Obamas Wirtschaftspolitik

Yes, we can buy American

Die Republikaner kritisieren Obamas Konjunkturpaket, weil sie Steuersenkungen den öffentlichen Investitionen vorziehen. Ausländische Politiker werfen der neuen US-Regierung Protektionismus vor, wollen jedoch ebenfalls je ihre nationale Wirtschaft schützen.

Ginge es nach Paul Krugman, dann wäre das Konjunkturpaket des neuen US-Präsidenten Barack Obama, immerhin das mit Abstand größte aller Zeiten, noch gewaltiger ausgefallen. »Hilfreich, aber unzulänglich« seien die beschlossenen Maßnahmen, urteilt der Nobelpreisträger für Wirtschaft. Bereits im November hatte er in seiner Kolumne in der New York Times langfristige Investitionsprogramme und einen über die Politik Franklin D. Roosevelts hinausgehenden »New New Deal« gefordert, dessen notwendiges Volumen er auf mindestens 2 000 Milliarden Dollar taxierte.
Dagegen nehmen sich die knapp 790 Milliarden des stimulus package, das Obama nun gegen den erbitterten Widerstand der Republikaner durch die beiden Kammern des Kongresses gebracht hat, eher bescheiden aus. Immerhin sagte Obama sofort nach der Abstimmung im Senat, dies sei erst der Anfang, seine Wirtschaftspolitik werde sich radikal von der seines Vorgängers George W. Bush unterscheiden. »Ich kann nicht dabei zuschauen, wenn Nichtstun eine Krise in eine Katastrophe verwandelt«, hatte er bereits einige Tage zuvor bei seiner ersten Pressekonferenz im Weißen Haus erklärt. »Ich werde nicht auf die verfehlten Theorien der letzten acht Jahre zurückgreifen, die uns diese Misere eingebrockt haben. Diese Theorien wurden ausprobiert, sie sind gescheitert. Auch darüber ist bei der Wahl im November abgestimmt worden.«
Mitch McConnell, Sprecher der Republikaner im Senat, nannte das Konjunkturpaket eine »dramatische Wende in eine Richtung, die Amerika in Westeuropa verwandelt«. Deutlicher noch wurde Sean Hannity vom konservativen Fernsehsender Fox News, der von einem »European Socialist Act« sprach. Die Republikaner kritisieren nicht das staatliche Eingreifen an sich, auch sie wollen stimulieren. Doch sie fordern vor allem weitere Steuerreduzierungen. Für diesen Zweck sind 282 Milliarden Dollar vorgesehen, gut ein Drittel der Gesamtsumme. Obama war auf die republikanischen Forderungen eingegangen, so gewann er drei oppositionelle Senatoren und konnte verhindern, dass eine republikanische Sperrminorität die Verabschiedung blockiert. Über 500 Milliarden Dollar hingegen sollen in den Bau und die Sanierung von Schulen, Autobahnen, Brücken und die Bahnen fließen.

Obama habe »mehr oder weniger bekommen, was er wollte«, urteilt Krugman, doch habe der Präsident nicht genug gefordert. Viele Ökonomen teilen diese Ansicht. »In einem Jahr werden wir über ein neues Konjunkturpaket reden«, prophezeit Mark Zandi von der Ratingagentur Moody’s. Die meisten Republikaner hingegen halten öffentliche Investitionsprogramme für zu teuer und überflüssig, wenn nicht gar für »sozialistische« Misswirtschaft. Hinter dem Streit, ob Steuernachlässe oder öffentliche Investitionen das bessere Mittel gegen die Krise sind, verbirgt sich noch eine andere Differenz. Während die US-Bürger die durchschnittlich 400 wegen der Steuernachlässe zusätzlich verfügbaren Dollar bzw. das erhöhte Arbeitslosengeld nach Belieben verwenden und auch ausländische Waren kaufen können, sind öffentliche Investitionen leichter lenkbar.
Die Republikaner sind noch immer die Partei des Freihandels, doch bei den Demokraten offenbaren sich mehr und mehr die protektionistischen Neigungen. Es waren demokratische Abgeordnete, die bei der Abstimmung im Repräsentantenhaus die Bevorzugung amerikanischer Produkte und Firmen verbindlich in den Gesetzentwurf einschrieben. Vor allem über diese »Buy American«-Klauseln wird nach wie vor heftig debattiert, doch sind sie für Obama kaum verzichtbar. Larry Summers, der wichtigste Wirtschaftsberater Obamas, verkündete, dass 3,5 Millionen amerikanische Jobs durch das Konjunkturpaket geschaffen oder erhalten werden sollen. Also müssen auch US-Firmen die Aufträge bekommen.
Es kann kaum überraschen, dass diese Klauseln insbesondere bei Politikern außerhalb der USA die Popularität Obamas gemindert haben. Zwar erklärte der Präsident im Anschluss an die Debatten im Repräsentantenhaus, »der Welt kein protektionistisches Signal« senden zu wollen, und schließlich wurde auch im Paket selbst noch festgeschrieben, dass die Auflagen nicht gegen internationale Handelsabkommen verstoßen dürften. Dennoch waren die Reaktionen der wichtigsten Handelspartner der USA ungewohnt heftig. Der kanadische Botschafter in Washington, Michael Wilson, warf den USA vor, einen internationalen Handelskrieg zu provozieren, und sein EU-Kollege John Bruton beklagte, dass das Konjunkturpaket nicht die Art von Weltführerschaft offenbare, die man vom Präsidenten erwartet habe. Auch die chinesische Führung ließ über ihre amtliche Nachrichtenagentur Xinhua sofort nach der Verabschiedung im Senat verkünden, dass es sich hier um »Gift für eine Lösung« der internationalen Krise handele.

Trotz aller Bekenntnisse zum Freihandel, die erst am Wochenende beim Treffen der G7-Finanzminister erneut abgelegt wurden, scheinen protektionistische Maßnahmen keineswegs eine nur untergeordnete oder gar speziell amerikanische Antwort auf die Krise zu sein. Hier reicht ein kurzer Blick auf die Automobilindustrie. Gerade erst durch einen Milliardenkredit vor der Pleite bewahrt, soll General Motors nun im Rahmen des US-Konjunkturpakets wieder ein Steuergeschenk in Höhe von 3,2 Milliarden Dollar erhalten. Aber auch die anderen Industriestaaten unterstützen die heimischen Hersteller. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy verbindet die Finanzhilfe für die französischen Autokonzerne mit der Verpflichtung, im Land hergestellte Teile zu verwenden. Russland hat bereits Importzölle auf ausländische Fahrzeuge erhoben und auch China subventioniert den Kauf im Land hergestellter Kleinwagen. Die Regierungen Großbritanniens, Schwedens und Italiens haben bereits verkündet, ähnliche Gesetze folgen zu lassen.
Großer Verlierer dieses neuen Protektionismus könnte Deutschland sein, das sich selbst bisher mit neuen Maßnahmen zum Schutz seiner Hersteller zurückgehalten hat. So ist auch die mit Verve vorgetragene Kritik der Kanzlerin Angela Merkel an allen Maßnahmen, die dazu führten, »uns in der Krise abzuschotten«, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zu verstehen. Drei Jahrzehnte lang profitierten insbesondere die Industriebetriebe in Europa und China von der ständig wachsenden Nachfrage in den USA. Gerade deshalb ist das gigantische US-Konjunkturprogramm für die Exportnationen so gefährlich. Wenn man Obamas Ankündigung, es handele sich hier lediglich um einen Anfang, ernst nimmt, dann scheint eine ähnliche Entwicklung wie in den dreißiger Jahren relativ wahrscheinlich zu sein. Auch nach der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 hatten die Regierungen ihre jeweiligen nationalen Industrien geschützt und ihre Märkte abgeschottet.

Bereits jetzt gibt es eine schärfere nationale Konkurrenz um die wegen der Krise verringerten Absatzmöglichkeiten. Der Umgangston wird härter, auch in der Europäischen Union. Zuletzt war es der tschechische Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Mirek Topolanek, der Sarkozy scharf rügte, weil der französische Präsident explizit Handelsbarrieren für tschechische Autozulieferer ankündigte. Auch die US-Regierung kritisiert den Protektionismus anderer Länder. Am Montag verkündete Finanzminister Timothy ­Geithner, Staaten wie China könnten nicht mehr lange auf einen Freifahrtschein bei der Unterminierung der internationalen Handelsprinzipien rechnen. In der internationalen Politik ruft nun jeder »Haltet den Dieb!« und ist gleichzeitig bemüht, ein paar Scheine aus der Brieftasche der anderen zu ziehen.
Vor allem für den Fall, dass die von allen Staaten geschnürten Konjunkturpakete mittelfristig nicht greifen – der Dow-Jones-Index der New Yorker Börse sank nach Verabschiedung unbeeindruckt weiter – oder aber insbesondere der US-Dollar in die von vielen Analysten vorhergesagte inflationäre Tendenz fällt, könnte mit einem weiteren Großprojekt der neuen US-Regierung ganz schnell Schluss sein: der internationalen Verständigung.
Bereits 1944 stellte der Roosevelt-Kritiker John T. Flynn fest, dass ein zu hoher Schuldenberg die Regierung letztlich zur »permanenten Kriegführung« zwinge, und die US-Historikerin Marcia Pally wies unlängst darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit der Kriegführung unter demokratischen Präsidenten in der US-Geschichte bisher deutlich größer gewesen ist als bei ihren republikanischen Amtskollegen. Bei den derzeitigen Handelsstreitigkeiten geht es um relativ geringfügige Probleme, doch der Protektionismus entwickelt leicht eine Eigendynamik. Jede Regierung reagiert auf die Maßnahmen der anderen bzw. nutzt sie zur Rechtfertigung. Ein Zusammenbruch des Weltmarkts und eine Auflösung der internationalen Verflechtungen würde jedoch auch die Kriegsgefahr erhöhen.