Die Regierungskoalition in Israel

Arbeit für die Rechten

Netanjahu gewann mit der Vergabe von Ministerposten und sozialpolitischen Zugeständnissen Barak als Koalitionspartner. In dessen Arbeitspartei ist die Regierungsbeteiligung jedoch umstritten.

Die Wahlen hat Benjamin Netanjahu, der Vorsitzende der rechtsnationalistischen Partei Likud, nicht gewonnen, Zipi Livnis zentristische Partei Kadima errang einen Parlamentssitz mehr. Doch aus den Koalitionsverhandlungen geht Netanjahu nun offenbar als strahlender Sieger hervor. Statt einer Koalition nur mit noch weiter rechts stehenden Parteien, die jede für sich in der Lage wäre, die Regierung zu stürzen, kann er sich nun auf eine verhältnismäßig stabile Mehrheit stützen. Anstelle einer ultranationalistischen Regierung kann er der israelischen und der Weltöffentlichkeit nun ein weitaus akzeptableres Kabinett der rechten Mitte präsentieren. Das ermöglichte ihm die sozialdemokratische Arbeitspartei. Am Dienstag der vergangenen Woche beschloss deren Zentralkomitee, ihrem Vorsitzenden Ehud Barak zu folgen, der den Eintritt der Partei in die Regierung wollte.
Dieser Entscheidung waren heftige in­ner­par­tei­liche Auseinandersetzungen vorausgegangen, die sich auch nach der Regierungsbildung noch fortsetzen dürften. Viele Politiker der Partei fühlten sich wegen der autoritären Art, mit der Ba­rak die Entscheidung herbeigeführt hatte, schlicht hintergangen. Bei den Wahlen gewann die Arbeitspartei nur 13 der 120 Parlamentssitze, es war das schlechteste Ergebnis in ihrer Ge­schich­te. Barak hatte zunächst erklärt, dass die Partei in die Opposition gehen und unter keinen Umständen einer Regierung beitreten werde, die von der Rechten geführt wird. In den vergangenen zwei Wochen jedoch führte er geheime Verhandlungen mit Netanjahu, dann erklärte er: »Wer die Arbeitspartei als Ersatzreifen in der Opposition statt als Gegengewicht zur Rechten in der Regierung haben will, weiß nicht, wovon er redet.«
Auf der Sitzung des Zentralkomitees verlangte er nicht nur die Zustimmung zu der von ihm ohne Mandat der Partei ausgehandelten Koalitionsvereinbarung, sondern auch die Autorität, die der Arbeitspartei zuerkannten Ministerien selbst besetzen zu können. Doch auch die Politik Baraks stößt innerhalb der Partei auf scharfe Kritik. Ihm wird vorgeworfen, die Grundüberzeugungen der Arbeitspartei aufzugeben, indem er einer Regierung beitritt, die von erklärten Gegnern einer Zweistaatenlösung dominiert wird, der eine der beiden radikalen Siedlerparteien angehört und in der mit Avigdor Lieberman ein rassistischer Populist Außenminister ist.
Vor der Abstimmung hatten sich sieben der 13 Abgeordneten gegen die Pläne des Parteivorsitzenden ausgesprochen. Bei der Sitzung des Zentralkomitees machte vor allem die Jugendorganisation der Partei ihrem Unmut Luft. Die Mehrheit jedoch folgte schließlich Barak. Inzwischen haben auch schon einige der Abweichler in gut sozialdemokratischer Tradition erklärt, sich nicht offen gegen die Regierung und gegen ihren Parteivorsitzenden stellen zu wollen.

Entscheidend für den Erfolg Baraks war es wohl, dass er den Gewerkschaftsflügel der Partei für sich gewinnen konnte. Der Vorsitzende der Gewerk­schaft Histadrut, Ofer Eini, war am Ende direkt an den Verhandlungen mit Netanjahu beteiligt. So konnten einige zwar wenig spektakuläre, doch immerhin bemerkbare sozialpolitische Forderungen in das Regierungsprogramm des ansonsten stramm wirtschaftsliberalen Netanjahu geschrieben werden, etwa höhere Ausgaben für Kinderbetreuung und die Verpflichtung, die Gehälter im öffentlichen Dienst nicht zu kürzen. Darüber hinaus soll ein Gremium aus Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften eingerichtet werden, das den Ministerpräsidenten in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen berät. Auch wenn diese Maßnahmen kaum geeignet sein wer­den, die Regierung auf einen sozialstaatlichen Kurs zu verpflichten, so könnten sie doch genügen, um die von Erfolgen in der letzten Zeit nicht gerade verwöhnten Mitglieder der Arbeitspartei zu trösten.
Dass der Partei in der Koalitionsvereinbarung einige hochrangige Posten, darunter fünf Ministerämter, zugesichert werden, dürfte ihr zugesagt haben. Barak, der Verteidigungsminister blei­ben wird, soll bei allen außen- und verteidigungs­politischen Entscheidungen mitwirken. Die Vereinbarung enthält außerdem die Klausel, dass die Regierung auf einen umfassenden Frieden im Nahen Osten hinarbeiten und alle bestehenden Verträge, auch diejenigen mit den Palästinensern, einhalten soll. Allerdings fehlt jede Festlegung auf die Zweistaatenlösung – wegen dieser Frage scheiterten die Verhandlungen zwischen Netanjahu und Livni – oder irgendwelche anderen konkreten Initiativen im Friedensprozess. Die Formulierungen der Koalitionsvereinbarungen sind so vage gehalten, dass sie Netanjahu zu nichts verpflichten und auch die rechten Koalitionspartner nicht abschrecken werden.
Die Regierung wird voraussichtlich neben dem Likud und der Arbeitspartei aus den Parteien Israel Beitenu, Shas und HaBeit HaYehudi (Jüdisches Haus) bestehen. Diese drei Parteien sind sich mit Netanjahu in der Ablehnung von Zugeständnissen an die Palästinenser einig, wobei HaBeit HaYehudi die Interessen der Siedlerorganisationen und daher besonders kompromisslose Ansichten vertritt. In anderen Fragen jedoch sind die Konflikte in der Regierung vorherzusehen. Innerhalb des Likud machen bereits ent­täusch­te Politiker, für die kein Ministerposten ab­fiel, gegen Netanjahu mobil. Shas ist die Partei der orthodoxen Juden, während die Wählerschaft von Israel Beitenu hauptsächlich aus säkularen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion besteht. Ebenso laufen die sozialpaternalistischen Vorstellungen der religiösen Parteien den wirtschaftsliberalen Ideen Netanjahus zuwider.

Eine grundsätzlich andere Sozialpolitik ist von der Regierung nicht zu erwarten, denn auch die Arbeitspartei fällt als Verfechterin einer solchen Po­litik aus. Baraks wirtschaftspolitische Vorstellungen stehen dem Wirtschaftsliberalismus Netan­jahus wesentlich näher als der klassischen Sozialdemokratie. Auch die Beteiligung der Gewerk­schaft wird daran nichts ändern, da die Histadrut bereits in den neunziger Jahren auf einen wirt­schaftsfreundlichen Kurs gebracht wurde. In den vergangenen 30 Jahren hat sich Israel von ei­ner der am stärksten staatssozialistisch zu einer der am stärksten wirtschaftsliberal geprägten Ökonomien der westlichen Welt gewandelt, eine Entwicklung, die vom Likud und der Arbeitspartei gleichermaßen gefördert wurde.
Doch auch in der Außen- und Sicherheitspolitik werden die Minister der Arbeitspartei kaum stören, weshalb es nicht verwundert, dass alle rechten Koalitionsparteien sogleich ihre Zustimmung bekundet haben. Als Verteidigungsminister der Regierung Ehud Olmerts hat Barak weder mit friedenspolitischen Initiativen noch mit Aktionen gegen illegale Siedlungen von sich reden gemacht. Unter Netanjahu dürfte sich das nicht ändern. Stattdessen werden Barak und die Arbeitspartei dafür sorgen, dass die neue Regierung in Europa nicht als rechtsextremistisch, sondern als zentristisch wahrgenommen wird, und den amerikanischen Druck abmildern. Dies war sicherlich das Kalkül Netanjahus, der deshalb Barak so weitreichende Zugeständnisse mach­te, dass er sich heftige Kritik aus den eigenen Reihen einhandelte.
Wenn Barak sich und die Arbeitspartei damit zum Erfüllungsgehilfen rechter Politik macht, so ist dies nur der Schlusspunkt einer langen Ent­wicklung. Unter seiner Führung hat die Arbeitspartei nicht nur den Anspruch aufgegeben, sich um eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts zu bemühen. Barak hat auch wesentlich dazu bei­getragen, dass eine solche Perspektive in der israelischen Debatte kaum mehr eine Rolle spielt. Als er nach dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David im Sommer 2000 erklärte, dass der Unwillen der Palästinenser dafür verantwortlich sei und es auf palästinensischer Seite »keinen Partner« für einen Frieden gebe, widerrief er damit die Friedenspolitik der Arbeitspartei.

Die Palästinenser unter der Führung Yassir Arafats haben dann nach Kräften geholfen, dass die Version Baraks in der Arbeitspartei und in der israelischen Öffentlichkeit vorherrschend werden konnte. Während sie beide in Camp David nicht in der Lage waren, sich zu einigen, haben es Barak und Arafat mit vereinten Kräften geschafft, die israelische Arbeitspartei zu ruinieren und die Mehrheit der Israelis den nationalistischen Parteien zuzutreiben.
Indem die Arbeitspartei die Friedenspolitik auf­gab, hat sie nicht nur ihre eigene Existenzgrundlage zerstört, denn unter der Prämisse, dass es »keinen Partner« für Verhandlungen gibt, ist die Politik des Likud die einzig sinnvolle Alternative. Sie hat dadurch auch die politische Kultur in Israel verändert. Ansichten, wie sie von Israel Beitenu oder der rechtsextremen Partei Halhud HaLeumi (Nationale Einheit) vertreten werden, etwa in Hinblick auf die Rechte der arabischen Israelis, wären vor 15 Jahren, als die rechtsextreme Kach-Partei verboten wurde, keine legitimen Ansichten in der israelischen Politik gewesen.
Noch weiter verbreitet ist jedoch ein Fatalismus, der jeder Initiative für eine Lösung des Konflikts den Boden entzieht, auch wenn die Mehrheit der Israelis weiterhin grundsätzlich eine solche Lösung wünscht. Als in den neunziger Jahren der Oslo-Prozess begann, war dies nur vor dem Hintergrund einer starken außerparlamentarischen Friedensbewegung möglich, die auch von der Arbeitspartei repräsentiert wurde. Ob die israelische Öffentlichkeit wieder eine Perspektive jenseits der bestehenden Situation findet und ob der gesellschaftliche Einfluss des Nationalismus wieder zurückgedrängt wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Arbeitspartei eine politische Alternative formulieren kann. Mit Barak als Vorsitzendem und im Bündnis mit der nationalistischen Rechten wird dies jedenfalls kaum möglich sein.