Die umstrittene Pianistin Elly Ney

Spiel’s noch mal, Elly!

Die Pianistin Elly Ney war eine Antisemitin und Verehrerin Hitlers. Den Gemeinderat im oberbayrischen Tutzing stört das nicht. Ney bleibt Ehrenbürgerin der Stadt.

Während des alljährlichen Rummels um die Festspiele zu Ehren des Antisemiten Richard Wagner in Bayreuth zeigt sich der Geisteszustand des leitenden politischen Personals. Wenn Angela Merkel und Claudia Roth für die Kameras ihre Garderobe vor Haus Wahnfried präsentie­ren, de­mons­trieren sie ein geringes Reflexi­onsniveau. Und sie stellen unter Beweis, dass ­offizielle Gedenkveranstaltungen zu NS-Ver­brechen nichts weiter als leere Rituale sind, in­szeniert, um »das deutsche Ansehen in der Welt«, vulgo die Außenhandels­bilanz, zu verbessern.
Am allerwenigsten wollen die Deutschen auf ihre braunen Künstler verzichten. Der kana­dische Historiker Michael H. Kater sagte der Jungle World, er sei nie auf größeren Widerstand gestoßen als bei der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit von Musikern. So wurde z.B. der Komponist Hans Pfitzner, ein wüster Antisemit vor 1933 und ein Holocaustrelativierer nach 1945, durchaus verteidigt. Der Chefdirigent des Deutschen Symphonieorchesters Berlin, Ingo Metzmacher, bemerkte 2007 zu den Tiraden des Komponisten, der Versailler Friedensvertrag habe diesen eben »extrem geschmerzt«, eine Aufführung von Pfitzners Kantate »Von deutscher ­Seele« am Tag der Deutschen Einheit diene »der Suche nach dem, was das Deutsche ausmacht«.
Dieses tobt sich seit Monaten in Tutzing am Starnberger See in Oberbayern aus. Der Bürgermeister Stephan Wanner, ein Parteiloser, ließ im Mai 2008 ein Gemälde im Rathaus abhängen, das die Pianistin Elly Ney zeigt. Zudem stellte er deren Ehrenbürgerschaft in Frage. An der Strandpromenade wird die Pianistin auch mit einer Büste geehrt. Wanner wies darauf hin, dass Ney eine glühende Verehrerin Hitlers und Antisemi­tin gewesen sei. Diese »menschenverachtende Grundhaltung« stoße ihn ab.

Elly Ney (1882–1968) stammte aus einer national-preußischen Familie in Düsseldorf, ihr Va­ter war Unteroffizier. Sie behauptete, schon als junges Mädchen ihren jüdischen Klavierlehrer Isi­dor Seiss nicht gemocht zu haben, dieser habe regelrecht »gerochen«. Ney machte als Interpre­­tin von Beethoven Karriere, lebte von 1921 bis 1929 in den USA und zog 1930 nach Tutzing. Sie begrüßte den Nationalsozialismus und wurde 1937 Mitglied der NSDAP.
Im Dezember 1938 telegrafierte sie Hitler, es sei ihr »sehnlichster Wunsch (…), Ihnen, mein Führer, einmal Schubert vorspielen zu dürfen«. Das würde ihr »neue Kraft verleihen, mit meinem Leben und meiner Kunst Ihnen und der Deutschen Jugend zu dienen«. Sie spielte im besetzten Krakau für den NS-Generalgouverneur Hans Frank, ebenso wie der seelenverwandte Pfitzner, der an seinem zeitweiligen Wohnsitz in Schondorf am Ammersee heutzutage auch mit Straßennamen und Büste geehrt wird. Ney erhielt 1943 das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse für Truppenbetreuung und wurde 1944 von Hitler in die »Gottbegnadetenliste« der unersetzlichen Künstler aufgenommen.
Der Historiker Hans Mommsen wies darauf hin, dass sich Ney »offenbar wiederholt auch ­öffentlich für die Ausschaltung der Juden ausgesprochen« habe. Michael Kater riet den Tutzingern, sich »von dieser abstoßenden Figur der deutschen Musikgeschichte« deutlich zu distanzieren. Charlotte Knobloch, die Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, er­innerte daran, dass Ney die Bücherverbrennungen befürwortet und sich während der Olym­pischen Spiele 1936 über die Siege schwarzer Sport­ler empört hatte. Zudem habe Ney nicht im selben Umfeld mit jüdischen Musikern auftreten wollen, sondern lieber vor der Hitlerjugend und dem BDM, der SA und SS. Als Überlebende der Shoah empfinde sie es als Hohn, dass Ney geehrt werde, sagte Knobloch.
Dagegen rechtfertigte der frühere bayerische Kultusminister Hans Maier (CSU) in einer Po­diums­diskussion im Januar in der Evangelischen Akademie Tutzing die Ehrung der »Ur-Nazisse« (Kater) damit, dass man ansonsten unzählige Denkmäler in aller Welt schleifen müsse, weil auch Persönlichkeiten wie Napoleon und Danton Verbrecher gewesen seien. Er habe gedacht, es sei Konsens, dass die NS-Verbrechen unvergleichlich seien, entgegnete damals der Historiker ­Michael Brenner.

Die große Mehrheit des Gemeinderats von Tutzing beschloss im Februar, dass Ney Ehrenbürgerin und Straßenpatronin bleiben solle. Ein Vertreter der Freien Wähler verwies dabei auf eine »andere Elly Ney«, die Wohltätigkeitskonzerte ­gegeben habe und umsonst in Schulen und Lazaretten aufgetreten sei. In Leserbriefen an die Lokalpresse attackierten Anhänger von Ney den Bürgermeister und insbesondere Knobloch. Einer schrieb höhnisch, die Debatte werde »nicht zu vermehrten Sympathien für die Juden bzw. Israel führen« und riet, die Ney-Straße in »Charlotte-Knobloch-Avenue« umzubenennen. Das würde der Zentralratsvorsitzenden gut tun, »da ich annehme, dass sie mit dem Gaza-Krieg ihrer Glaubensbrüder nicht nur Freude erlebt«. Neys Büste an der Strandpromenade wurde hingegen kürzlich von Unbekannten mit Farbe beschmiert. Die Pianistin hat in Tutzing also nicht nur Anhänger.