Interview mit Pink Rabbit über Deutschland im Gedenkjahr 2009

»Meine Spezies ist staatenlos«

Selbst Kai Diekmann, der Chefredakteur der Bild-Zeitung, musste als Laudator in der Ausstellung »60 Jahre – 60 Werke« schon seine Bekanntschaft machen: Das Pink Rabbit taucht im Jubiläumsjahr 2009, in dem die Bundesrepublik ihr 60jähriges Bestehen begeht, mit Vorliebe ohne Einladung dort auf, wo Deutschland sich selbst feiert, und verdirbt den geladenen Gästen die Laune. Der Plüschhase ist »gegen Deutschland« und Symbolfigur einer antinationalen Kampagne, die von der »Naturfreundejugend Berlin« zu dem Zweck angestoßen wurde, an den »wilden Geschichtskonstruktionen Kritik zu üben«. Zudem nahm das Pink Rabbit an der »Gala der politischen Aktionen« teil, die von der Taz veranstaltet wurde.

Welche Staatsbürgerschaft haben Sie eigentlich?

Ich bin ein Hase, meine Spezies ist staatenlos. Manche Leute, die mich aus Kinderbüchern kennen, glauben, dass ich die Staatsbürgerschaft von »Wunderland« hätte. Aber denen sei gesagt: Das ist ein Buch, nur eine Erfindung. Wie Nationalstaaten auch. Allerdings hat diese Erfindung weitreichende Konsequenzen für die Menschen. Anders als »Alice im Wunderland«, das ja durchaus eine gewinnbringende Abendlektüre sein kann, bringt Deutschland mich eher um den Schlaf. Abgesehen davon ist es mit meiner Bürgerlichkeit auch nicht so weit her.

Weshalb bringt Sie Deutschland denn um den Schlaf?

Wenn Sie gesehen hätten, was mir in den vergangenen Wochen so unter die Augen gekommen ist, würden Sie das nicht fragen. Da wird in der Ausstellung »60 Jahre – 60 Werke« im Berliner Martin-Gropius-Bau »deutsche« Kunst präsentiert und vom Laudator, Bild-Chef Kai Diekmann, die Bundesrepublik gerühmt, weil sie VW und Daimler hervorgebracht habe. Die 20 000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die vor der Gründung der Bundesrepublik in Wolfsburg schuften mussten, werden bewusst verschwiegen.
Aber auch wenn man von den nationalsozialistischen Kontinuitäten einmal absieht, bleibt noch genug übrig, was am Konzept Nationalstaat zu kritisieren ist. Innerhalb eines Systems der Konkurrenz kapitalistischer Nationalstaaten setzen diese ökonomische und politische Interessen im internationalen Maßstab durch, sei es mit Krieg oder mit nichtmilitärischen Mitteln.
Wenn ich von Deutschland rede, dann denke ich auch an einen rassistischen Staat, in dem Privilegien klar nach Herkunft verteilt werden. Jede nationale Identität braucht ein konstitutives Außen, um ihr Selbstbild stabil zu halten. Diese »Anderen« werden diskriminiert und, wenn es geht, ökonomisch ausgebeutet.
Vom systematischen Zusammenhang von Nation und Antisemitismus sowie von Nation und Geschlecht will ich nicht anfangen, das würde hier den Rahmen sprengen. Ich habe mir jedenfalls nicht umsonst ein ganzes Jahr Zeit genommen, um überall dort aufzutauchen, wo Nation hergestellt und affirmiert wird. Eine etwas ausführlichere und am konkreten Punkt orientierte Kritik braucht häufig mehr als eine Zeile. Deswegen sind meine Interventionen, die als Videoclips auf der Seite www.pink-rabbit.org stehen, von Texten begleitet.

Zu welchen Anlässen sind Sie bisher im großen »Gedenkjahr« 2009 aufgetaucht?

Bei der Premiere von »Operation Walküre«, diesem Propagandastreifen für das angeblich »andere Deutschland«, hab ich mich als Tom Cruise verkleidet und bin direkt nach ihm über den roten Teppich gelaufen. Ich glaube, die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer haben begriffen, dass ich genauso wenig zum Hollywoodstar tauge wie Stauffenberg zum Antifaschisten. Ansonsten hab ich Bundeswehrreservisten beim Pflegen eines Wehrmachtsfriedhofs gestört, eine Anleitung zum Umgang mit nationalen Symbolen im Internet veröffentlicht und eine Straße um­be­nannt.
Die erwähnte Kunstausstellung habe ich bei ihrer Eröffnung um ein Werk eines kleinen Malers und großen Diktators ergänzt: »Pinocchio« von Adolf Hitler aus dem Jahr 1940, 35 mal 20 Zentimeter, Öl auf Leinwand. Meinen Vorschlag, bei nationalen Inszenierungen keine falsche Bescheidenheit an den Tag zu legen und gleich mit »1 000 Jahre – 1 000 Werke« anzutreten, hat der Bild-Chefredakteur Diekmann prompt in seiner Eröffnungsrede aufgegriffen. Das alles ist auf meiner Webseite zu sehen.

Haben Sie denn schon Pläne für den 23. Mai, den offiziellen Festtag zum 60jährigen Jubiläum der Verabschiedung des Grundgesetzes?

Selbstverständlich! Aber Details kann ich noch nicht verraten, sonst wäre ja der Überraschungseffekt weg. Nur so viel: Meine Aktion hat den Arbeitstitel »Ich rammel nicht für Deutschland«.

Die politische Betätigung auf »Latschdemos«, in Lesezirkeln, Zeitungen und Parteien betrachten Sie ihren Begleitern auf der von der Taz veranstalteten »Gala der politischen Aktionen« zufolge als veraltet. Was macht Ihre Auftritte zu besseren, politischen Aktionen?

Jack und Patricia, die mich dem Taz-Publikum als »radically new and cool resistance device« vorgestellt haben, haben Recht: Viele, die in Deutschland als junge Leute auf Demos waren, Zeitungen gemacht haben usw., sind heute maßgeblich daran beteiligt, Deutschland das Image einer ganz normalen Nation zu verpassen oder gar das Konzept des Nationalstaates überhaupt der Kritik zu entziehen. Fast scheint es ein Gesetz zu geben: Wer lange genug eine Zeitung macht, befürwortet irgendwann auch einen Krieg, nicht wahr?
Nun ging es Jack und Patricia sicher nicht darum, mich in Konkurrenz zu anderen Aktionsformen zu stellen. Viele Leute haben tolle Ideen, wie das »Gedenkjahr« 2009 gestört werden kann. Ich habe jedoch keine Lust, auf den geballten Unfug, mit dem wir in diesem Jahr konfrontiert werden, immer nur mit ernsthaften Analysen zu reagieren. Vielmehr werde ich versuchen, eins draufzusetzen und das ganze nationale Pathos lächerlich zu machen. Und natürlich soll mein Erscheinen auch nerven. Radikal neu ist das eigentlich nicht, denn Parodie und Ironie sind klassische Mittel der Kritik. Ich versuche, sie dieses Jahr lediglich zu aktualisieren.

Bei der »Gala der politischen Aktionen« haben Sie den ersten Preis gewonnen, der Juror Daniel Cohn-Bendit war sehr von Ihnen angetan. Wie gefällt Ihnen das Wohlwollen, das Ihnen aus dem grünen Milieu entgegenkommt?

Das hängt davon ab, worauf sich das Wohlwollen bezieht. Cohn-Bendit hat ja ausdrücklich gesagt, dass er die Form gut findet, inhaltlich aber vollkommen anderer Meinung ist. Das verwundert mich nicht, habe ich doch am Schluss des Auftritts der Taz das »große Ehrenkreuz in Plüsch für besondere Verdienste um die Nation« verliehen. In meiner Begründung schrieb ich: »Du bekommst es für das Einschwören der Deutschen auf ein Nationalgefühl moralischer Überlegenheit in so heiklen Situationen wie dem Kosovo-Krieg. Mit dir und den Grünen konnte man sich total links fühlen und trotzdem Krieg führen. Und man wusste, dass man besser war als die anderen, gerade wegen, nicht trotz Auschwitz.« Da war die Sympathie im Publikum zumindest merklich dahin.
Das mit dem ersten Preis stimmt im Übrigen nicht ganz: Das Publikum und die Mehrheit der Jurorinnen und Juroren waren nämlich plötzlich der Meinung, dass jeder – also keiner – einen Preis bekommen sollte. Doch selbst wenn ich den Preis bekommen hätte, wäre die Taz darauf sitzen geblieben. Denn dieser Wettbewerb hat genau die Konkurrenz von Aktionsformen geschaffen, die ich unsinnig finde.

Hasen gelten gemeinhin als harmlos, Sie selbst werden in den Medien als »niedlich«, »süß« oder »plüschig« beschrieben. Können Sie mit diesem Image den Nationalismus der »Deutschland-Freunde« überhaupt angreifen?

Der Überraschungseffekt kommt mir zugute. Es ist schon vorgekommen, dass Polizistinnen und Polizisten, die zur Bewachung von Veranstaltungen eingesetzt waren, sich mit mir fotografieren ließen, weil sie mich so süß fanden. Dass ich nach Polizeilogik eigentlich der Störfaktor bin, gegen den sie einschreiten sollten, haben sie erst begriffen, als es schon zu spät war. Ob ich die Deutschland-Freundinnen und -Freunde das Fürchten lehren kann, weiß ich nicht. Klar ist allerdings, dass man, wenn man plüschig und rosa ist, ziemliche Aggressionen auslösen kann. Sie hätten mal Gereon Sievernich, den Direktor des Martin-Gropius-Baus, in dem die Ausstellung »60 Jahre – 60 Werke« gezeigt wird, erleben sollen. Der fühlte sich schon durch meine bloße Anwesenheit sehr blamiert.

In der vergangenen Woche warb eine Gruppe von Männern in Berlin-Mitte für die CDU – ­einer von ihnen trug ein pinkfarbenes Hasenkostüm. Besteht die Gefahr, dass sich die Gegenseite Ihre Methoden aneignet?

Darauf wäre ich sehr gespannt. Für die bisherigen Kampagnen der CDU taugt der Hase allerdings nicht. Stellen Sie sich das doch mal vor: Roland Koch, wie er im Hasenkostüm Unterschriften für seine Rassistenkampagnen erbettelt. Oder rosa Hasen, die gegen die Homo-Ehe agitieren. Das funktioniert doch nicht. Wobei: Man sollte Ursula von der Leyen im Blick behalten. Zumindest bei ihrer deutschen Mutterkreuz-Leier würden Hasen ins Bild bzw. ins Klischee passen. Aber da ich von der Leyen ohnehin noch besuchen wollte, wird sie sich das zweimal überlegen.

Eine kritische Frage zum Ende: Wie Videoaufnahmen belegen, hoppeln Sie nicht, sondern Sie laufen. Sind Sie ein falscher Hase?

Diese Frage zeugt von einem sehr normierenden Körperverständnis. Aber lassen Sie mal, auch Hasenidentitäten sind immer ein Stück weit konstruiert.