Die Bürger, die Junkies und das Kottbusser Tor

Fixpunkt Kreuzberg

Die einen wollen die Dealer vertreiben, die anderen die Yuppies. Sicher ist: Bald gibt es am Kottbusser Tor nicht einmal mehr einen Druckraum.

»Dealer raus aus Kreuzberg«, fordern seit mehreren Wochen immer wieder samstags rund 50 Menschen meist türkischer Herkunft am Kottbusser Tor. Offensichtlich handelt es sich dabei um ganz normale Bewohner des Kiezes. Doch gleich bei ihrer ersten Kundgebung stellten sich ihnen andere ganz normale Bewohner entgegen, mit Plakaten, auf denen geschrieben stand: »Junkies bleiben – Yuppies vertreiben«.
Weil sich die Auseinandersetzungen um die Drogenszene am Kottbusser Tor hervorragend eignen, ganz andere Interessen zu verfolgen, kam der Konflikt schnell in die Medien. Als dann noch Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) als Gast auf der Kundgebung eher beiläufig die Bemerkung fallen ließ, in einem überwiegend von aus der Türkei stammenden Familien und dem grünen Bundesvorsitzenden Cem Özdemir bewohnten Haus in der Nähe »sei doch demnächst ein großes Ladenlokal für neue Druckräume frei«, hatten der Boulevard und der Tagesspiegel ihr Thema gefunden. Denn die Bewohner des Hauses wiesen den Vorschlag mit dem Verweis auf ihre Kinder empört zurück.

Seit im vorigen Sommer ein nahe gelegenes Parkhaus als Versteck für Drogendealer und Konsumenten geschlossen wurde, hat sich die Situation am Kottbusser Tor merklich verschärft. Immer wieder werden gebrauchte Spritzen in den Haus­eingängen gefunden, und die Bereiche vor den Eingängen und auf den Zwischenebenen der U-Bahn präsentieren sich mehr oder weniger offen als Drogenumschlagplätze. Deshalb will die BVG nun aus dem U-Bahnhof einen Musterbahnhof für moderne Videoüberwachung machen und »bewegliche Zoomkameras einsetzen«, wie der BVG-Sprecher Klaus Wazlak sagte. Nur Experimente mit »biometrischer Gesichtserkennung« wer­de es nicht geben. Ercan Yasaroglu, Sprecher der Bürgerinitiative »Drogen weg vom Kottbusser Tor«, befürchtet dennoch, dass die »Drogenpro­ble­matik nur benutzt wird, um eine Total­über­wa­chung per Video durchzusetzen, die sich schnell auch gegen oppositionelle Gruppen richten kann«.
Aber auch Yasaroglu will Veränderungen. »Ich kenne viele ältere Menschen in den Häusern rund ums Kottbusser Tor, die trauen sich nicht mehr aus ihren Wohnungen«, sagt der im Familienzentrum beschäftigte Sozialarbeiter. »4 000 Kinder sind täglich auf ihrem Weg zur Schule mit diesem Elend konfrontiert.« Mühsam versuchen er und seine Mitstreiter, die eher konservativen und rechten Anwohner zu zügeln, welche die Probleme »gewaltsam lösen wollen«. Er befürchtet eine weitere Eskalation Ende März, wenn die Druckräume in der Dresdener Straße schließen müssen. Dort können sich Konsumenten vier Stunden am Tag unter hygienischen Bedingungen ihre Drogen spritzen.
Bezirksbürgermeister Schulz sucht seit Mo­naten nach einem Ersatzraum in der Nähe des Kottbusser Tors. Doch viele Hausbesitzer verzichten lieber auf Mieteinnahmen, als sich die mit dem Drogenkonsum verbundenen sozialen Probleme ins Haus zu holen. Inzwischen kursieren allerlei Vorschläge, wo man Fixerstuben einrichten und Sanitäranlagen installieren könnte, etwa auf der Verkehrsinsel am Kottbusser Tor, beim Ostbahnhof oder in einer der leer stehenden Bahn­baracken im Görlitzer Park. »Warum nicht mit den Junkies und den Dealern vor den Reichstag«, forderte am Samstag eine ältere Frau türkischer Herkunft aus der Anwohnerinitiative »Mütter ohne Grenzen«, die seit Jahren auf das Problem aufmerksam zu machen versucht.

Genüsslich kritisierte Cem Özdemir mehrfach in den vergangenen Wochen, dass die türkischen Mütter bei den autonomen Linken nur so lange gelitten seien, solange sie kein Deutsch könnten. »Sobald sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben wehren, sind sie gleich Yuppies, oder wie?« fragte der grüne Parteivorsitzende. Allerdings befürchtet die Initiative »Wir bleiben alle!«, zu der sich etliche autonome Hausprojekte aus der Innenstadt zusammengeschlossen haben, dass »wenige Jahre nach einer Vertreibung der Junkies sich die jetzt so empörten Bürger in den Randbezirken der Stadt mit den Drogenkonsumenten wieder treffen werden«. Denn erfahrungsgemäß könne nach der damit verbundenen »Aufwertung« des Kiezes bald niemand mehr die Mieten bezahlen.
Doch nicht einmal eine aus rund 40 Gewerbetreibenden bestehende Initiative fordert die »Vertreibung«, sondern einen neuen Umgang mit den Drogenkonsumenten. In einem offenen Brief forderte sie den Senat und das Bezirksamt auf, den Druckraum in der Dresdener Straße nicht zu schließen, sondern deutlich zu vergrößern und die Öffnungszeiten zu verlängern. Nicht verstehen kann sie, warum der Senat zwar »durch Verdrängung der Drogenabhängigen von anderen Plätzen« die Situation »am Kotti herbeiführt«, dann aber nicht mal in der Lage sei, »wenigstens Pissoirs aufzustellen«.