerfans –, hier sorgt bereits die durch abgedunkelte Fenster vor Blicken geschützte Inneneinrichtung für distinktionsbewussten Pop­appeal: Stehen da doch neben einer Küche und einem gekachelten Klo auch eine schwarz-orangene Ledergarnitur, Flachbildschirm und Playstation bereit. Hier halten sich die Boys der Boygroup auf, hier wird gegessen, getrunken und miteinander geflachst.
Oberboy ist zurzeit Schlieri, zuletzt sechsmal hintereinander Sieger im Weltcup, frisurentechnisch sogar noch länger ungeschlagen. Einen gefönten Dauerhelm unter dem eigentlichen Skispringerhelm zu tragen, das muss ihm erst einmal jemand nachmachen. »Du bist ­super und voi fesch mit deine Haar!« schrieb ihm dementsprechend eine Clara aus Eben­see auf seine Homepage, auf der die jungen Mädchen zumindest den Selbstangaben zufolge bei Weitem überwiegen.
»Lässig« ist in Schlieris Interviews das Lieblingswort, und es bezieht sich zumeist auf das Spielen mit der Luft im Flug, die Freude der Fans oder eben den gerade absolvierten Sprung. Eher auf das Wort »supa« hat sich in diesen Zusammenhängen sein Freund Morgi spezialisiert, wobei die vergangene Saison noch mehr in diesem Sinne war. Damals gewann er überlegen den Weltcup, war zuvor auch bereits zweimal Olympiasieger.
Morgi zählt neben Fußball und Ski alpin die Freundin Kristina zu seinen Hobbies. Im Gegensatz zu Schlieri und Morgi spielt Wuff eher den Part des Reflektierten. Er wird schon einmal mit einem Buch auf der Ledergarnitur des Superadler-Busses abgelichtet, und überlegt sich ernst­hafte Antworten auf die Fragen der Reporter, die wissen wollen, warum es bis zu seinem Erfolg so lange gedauert hat. Jahrelang galt er als verlässlicher Platzspringer, war zwar mehrfacher Teamweltmeister, ein Einzelspringen hat er aber vor dieser Saison noch nicht gewinnen können. Das änderte sich mit dem Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen, wo er den Grundstein für seinen Sieg bei der Vierschanzentournee legte. Und für eine ziemlich einzigartige Serie. Seit Jahresbeginn haben die Österreicher 13 Mal hintereinander im Weltcup gewonnen, erst am vergangenen Wochenende in Oberstdorf durfte sich wieder mal ein Springer einer anderen Nation freuen.
Bei der Weltmeisterschaft im tschechischen Liberec ab dem 18. Februar ist das österreich­ische Team aber zweifellos wieder zu favorisieren. Die alpenländische Boygroup möchte wieder den Takt vorgeben, und ihre Wirklichkeit stiftenden Sponsoren würden dabei gerne im Backgroundchor singen.