Lamento aus dem Mittelbau, Teil III

Die Letzten ihrer Art

Zwischen Master und Professor, zwischen Sekretariat und Dekanat, zwischen Seminar und Gremiensitzung wird auf hohem Niveau gejammert. Lamento aus dem Mittelbau, Teil III

Neulich saß ich nach einer Tagung mit Kollegen von anderen Universitäten beim Feierabendbier zusammen. Was ein netter Plausch hätte werden können, geriet zu einem großen Wehklagen: Die vielen zusätzlichen Termine! Die Selbstausbeutung! Die zermürbende Befristung der Verträge! Die unbezahlten Lehraufträge! Die ewigen Fragen der Studierenden nach der Prüfungsrelevanz der Exkurse über die Trennung von System und Lebenswelt bei Habermas! Ein Bekannter wurde sogar nach einem aus Solidarität gehaltenen Vor­trag beim Hochschulstreik nach der Klausur­relevanz des Gesagten gefragt. Das prägt.
Machen wir uns nichts vor: Zum Psychogramm des Mittelbauakademikers gehört es, gleich nach der Einstellung jämmerlichste Elegien und morbide Bluesgesänge anzustimmen. Hatte man nach dem Examen in den Sozial- und Geisteswissenschaften zunächst festgestellt, dass selbst die allerbesten Noten auf dem freien Markt einen Realwert von 20 000 Ostmark kurz nach der Wäh­rungsunion hatten, kam selbst dann keine rechte Freude auf, als man den ersehnten Hochschulvertrag unterschrieben hatte. Ach, es ist ein melancholisches Leben in e-Moll, das wir Prekäre im Hochschuldienst führen. Und wenn wir schon öffentlich weinen: Was wurde nur aus dem Humboldtschen Ideal der Einheit von Forschung und Lehre? Hörsäle werden heutzutage von Aldi Süd gesponsert, das Audimax heißt künftig vielleicht Allianz-Auditorium. Früher, so scheint es rückblickend, hatte jeder, der in irgendeinem Orchideenfach über die Kulturgeschichte des Schluckaufs promovierte, Muße und Gelegenheit, seiner abseitigen Liebhaberei in kümmerlich besuchten Seminaren nachzugehen. Seit die Jung­gesellen der Künste und »Effizienzoptimierer« die Universitäten dominieren, ist Schluss mit lus­tig! Hoffnungsschimmer gibt es allenfalls für Universitätspsychologen wegen der gewachsenen Prüfungsängste. Ansonsten werden alle, die keine Professur anstreben, eher früher als später aus dem Universitätsbetrieb ins Ungewisse entlassen. Auch für Habilitierte stehen die Chancen gut, nach der Abgabe voluminöser Qualifikationsschriften als außerordentliche Assistenten zu verhungern. Wenn sie nicht schon vorher als Lehrbeauftragte verdurstet sind. Das Lamento aus dem Mittelbau der Universitäten ist der Stoßseufzer einer aussterbenden Gattung, die im Bewusstsein ihrer befristeten Existenz dahindarbt. Selbst der schönste Seminarerfolg scheint bloß vergängliches Glück zu sein. Bald sind wir wieder alle draußen.
Kompensiert wird der ganze Frust gerne mit blasiertem Spott über die Stilblüten der Studenten. Klar, manch einer im Saal hält Gramsci für einen italienischen Wintersportort. Doch woher sollen deutsche Gymnasiasten den auch kennen? Viel glossentauglicher ist, wie wir Mittelbauakademiker bisweilen selber daherquatschen. Wir palavern über unsere Alleinstellungsmerkmale und soft skills. Wir sind am Ende eines Projekts stolz auf die erzielten Synergieeffekte in der Hochschul-Governance. Ja, und immer gilt es, Exzellenzen herauszubilden, drunter geht’s nicht mehr. Leider ist das eigene Zeitfenster so arg beschränkt. Blubb!
Defätismus wäre in dieser Situation konterrevolutionär. Besser, man besinnt sich auf die Schönheit einer gelungenen Seminarsitzung mit intelligenten und neugierigen Leuten. Die gibt’s genug. Und wer hält uns davon ab, wider die Kon­ventionen an der bedingten Universität auch vermeintlich Abseitiges zu lehren? Der letzte linke Student sitzt schließlich auch noch im Seminar und verlangt, zermartert von wertkritischen Dauerdiskursen mit Israel-solidarischen Klima­skeptikern und antideutschen Postdekonstruktivisten, nach Orientierung in der neuesten Un­übersichtlichkeit. Nicht, dass ich irgendeinen Rat wüsste. Aber ich ahne, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus welchen Hirnschichten unsere berufsbedingte Larmoyanz stammt. Aus dem tragischen Bewusstsein darüber, dass wir nach zähem Vorlauf die richtige akademische Lebenswelt im falschen System gefunden haben. Ein System mit einem verrückten Verwertungsfetisch und vielen, vielen Verwaltungsimperativen.