Die geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts

Mutti bleibt straffrei

Bessere Beratung, größerer Schutz – eine geplante Gesetzesänderung soll dem Wohl von Frauen dienen, die vor der Möglichkeit einer Spätabtreibung stehen. Tatsächlich droht jedoch eine Verschärfung des Abtreibungsrechts.

Es geht nicht nur der CDU und der SPD so: Seit mehreren Legislaturperioden können sich die Re­gierungs-, aber auch die Oppositionsparteien nicht darauf einigen, wie Spätabtreibungen, also Abbrüche ab der 23. Schwangerschaftswoche im Schwan­gerschaftskonfliktgesetz geregelt werden sollen. Auch die Expertenanhörung im Bundestag am Montag konnte daran nichts ändern. Mittlerweile sind sich aber alle Parteien zumindest darin einig, dass Schwangere mehr Be­ratung in Sachen der Pränataldiagnostik und besonders im psychosozialen Bereich brauchen.
Die Ziele sind aber unterschiedlich: Im Gegensatz zu den anderen Parteien wollen die Union und die FDP die Zahl der Abtreibungen senken. Eine Allianz aus CDU, FDP und den Grünen fordert nicht nur eine Beratungspflicht für Ärzte, die­se sollen Abtreibungen auch noch detaillierter als bisher dokumentieren und diese Daten für Sta­tistiken zur Verfügung stellen. Zwischen Beratung und Abbruch soll zudem eine Mindestbedenk­zeit von drei Tagen liegen, es sei denn, es besteht akute Gefahr für die Schwangere. Um die Ärzte dazu zu bringen, diese geplanten Vorschriften ein­zuhalten, wollen CDU, FDP und Grüne mit Strafe drohen: Verstößt ein Arzt gegen die Beratungs- und Dokumentationspflicht, wird die Bedenkzeit nicht eingehalten oder weigert er sich, Auskünfte für die Statistik zu geben, soll dies als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis 10 000 Euro bestraft werden.

Tatsächlich geht es in dem Vorschlag nicht nur um die Spätabtreibungen – die Regelungen würden für alle Abbrüche gelten. »Der Sache nach werden die bislang geltenden Anforderungen an die ärztlichen Feststellungen einer medizinischen In­dikation über den Umweg des Schwangerschafts­konfliktgesetzes verschärft«, sagt Monika Frommel, die Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie an der Universität Kiel. »Wer das Gesetz so ändert, dass alle oder zumindest ein Teil der medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüche einer weitgehenden bürokra­tischen Kontrolle unterworfen werden, an deren Ende ein Bußgeldverfahren stehen kann, geht be­reits den ersten Schritt in Richtung einer möglichen Kriminalisierung von Ärzten, die Feststellun­gen zur medizinischen Indikation treffen«, führt sie aus. Diese Indikation liegt der Definition zufolge vor, »wenn der Schwangerschaftsabbruch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse notwendig ist, um Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der schwan­geren Frau abzuwenden; in diesen Fällen besteht keine zeitliche Begrenzung«. Die geforderte Ände­rung werde »das ohnehin knappe Angebot noch weiter verknappen«, befürchtet Frommel. Wenn der Entwurf als Gesetz verabschiedet wird, werden betroffene Frauen ihr zufolge wieder dazu ge­zwungen sein, für einen Abbruch ins Ausland zu gehen.
Die SPD und die »Linke« halten die bisherigen gesetzlichen Regelungen für ausreichend. Außerdem ist zum Thema Pränataldiagnostik noch ein anderes Gesetz in Vorbereitung, das – ebenfalls umstrittene – Gendiagnostikgesetz. In ihm soll ei­ne Beratungspflicht des Arztes vor und nach allen vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen und die Hinweispflicht auf den Rechtsanspruch auf Beratung festgelegt werden.

Schon jetzt haben Schwangere und ihre Partner ein Recht auf Beratung, das aber kaum beachtet wird: Lediglich 16 bis 21 Prozent der Schwangeren wurden vor einer pränataldiagnostischen Untersuchung umfassend über die Möglichkeit einer psychosozialen Beratung informiert, so die Studie »Schwangerschaftsleben und Pränataldiagnos­tik« der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2006. Im Gegenteil raten die Ärzte sogar häufig zu solchen Untersuchungen, »oft ohne über Chancen und Risiken zu informieren«, heißt es in einem Antrag, den u.a. die SPD-Abgeordnete Christel Humme einbrachte. »Frauen wird so die Möglichkeit verwehrt, vor Inanspruchnahme von Pränataldiagnostik gut informiert zu entscheiden, ob sie überhaupt eine Diagnostik wünschen. Ihr Recht auf Selbstbestimmung und auch ihr Recht auf Nichtwissen wird damit nicht gewahrt«, ist dort weiter zu lesen. Solche Beratungen gebe es zudem weder kostenlos noch überall, wie die »Linke« bemängelt. Für sie sind auch die Forderungen nach einer Pflichtberatung und einer Mindestbedenkzeit falsch. »Sie richten nur weitere Hürden in einer ohnehin bestehenden emotionalen Grenzsituation auf«, heißt es im Antrag der Linkspartei.
Kritik gibt es auch, was den Datenschutz angeht. »Die in diesem Antrag formulierte Dokumentationspflicht bedeutet einen massiven Eingriff des Staates in persönliche Angelegenheiten der Klientinnen und in das ärztliche Vertrauensverhältnis«, warnt der Bundesverband von Pro Familia vor den Vorschlägen von CDU, FDP und Grünen. Es werden bereits sehr ausgiebig Daten über Abtreibungen gesammelt. Neben Grund und Zeit­punkt des Abbruches meldet der Arzt auch das Alter, den Familienstand und die Kinderzahl der Frau, das Bundesland, in dem sie abtreiben ließ und in dem sie wohnt, und ob sie den Abbruch in einer Praxis oder in einer Klinik vornehmen ließ. Ginge es nach CDU und CSU, würden noch mehr Informationen gesammelt werden, z.B. über Fehlbildungen des Fötus oder die Abtreibung von Föten bei Mehrlingsschwangerschaften. Die Frage wäre dann allerdings, ob die Anonymität der Frauen überhaupt noch gewahrt bliebe. Im Jahr 2007 gab es gerade mal 229 Spät­abtreibungen. Insgesamt haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts fast 117 000 Frauen abgetrieben, 2,4 Pro­zent weniger als im Vorjahr. Über 97,4 Pro­zent der Frauen ließen den Abbruch nach der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtberatung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen vornehmen.

Für die geplanten Verschärfungen des Abtreibungs­rechts hat die Union überaus konservative Unterstützer, die den Grünen ansonsten nicht häufig applaudieren. Die Kirchen und Abtreibungsgegner geben sich zwar nicht ganz zufrieden mit dem Entwurf, sehen ihn aber als Schritt in die richtige Richtung. Fundamentalisten und selbsternannten »Lebensschützern«, die wie der Verein »Aktion Leben« vom »Embryocaust« sprechen, gehen die vorgesehenen Verschärfungen dagegen keinesfalls weit genug: Ein generelles Abtreibungsverbot muss ihnen zufolge her, so werden auch Deutschlands Nachwuchs­probleme gelöst. »In den 30 Jahren seit der faktischen Freigabe der Ab­treibung 1974 sind allein nach den unrealistischen Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland rund 4,2 Millionen, nach plausiblen Schätzungen aber rund acht Millionen Kinder getötet worden«, schreibt Manfred Spieker, Professor für christliche Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück und Mitglied der reaktionären katholischen Kaderorganisation Opus Dei. »Diese Massenvernichtung ist die zentrale, wenngleich in den einschlägigen De­batten gern umgangene Ursache der demografischen Probleme des nächsten halben Jahrhunderts.«