Krankenkassen sollen nicht mehr für alle Behandlungen bezahlen

Schlechte Zeiten für Hypochonder

Die gesetzlichen Krankenkassen sollen nicht mehr alle Behandlungen zahlen, schlägt der Präsident der Bundesärztekammer vor. Dabei gilt schon längst: Kassenpatienten und -patientinnen sollten möglichst vermeiden, krank zu werden.

Immer noch gesetzlich versichert? Dann könnten bald noch schlechtere Zeiten anbrechen, zumindest wenn es nach dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, geht: Mit Mandelentzündung oder Bronchitis sollen gesetzlich Versicherte in Zukunft nicht mehr beim Arzt auftauchen, es sei denn, sie zahlen selbst oder haben eine entsprechende Zusatzversicherung abgeschlossen, die für die kleinen Wehwehchen aufkommt. Bei schweren oder lebensbedrohlichen Krankheiten würden die Versicherten aber weiterhin ärztlich behandelt, sagte der Mann auf dem Ärztetag in Mainz.
Hoppe schlägt eine Behandlung nach einer Rangliste von Krankheiten vor. Er will so auf die miserablen Zustände im Gesundheitswesen aufmerksam machen. Sparzwang, Mängelverwaltung und falsche politischen Entscheidungen machten den Ärztinnen und Ärzten das Leben schwer, nach der Honorarreform lebten einige sogar am Existenzminimum. Zeit, sich um ihre Patienten und Patientinnen wirklich zu kümmern, hätten sie schon gar nicht. Die Ärzte befürworteten ja ganzheitliche Behandlungen und beste Therapien, aber es fehle das Geld, beklagte Hoppe. Wie schlecht es um die Gesundheitsversorgung bestellt sei, gestehe die Bundesregierung nicht ein. Im Gegenteil halte sie die Rede von einer umfassenden, medizinischen Versorgung für alle aufrecht.
Dass dies tatsächlich anders aussieht, erfahren gesetzlich Versicherte bei jedem Arztbesuch. Ziel der Gesundheitspolitik ist es längst nicht mehr, Kranken eine ihren Bedürfnissen entsprechende Behandlung zukommen zu lassen, vielmehr werden die Versicherten seit Jahren zum Gesundsein und Gesundbleiben angehalten, die vorbeugende Rückenschule wird mit Bonuspunkten von den gesetzlichen Krankenkassen belohnt.
Als »Jammern auf hohem Niveau« bezeichnete der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach die Protestrufe. Forderungen nach besserer Bezahlung seien angesichts der Krise und des Jobverlusts vieler Akademiker unangemessen, sagte er. Lauterbach teilt die pessimistische Sicht auf das Gesundheitswesen nicht: Eher gebe es immer noch »sehr viel Überversorgung«.

Die vermeintliche »Überversorgung« wollte Ulla Schmidt mit der Einführung des Gesundheitsfonds in diesem Jahr bekämpfen: Nur das medizinisch Notwendige soll von den Kassen bezahlt werden. Das kommt Hoppes Vorschlag schon sehr nahe. Da Schmidt den Gesundheitsfonds öffentlich aber als Instrument für eine gerechtere Gesundheitspolitik verkauft hat, bezeichnet sie den Vorschlag von Hoppe nun als »ziemlich menschen­verachtend« und ermahnt zugleich die Kassen dazu, »effizienter mit den Geldern umzugehen«.
Auf »Effizienz« haben sich die marktwirtschaftlich arbeitenden Krankenkassen schon längst umgestellt, eine umfassende oder gar bedarfsgerechte Behandlung, deren Kosten übernommen werden, steht nicht mehr im Programm. Schlechte Zeiten nicht nur für hypochondrische Menschen. Aber vielleicht können Selbsthilfegruppen Abhilfe schaffen. Und die nötigen Informationen für die Selbstdiagnose gibt es im Internet.