Doug Henwood im Gespräch über den G20-Gipfel und die »postkapitalistische Zukunft«

»Schulden machen ist wohl sehr undeutsch«

Der New Yorker Autor und Journalist Doug Henwood ist Herausgeber des linken Wirtschafts-Newsletters »Left Business Observer« und Moderator der New Yorker Radio­sendung »Behind the News«. Sein 1997 veröffentlichtes Buch »Wall Street« wurde derart populär, dass Henwood zeitweise für den amerikanischen Fernsehsender CNN die Börsenentwicklungen kommentierte. 2003 erschien sein Buch »After the New Economy«. In der US-Wochenzeitung »The Nation« beteiligte er sich jüngst an der Debatte »Reimagining Socialism«.

Waren die Entscheidungen der G 20 »fast historisch«, wie deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betont hat, oder waren sie doch eher politische Kosmetik?
Ich glaube die Wahrheit liegt dazwischen. Es wäre ein Desaster gewesen, wenn es offene Kämpfe gegeben hätte und die G 20 ohne Abschlusserklärung außeinander gegangen wären. Das wäre das Szenario von 1933 gewesen, als Roosevelt die internationalen Wirtschaftskonferenz in London boykottierte. Diesmal ist das nicht passiert, sie ha­ben sich Mühe gegeben. Es war wahrscheinlich förderlich, dass Obama dort war und nicht Bush. Obama hat wahrscheinlich durch seine Persönlichkeit und guten Willen die Sache etwas friedlicher angehen lassen, als es Bush getan hätte.
Es gab schon einige größere Entscheidungen – vor allem die Entscheidung, 5 Billionen in die Wirtschaft zu pumpen, auch wenn ein großer Teil dieser Summe schon investiert wurde und der Anteil dessen, was jetzt neu dazu kommt, eher ge­ring ist. Die Deutschen und die Franzosen haben das Vorhaben der Briten und Amerikaner, ein grö­ßeres Konjunkturprogramm aufzulegen, erfolgreich blockiert.
Was ist denn der ökonomische Hintergrund des Konflikts zwischen der deutschen und der amerikanischen Regierung?
Das ein ganz klassischer Konflikt. Deutschland ist sehr orthodox in Sachen fiskalischer Disziplin, die USA sind da viel sorgloser. Das hat eine lange Tradition. Die Geschichte der USA ist voller Schul­denblasen, Konjunkturschwankungen und diverser Abwege vom orthodoxen Umgang mit den Staatsfinanzen. Die USA waren nie ein Vertreter fiskalischer Orthodoxie, obwohl sie diese anderen Staaten natürlich immer abverlangt haben. Deutschland hat andere Erfahrungen und ist meist sehr streng und orthodox, wenn es um den Staatshaushalt geht. Das spiegelt sich auch in vielen Entscheidungen der Europäischen Zentral­bank wieder.
Hofft nicht auch die Exportnation Deutschland darauf, von den Konjunkturmaßnahmen der anderen Länder zu profitieren?
Deutschlands Wirtschaft ist stark vom Export ab­hängig, und wenn sich die Weltwirtschaft nicht erholt, wird Deutschland sehr, sehr stark darunter leiden – weit stärker noch als die USA – , unsere Wirtschaft ist viel mehr auf den Binnenmarkt ausgerichtet. Die deutsche Regierung hätte gerne, dass andere die Sache in den Hand nehmen und Geld ausgeben. Leisten könnte sich der deutsche Staat schon einiges, die deutsche Staatsverschuldung ist nicht so dramatisch. Aber ich denke, Schulden zu machen ist wohl sehr undeutsch.
Alle Staaten haben ihren Willen zu globaler Re­gulierung der Finanzmärkte bekräftigt. Wenn der Gipfel vorbei ist – werden die Regierungen nicht nach Hause fahren, und sich doch wieder vornehmlich an den Eigeninteressen ihrer Wirtschaften orientieren?
Auf dem G 20 wurden einige richtige Dinge über international koordinierte Regulierung gesagt, aber es wird sicher sehr schwer, das im Detail fest­zulegen, denn da gibt es Druck aus dem Inneren der jeweiligen Staaten. Natürlich haben Finanzhandelsplätze wie die Wallstreet oder die City in London keine Lust auf strengere Regeln. Und auch Obamas Regierung widerstrebt es sehr, Dinge zu tun, die Wallstreet nicht will. Sie können natürlich von strengerer Regulierung reden, aber ich bin sehr gespannt, ob etwas daraus folgt. Ich denke, wir werden einige Schritte in diese Richtung sehen, aber wohl kaum so viele, wie es eigent­lich bräuchte.
Die G 20 und auch manche der Kritiker des Finanzssystems behaupten gern, Krisen ließen sich durch strenge Regulierung vermeiden …
Das stimmt eben nicht, denn das ganze System dreht sich ja um Krisen, es hat eine immanente ewige Krise. Seitens der Linken gibt es die Tendenz, jede Krise für das Ende des Kapitalismus zu halten, aber die Krisen gehören ja dazu. Deshalb wird es trotz Regulierungsversuche immer eine Krise nach der anderen geben. Der Staat kann natürlich versuchen, die Effekte solcher Krisen zu mindern, aber die Krisen werden nie vergehen. »Boom and Bust« sind Teil des Ganzen.
Vor dem Gipfel verlor Obama einige Worte über diejenigen, um die es bei diesem Gipfel wirklich gehe: um diejenigen, die aus ihren Häuser ausziehen mussten, um die Arbeitslosen, die Armen und so weiter. Wenn man sich aber das deficit spending in den USA und anderswo ansieht – wer wird dafür am Ende bezahlen?
Das ist die große, wirklich wichtige Frage. Wenn nach einigen Jahren hoher Staatsverschuldung die Schulden wieder abgebaut werden sollen wird es Kämpfe geben, wer die Rechung zu zahlen hat. Es wäre relativ schmerzlos für geschätzte 98 Pro­zent der amerikanischen Bevölkerung oder auch für andere Staaten, wenn die Superreichen diese Rechnung zahlen würden. An der Spitze der amerikanischen Bevölkerung gibt es immer noch enorm viel Geld, und ein paar Prozentpunkte im Steuersystem könnten die Schulden abbauen. Aber ich denke, dass das für Obama sehr schwierig sein wird. Selbst wenn er das wirklich wollte, bekäme er solche Steuererhöhungen für die obers­te Klasse kaum durch den Kongress. Deshalb denke ich, das wir eine Art Sparprogramm für die amerikanischen Massen erleben werden – die werden für die Konjunkturprogramme zahlen müs­sen: durch Einschnitte im sozialen Bereich, bei der medizinischen Versorgung, bei der gesamten zivilen Infrastruktur. Es gab schon einige Hinweise, dass es in diese Richtung gehen wird.
Die G20 haben auch beschlossen, dass der Internationale Währungsfond (IWF) mehr Mittel bekommt. Werden wir in Zukunft eine Art Strukturanpassungsprogramme des IWF auch für die so genannten entwickelten Länder erleben?
Wenn man sich die USA ansieht, könnte man schon meinen, das es hier ein Strukturanpassungs­programm braucht. Es ist recht interessant zu hören, wie der frühere IWF-Präsident Simon John­son von den USA spricht, als ginge es um eine Bananenrepublik mit einer Finanzoligarchie, die die Regierung kontrolliert. Natürlich hatte ich nie den Eindruck, dass der IWF wirklich die Macht von Finanzoligarchien bricht, das ist nur, was sie zu tun behaupten – aber die USA erinnern in vieler Hinsicht an ein Land, für das der IWF ein Strukturanpassungsprogramm auflegen könnte. Der Einfluss der Finanzwelt auf die Politik der USA ist immer noch sehr stark – wir könnten wirk­lich eine Strukturanpassung brauchen, die diesen Einfluss unterbindet.
Aber man kann sich kaum vorstellen, dass es eine äußere Kraft gibt, die mächtig genug wäre, den USA so ein Programm aufzuerlegen. Auch China, das so viel Dollarreserven und so viele ame­rikanische Staatsanleihen hat, könnte das nicht. Was sollen die Chinesen auch tun? Sie haben so viel in uns investiert, das alles, was den USA schaden würden, auch ihnen immense Verluste bescheren würde.
Im US-Magazin »The Nation« wird angesichts der Wirtschaftskrise gerade eine Sozialismus-Debatte geführt – Unter der Überschrift »Eine postkapitalistische Zukunft ist möglich« haben Sie dort geschrieben, die Krise brächte zwar das Ende des Kapitalismus nicht näher, aber liefere immerhin »wundervolle Argumente für einen zivilisierteren Wohlfahrtsstaat.« Wäre ein »zivilisierter Wohlfahrtsstaat« denn schon eine »postkapitalistische Zukunft«?
Nein, natürlich nicht. Aber es gibt heute einfach keine politische Vorstellung, wie eine postkapitalistische Gesellschaft aussehen könnte, sondern höchstens Schritte in diese Richtung. Ich denke, dass die Wildheit des amerikanischen Wirtschafts­lebens für Europäer schwer vorstellbar ist. Ich weiß, dass auch der deutsche Wohlfahrtstaat nicht perfekt ist und es in Deutschland arme und obdachlose Menschen gibt, aber das ist nichts im Vergleich zu den USA, wo gerade Millionen Menschen der Ruin droht und vielen nur die Bord­steinkante bleibt.
Ich denke, dass man in den USA so unwillig ist, auch nur kleine soziale Maßnahmen zu ergreifen, weil jeder Schritt in diese Richtung die Leute hungrig auf mehr machen könnte. Alles was die Sicherheit und das Selbstvertrauen der amerikanischen Arbeiterklasse stärken könnte, wäre vielleicht ein Schritt in Richtung einer postkapitalistischen Zukunft. Zur Zeit haben die Menschen so große Angst, dass sie an nichts anderes denken können, als in der Krise irgendwie über die Runden zu kommen.