Linksliberale diskutieren in den USA über den Kommunismus

Unruhe stiften und Pläne schmieden

Die Krise macht es möglich: Nun wird auch im linksliberalen Milieu der USA wieder über den Sozialismus diskutiert.

Als extremistische Weltuntergangspropheten waren die Leute des wackeren, aber eben auch immer etwas betulichen Traditionswochenblatts The Nation bislang wirklich nicht bekannt. Ihre Autoren versorgen das Milieu der Latte schlürfenden und Volvo fahrenden liberals, für das die Zeitschrift nach Auffassung konservativer Spötter gemacht ist, üblicherweise mit Argumenten, warum die Demokratische Partei letztlich doch das kleinere Übel bleibt. Insofern ist es schon ein wenig erstaunlich, dass dem Kapitalismus jetzt sogar in dieser Bastion des rechtschaffenen Sozialliberalismus das Totenglöckchen geläutet wird.
»Wir scheinen in eine Todesspirale geraten zu sein, in der steigende Arbeitslosigkeit zu rückläufigem Konsum und also zu noch größerer Arbeitslosigkeit führt«, schreiben Barbara Ehrenreich und Bill Fletcher in ihrem Auftaktbeitrag zur Sozialismusdebatte. »Alle Schadenfreude, die wir versucht sind zu empfinden, wenn Vorstände ihre Firmenjets einbüßen und die ein­stigen ›Masters of the Universe‹ sich den Eidotter aus dem Gesicht wischen, erledigt sich beim Anblick des zusehends größeren Leids um uns herum. Suppenküchen und Obdachlosenunterkünfte können nicht mehr mit der Nachfrage Schritt halten, Millionen stellen sich auf einen Lebens­abend ohne Ersparnisse und Rentenbe­züge ein, und wir selbst fragen uns ängstlich, welche Zukunft unsere Kinder und Enkel wohl erwarten wird.«
Alan Greenspan, der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, plädiert mittlerweile für eine Verstaatlichung von Banken, das Magazin Newsweek titelt: »Wir sind jetzt alle Sozialisten«. Ehrenreich und Fletcher, die sich vom Mainstream ungern links überholen lassen, verspüren in diesem historischen Ausnahmezustand das nachvollziehbar dringende Befürfnis, endlich einen Plan zu fassen. Ehrlicherweise gestehen sie ­allerdings auch gleich ein, dass sie angesichts von ökologischem Desaster, tendenziellem ­Gebrauchswertverfall und desorganisiert scheinender Subjektivität selbst noch keinen wirk­lich guten Plan haben.
Die Hoffnung jedenfalls, dass sich aus dem Ensemble von »Rettungspaketen« mittelfristig und gewissermaßen von selbst ein neuer New Deal entwickeln könnte, der umweltschonend soziale Gerechtigkeit bringt, ist ihre Sache nicht. Dazu gleiche die Serie von Staatsinterven­tionen zu sehr einer immer verzweifelteren Rettungs­aktion für die alte Oligarchie. In der Diskussion wird die Möglichkeit eines evolutionären Übergangs von der corporate welfare zu einer erneuerten Form von Sozialstaatlichkeit auch lediglich vom Linkskeynesianer Christian Parenti vertreten. Die Idee ist jedoch gegenwärtig weiter verbreitet.

Die US-Gewerkschaften beispielsweise feiern Oba­mas »Konjunkturpakete« als endgültigen Sieg über die neoliberale Freihandelsideologie und begrüßen auch die in ihnen enthaltene Buy-American-Klausel. »Wir erleben die schlechtesten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit der Großen Depression, und die amerikanische Industrie befindet sich im freien Fall. Wenn nun Steuergelder genutzt werden sollen, um Leuten wieder Arbeit zu verschaffen und die Wirtschaft zu stärken, wäre der Kauf von Produkten, die im Ausland hergestellt worden sind, sicher das Letzte, das wir machen sollten«, meint beispielsweise Leo Gerard, Vorsitzender der Gewerkschaft United Steelworkers. Zustimmung zu solchen wirtschaftsnationalistischen Tönen kommt nicht nur von der globalisierungskritischen NGO Public Citizen oder von dem den Gewerkschaften nahe stehenden Economic Policy Institute, sondern auch von der KP der USA. Scott Marshall, in der Partei für Gewerkschaftsfragen zuständig, begnügt sich damit, die linke Warnung vor antichinesischem Hurra-Patriotismus schlicht für altmodisch zu erklären.
Vor diesem Hintergrund sehen sich die Heraus­geber der marxistischen Monatsschrift Monthly Review veranlasst, nicht nur mit dem Wirtschaftsnationalismus, sondern auch mit den übrigen Illusionen über die vermeintliche Gemeinnützigkeit des Staates abzurechnen. Zwar seien die gegenwärtigen Zustände in den USA keineswegs mit denen in Italien zu Zeiten der Großen Depres­sion vergleichbar. »Aber die Tatsache, dass die Verstaatlichung von Banken in der Geschichte auch schon zur Befestigung von rechtskorporatistischen oder sogar faschistischen Regimes beigetragen hat, sollte für all diejenigen ein Warnsignal sein, die in Verstaatlichungspolitik einen notwendigerweise ›sozialistischen‹ Fortschritt sehen.«
Dass der neue Staatskapitalismus schleunigst von linken Bewegungen unter Druck gesetzt werden muss, ist denn vor allem Pläneschmieden auch noch der mit Abstand überzeugendste praktische Ratschlag, der in der »Reimagining-Socialism«-Debatte erteilt wird. Die globale Kommunikation von Protesterfahrungen ist nach Auffassung von Mike Davis nämlich eine unverzichtbare erkenntnistheoretische Voraussetzung, damit über ein Übergangsprogramm ernsthaft diskutiert werden kann. »Wenn wir tatsächlich in einer Art Endzeit leben, in der sozialer Wandel Gefahr läuft, ›zu spät‹ zu kommen (wie unser neu­er Präsident in einer brillanten Wahlkampfrede mit Rekurs auf den Martin Luther King von 1967 wiederholt betont hat), dann müssen wir ebenso freimütig wie unsere sozialistischen und populistischen Ahnen über die Notwendigkeit reden, Unruhe zu stiften. – Raise less corn and more hell!«
Sieht man einmal von der exzessiven Kreditkartennutzung ab, haben soziale Bewegungen, die das geschwächte System ernsthaft unter Druck setzen könnten, die Bühne der amerikanischen Tagespolitik noch nicht betreten. Nicht einmal große Optimisten wie Tariq Ali, der in der Debatte mit einer Hymne auf die antiimperialistische Internationale ebenfalls zu Wort kommt, wagen eine Vorhersage, aus welchen Bestandteilen sie sich im Fall der Fälle zusammensetzen würden.

Die Skandalisierung der Bonuszahlungen an Manager des Versicherungskonzerns AIG hat aber immerhin schon einmal offenbart, dass der Kampf um die Formierung der öffentlichen Empörung bereits in vollem Gange ist. Anfang März hatte AIG bekannt geben müssen, im vierten Quartal mit 61,7 Milliarden Dollar den größten Verlust der amerikanischen Unternehmensgeschichte aufgetürmt zu haben. Der aktuelle Börsenwert des Unternehmens, in das der Staat im Austausch gegen 80 Prozent der Aktien bereits mehr als 170 Milliarden Dollar gepumpt hat, betrug zu diesem Zeitpunkt gerade einmal noch 1,2 Milliarden Dollar. Schon für sich genommen wäre die Meldung, dass der Staatsbetrieb in jeder einzelnen Stunde zwischen Anfang Oktober und Ende Dezember vorigen Jahres 28 Millionen Dollar verlor, skandalös genug gewesen. Zwei Wochen später wurde aber auch noch bekannt, dass AIG jedem seiner 168 leitenden Angestellten Prämien in Höhe von durchschnittlich rund einer Million Dollar hatte zukommen lassen.
Der Hinweis aus der Vorstandsetage, Verträge seien nun einmal einzuhalten, brachte die Empörung erst richtig zum Kochen. War nicht gerade erst die Automobilarbeitergewerkschaft genötigt worden, von etlichen ihrer tarifvertraglich garantierten Ansprüche zurückzutreten? Übt der Staat überhaupt irgendeine Kontrolle in dem Versicherungskonzern aus, der ihm fast vollständig gehört? Und überhaupt, was ist das für ein eigenartiges System, das ohnehin hoch bezahlte Bankrotteure noch mit zusätzlichen Steuermillionen belohnt? Das Thema beherrschte eine Woche lang die Schlagzeilen der Nachrichtensendungen, Kongressabgeordnete wurden mit Protestmails bedrängt. Einige Manager haben nach Angaben des New Yorker Attorney General Andrew Cuomo nun zugesagt, einen Teil des Geldes zurückzuzahlen. Doch Präsident Barack Obama steht als Zauderer da, der bereits auf ­einem Nebenschau­platz davor zurückschreckt, einer bornierten Managerkaste die Stirn zu bieten.
Amy Goodman, die für ihren Nachrichtenkanal Democracy Now! im vorigen Jahr mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden ist, lenkte deshalb das Augenmerk auf die enge personelle Verquickung der neuen Regierung mit den Insidern der Finanzbranche: »Obama hat sich mit finanzpolitischen Beratern umgeben, die wie Larry Summers und Timothy Geithner der Wall Street viel zu nahe stehen. Es wird Zeit, dass das Konjunkturpaket den Leuten zugute kommt, die es brauchen. Und das sind die, aus deren Steuergeldern es auch finanziert wird.«
Wenn die kurzfristige Aufgabe der sozialistischen Linken Immanuel Wallerstein zufolge darin besteht, in dieser Situation zusammen mit den von Entlassungen, Rentenverlust, Lohnsenkungen und Obdachlosigkeit betroffenen Leuten politischen Druck zu entfalten, muss sie sich mittelfristig von der Fixierung auf linkszentristische politische Kräfte lösen. Im Durcheinander der kommenden 30 Jahre falle die Entscheidung darüber, ob der »Geist von Davos« oder der »Geist von Porto Alegre« das Weltsystem bestimmen wird. »Was also muss die Linke tun? Sorgt für ­intellektuelle Klarheit über diese fundamentale Alternative. Organisiert euch dann auf tausend Ebenen und tausend verschiedenen Wegen, um die Dinge in die richtige Richtung zu bringen. Erstens kommt es darauf an, so viel zu dekommodifizieren wie möglich. Zweitens muss mit ­allen möglichen Strukturen experimentiert werden, die die Dinge im Interesse globaler Gerech­tigkeit und ökologischer Verträglichkeit verbessern. Und drittens müssen wir zu nüchternem Optimismus ermutigen. Der Sieg ist alles andere als sicher. Aber er ist möglich.«

Konkretere Pläne gibt es bislang nicht, doch immerhin wird das lange gemiedene S-Wort nun auch von den liberals wieder benutzt. Ob eine sozialistische Variante des »Yes we can« größere Verbreitung findet, hängt auch davon ab, ob Oba­ma weiterhin die Mehrheit der Linken integrieren kann. Dass der Präsident sich schon zwei Monate nach seinem Amtsantritt von Finanzminister Geithner trennen wird, ist eher unwahrscheinlich. Angesichts der diametral entgegen­gesetzten Erwartungen, mit denen sich die neue Regierung einerseits von bankrotten Kapitalisten und andererseits von der Masse ihrer extrem verunsicherten Wähler konfrontiert sieht, wird es aber zumindest mit der postantagonistischen Überparteilichkeitsmasche schon bald ein Ende haben.