Eine kolumbianischen Stadt wehrt sich gegen die Paramilitärs

Aufstand im Paraland

Montería heißt in Kolumbien die inoffizielle Hauptstadt der Paramilitärs. Doch nach vielen Jahren des Terrors werden hier wieder kritische Stimmen laut. Die Universität ist dabei ein wichtiges Zentrum des Neubeginns, der von den Gewerkschaften initiiert wird.

Antonio Flores reibt sich über den buschigen Schnauzer. Zufrieden blickt sich der Gewerkschafts­funktionär um. Die Fassade des Verwaltungsgebäudes der Universität von Córdoba ziert eine Viel­zahl von Parolen. »Keine Militärstiefel an der Universität« ist da neben »Keine Motorsägenmas­saker« und »Weder Paras noch Guerilla« zu lesen. Zufrieden nickt der Gewerkschaftssekretär mit dem Kopf und lässt den Blick über die Papiergirlande schweifen, die über den Campus gespannt ist und die mit weiteren kämpferischen Parolen aufwartet. »So etwas hat es hier schon lange nicht mehr gegeben«, berichtet der diplomierte Biologe. Acht Jahre hat der stämmige Mann, der immer von zwei stiernackigen Bodyguards be­gleitet wird, in Bogotá im Exil gelebt. In Montería, der Hauptstadt der Viehzüchterprovinz Cór­doba, war es zu gefährlich für den bekannten Arbeitervertreter. »Hier an der Universität sind zwi­schen 1995 und 2005 24 Menschen ermordet worden – Professoren, Angestellte und Studenten. Hier herrschte ein Klima der Angst. Für die Paramilitärs, die für diese Morde verantwortlich sind, war es eine Säuberung«, sagt Flores mit bitterer Stimme. Auch sein Name steht auf den Listen der paramilitärischen Killer, und auch die Genossen Robinson Hosten und Álvaro Uribe Aviaso können sich in Montería nur in gepanzerten Wagen und unter den wachsamen Augen der Bodyguards bewegen. Alltag in Montería.

Die Stadt im Norden Kolumbiens ist dafür bekannt, dass hier die Paramilitärs den Ton angeben. »Hier steht die Wiege des Paramilitarismus, und die Strukturen funktionieren nach wie vor wie ge­schmiert«, erklärt Iván Cepeda. Der Mann mit der schlaksigen Figur ist ein international bekann­ter Menschenrechtsaktivist.
Vor gut zwei Jahren bekam er einen Anruf von der Gewerkschaft an der Universität in Montería. Es war ein Hilferuf, denn die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Professoren wollten sich nicht länger mundtot machen lassen. »Damals bin ich zum ersten Mal nach Montería gekommen. Da habe ich recherchiert, dass der Rektor der Universität von niemand anderem als von Salvatore Mancuso (dem ehemaligen Kommandanten der rechtsextremen Paramilitärs, K.H.) persönlich eingesetzt wurde. Die Universität hat er mit Drohungen und systematischen Einschüchterungen zu einer gleichgeschalteten Institution gemacht«, erklärt Cepeda. Als er in seiner Kolumne in der Zeitung El Espectador die Ablösung des Rektors und Aufklärung forderte, ließ die Reaktion nicht lange auf sich warten. Sie kam aus dem Präsidentenpalast, nahm den Rektor in Schutz und griff Cepeda persönlich an. »Da wusste ich, dass ich in ein Wespennest gesto­chen hatte, und gemeinsam mit Jorge Rojas von der Menschenrechtsorganisation Codhes habe ich begonnen, weiter zu recherchieren.« Die beiden Sozialwissenschaftler deckten so manche Seilschaft und so manche Verbindung nach ganz oben auf. Mit ganz oben ist Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe Vélez gemeint, der in der Provinz Cór­doba eine große Ranch, Ubérrimo, sein eigen nennt und regelmäßig in Montería zugegen ist. »Der Chef der lokalen Viehzüchtervereinigung, Rodrigo García Caicedo, ist ein guter Freund von Präsident Uribe und aus meiner Sicht der intellektuelle Vater der Paramilitärs«, erklärt Cepeda. »Für ihn sind Salvatore Mancuso und Carlos Cas­taño Helden, die ein Denkmal verdient haben.« An der Universität hingegen lassen die Namen der lange Zeit unangefochtenen Chefs der Paramilitärs Lehrende, Lernende und Angestellte erschauern.
Aus gutem Grund, denn noch immer arbeiten mehrere Verwandte von Carlos Castaño, der vor einigen Jahren aus ungeklärten Gründen verschwand, und von Salvatore Mancuso, der sich vor US-Gerichten wegen Drogenschmuggel verantworten muss, in der Verwaltung der Universität. »Bitte sorgen Sie dafür, dass sie die Universität verlassen«, appelliert Cepeda an den neuen Rektor der Universität, der für einen Neuanfang eintritt und seinen Vorgänger vergessen machen will. Das dürfte nicht so einfach sein, denn unter der Regie von Claudio Sánchez Parra hat sich an der Universität von Córdoba ein Klima der Ein­schüchterung und latenten Bedrohung breitgemacht. »Faktisch haben die Paras die Universität übernommen. Erst wurden namhafte Professoren, bekannte Studenten und Gewerkschafter ermordet, dann wurde der Rektor von Mancusos Gnaden eingesetzt«, erklärt Álvaro Vélez Ariaso. Der 54jährige ist Vizepräsident der Gewerkschafts­vertretung der Universität und kann sich in Montería nur unter Begleitschutz bewegen. Den hat ihm der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verschafft, denn die nationalen Organe stuften die Gefährdung des Gewerkschaftsfunktionärs nicht als sonderlich hoch ein. Der Begleitschutz für ihn ist kein Einzelfall, denn die Zahl der ermordeten Arbeitervertreter spricht für sich. 49 waren es 2008, 482 seit dem Amtsantritt von Präsident Uribe im Jahr 2002 – kein Land weltweit hat mehr tote Arbeitervertreter zu beklagen als Kolumbien. Das hat Tradition. Seit Beginn der achtziger Jahre führt Kolumbien die Statistik unangefochten an, und das macht der Regierung in Bogotá erstmals richtig zu schaffen. Das bereits 2006 ausgehandelte Freihandelsabkommen mit den USA ist nicht in Kraft getreten, weil in Kolumbien die Arbeiterrechte nicht respektiert werden. Verantwortlich für den Widerstand in den USA ist die demokratische Mehrheit im Kongress. Die Demokraten haben dafür gesorgt, dass die Regierung Bush das Freihandelsabkommen nicht ratifizieren konnte. Den Grund dafür lieferten die amerikanischen Gewerkschaften, die Druck auf die Demokraten aus­übten, nachdem die kolumbianischen Kollegen sich mit der Bitte um Unterstützung an sie gewandt hatten. Allen voran die United Steelworkers, die bereits mehrere Prozesse in den USA für die kolumbianischen Kollegen initiiert haben, unter anderem gegen Coca Cola, Chiquita und den Kohlekonzern Drummond wegen der Verbindungen zu Paramilitärs. »Für uns in Kolumbien ist das eine Art Sauerstoffschub, denn die Gewerkschaftsbewegung ist gezeichnet von jahrelanger Verfolgung«, erklärt Robinson Hosten, Gewerkschafter an der Universität von Córdoba. Gemein­sam mit den Kollegen hat er beschlossen, ein Zei­chen zu setzen und die Rückeroberung der Universität zu initiieren. Unterstützung haben die Ge­nossen dabei nicht nur von den Professoren, die das jahrelange Redeverbot genauso leid sind wie die Studenten, sondern eben auch aus Bogotá von Iván Cepeda. Er hat eine internationale Delegation von Anwälten nach Montería eingeladen, damit sie sich ein Bild von den Verhältnissen in der Hauptstadt des Paramilitarismus machen können. Internationale Aufmerksamkeit, Solidarität und ein Ende der latenten Straflosigkeit erhoffen sich viele an der Universität von Cór­doba von dem mehrtägigen Besuch der Anwälte aus Großbritannien und Italien. Witwen wie Miriam Cecilia Grau McNish und Nancy del Carmen Gómez sind gekommen, um nach langen Jahren des Schweigens Gerechtigkeit zu fordern. Die beiden Frauen wollen den Mord an ihren Männern, beide Universitätsprofessoren, zur Sprache bringen und den Schuldigen beim Namen nennen. Und dieser lautet: Mancuso.

»Salvatore Mancuso hat sogar persönlich eingestanden, den Mord an meinem Mann Lucio Elías in Auftrag gegeben zu haben. In einer dieser Videokonferenzen war das«, sagt Miriam Cecilia und fährt sich über die streng nach hinten gebundenen schwarzen Haare. So wie sie haben viele Men­schen in Montería Hoffnung geschöpft. Hoffnung, dass sich endlich etwas ändert, nach langen Jahren des paramilitärischen Terrors. Mitte der neunziger Jahre begann der Terror an der Univer­sität, doch de facto war und ist die ganze Stadt Montería mit derzeit knapp einer Million Einwohnern in der Hand der Paramilitärs. So gehört die Regionalzeitung El Meridiano zur Hälfte Salvatore Mancuso, den Recherchen von Iván Cepeda zufolge. Zahlreiche Restaurants, Autohäuser und sonstige Immobilien sollen dem ehemals obersten Paramilitär ebenso wie etliche Tausend Hektar Land gehören. Obendrein hat der Sohn eines italienischen Einwanderers und einer Kolumbianerin seinen Gefolgsleuten und sich selbst gleich einen ganzen Stadtteil reserviert. Weiße prunkvolle Villen in allen Güteklassen sind da zu bestaunen, und die prächtigste ist natürlich jene des Chefs, der im Dezember 2006 an der Spitze des Bloque Catatumbo – eines paramilitärischen Kampf­verbandes, der in der Provinz Santander agier­te – seine Waffen niederlegte. Mit der von der Regierung gefeierten Demobilisierung der Paramilitärs ist es mit dem Terror in Córdoba aber längst nicht vorbei.
Das bestätigt auch Jaime, ein Bodyguard von An­tonio Flores. »Es gibt Anzeichen dafür, dass sich die Paramilitärs auch in Córdoba neu formieren. Die Zahl der selektiven Morde deutet darauf hin«, erzählt er. Das ist auch in anderen Departamentos Kolumbiens nicht anders, und angesehene Menschenrechtsorganisationen wie die Fundación Nue­vo Arco Iris gehen von 9 000 bis 11 000 Kämpfern aus. »Das entspricht genau den Zahlen vor der De­mobilisierung«, sagt Iván Cepeda. Umso wichtiger ist es für ihn, Initiativen zu organisieren, und die von ihm koordinierte Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen (Movice) ist eine solche. Auch in Montería ist sie präsent, wie ein Besuch in einem Flüchtlingsviertel zeigt. Mehrere Dutzend Menschen schwenken ihre Unterlagen, als Cepeda mit der Anwaltsdelegation ankommt. Auch die beiden Professorenwitwen gehören Movice an. Das Gefühl, nicht allein zu sein, ist ihnen wichtig, und an der Universität von Córdoba ist es beinahe greifbar.

Nicht nur die Gewerkschafter haben sich neu for­miert, auch die Professoren und Studenten koordinieren sich für den Neuanfang. Vorerst unter unauffälligen Namen, wie »debattierende Studenten« oder »Studentenkreis«, denn die Angst ist weiterhin vorhanden. »Das Recht auf freie Meinungsäußerung existiert kaum mehr. Ich weiß doch nicht, wer hier heute mithört und morgen entscheidet, dass ich zur Farc (der größten linken Guerilla Kolumbiens, K.H.) gehöre«, sagt Elena Mercado mit unsicherer Stimme. Die 21jährige studiert Sozialwissenschaften und gehört zu einem studentischen Diskussionskreis. Bloß nicht auffallen, lautete das Motto der vergangenen Jah­re. Doch für den Besuch der Anwaltsdelegation haben die Kommilitonen all ihren Mut zusammen­genommen und sich darauf eingestellt, zur Not ein paar Monate unterzutauchen.
Manuel Marquez hat das bereits hinter sich. Der 19jährige gehört zu den Wortführern der Studentengruppe, die sich für Meinungsvielfalt und ein Ende der Infiltration durch die Paramilitärs einsetzt. »Nicht jeder, der anders als die Regierung denkt, ist doch gleich subversiv, aber hier ist das die Leitlinie.« Freie Lehre ist immer noch eine Utopie, obwohl mit der Verhaftung des Rektors ein erster Sieg erzielt wurde. Ende Dezember war das, und seitdem ist der neue Rektor, Lino Torregrosa, kommissarisch im Amt. Vertrauen will er herstellen, für einen ernsthaften Dialog mit allen Beteiligten eintreten und so den Neuanfang an der Hochschule initiieren. »Wir müssen den Kreislauf der Gewalt in Frage stellen«, so der Mediziner, der seit 14 Jahren an der Universität lehrt und wie viele andere sich hat einschüchtern lassen. Das scheint aber nun immer weniger der Fall zu sein, denn Professoren wie Miguel Palomino Cantilla, ein Veterinärmediziner, nennen die Dinge klar beim Namen. »Jeder in Montería weiß doch, dass Salvatore Mancuso und Carlos Castaño hier im Country Club ein- und ausgingen, obwohl Haftbefehle gegen sie vorlagen.« Das ist nur ein Beispiel für die Seilschaften in Montería. Doch die Spielräume für die paramilitärische Elite des Departamentos sind kleiner geworden.
Das zeigt auch die Verhaftung des Rinderbarons Rodrigo García Caicedo. Der geistige Vater des Paramilitarismus in Kolumbien wurde im Januar festgenommen, und seinem persönlichen Freund, dem Staatspräsidenten Álvaro Uribe Vélez, dürfte das gar nicht gefallen haben. Ein Grund für seine Festnahme war das im Dezember veröffentlichte Buch von Iván Cepeda und Jorge Rojas, die dem einflussreichen Mann im Hintergrund einige Seiten widmeten. Nachzulesen ist da auch, dass das Monument des bewaffneten Kämpfers, der Hand in Hand mit dem säenden Bauern geht, auf die Initiative von Rodrigo García Caicedo zurückzuführen ist. Die Statue steht, auch das ein schöner Zug der Geschichte, gegenüber vom ehemaligen Hauptquartier des Geheimdienstes DAS. Symbolisch lassen sich Iván Cepeda, der Gewerkschafter Camelo Pérez und einige regionale Vertreterinnen von Movice vor dem Monument fotografieren. Die Rückeroberung der Hochburg der Paramilitärs hat längst begonnen, soll das wohl heißen. Die Universität könnte dabei zu einem wichtigen Ort werden, denn dort sind sich alle Beteiligten anscheinend darüber einig, dass die Hochschule endlich wieder ohne Denkverbote funktionieren und ihren schlechten Ruf verlieren soll. »Selbst unter Studenten gilt die Universität nämlich als paratreu, und mit uns aus Cór­doba wollen Studierende anderer Universitäten kaum etwas zu tun haben«, klagt Manuel Marquez. Er ist froh, dass sich endlich etwas tut an der Universität, denn so etwas wie eine internationale Delegation hat es in Montería lange nicht mehr gegeben. »Etwas mehr internationale Aufmerksamkeit könnte uns hier sicherlich nicht schaden«, sagt auch Antonio Flores. Nur zu gut weiß der erfahrene Gewerkschafter, dass der eigentliche Wandel von unten aus der Bevölkerung kommen muss. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.