Nationalistische Mobilisierungen in Spanien

Völker für Europa

Baskenland, Katalonien, Galizien, Asturien und vieles mehr: Alle sollen eine »eigene Stimme in Europa« haben, behaupten zumindest die unzähligen regionalen Parteien, die in Spanien für die Europa-Wahl antreten. Während die spanische Regierung mit der Wirtschaftskrise kämpft, werben Nationalisten von links und rechts für ein »Europa der Völker«.

Ein hässlicher Skinhead schaut in die Kamera und sagt auf Deutsch: »Ich denke, dass Homo­sexualität eine Krankheit ist.« Dann verzieht er sein Gesicht und droht mit einem Baseballschläger. Diese Sequenz ist aus einem Werbespot, der zurzeit im spanischen Fernsehen zu sehen ist. Was wie eine Warnung der spanischen Homosex­uellenvereinigung vor Reisen in ländliche Gebiete Deutschlands aussieht, ist ein Wahlkampf­spot der sozialdemokratischen Regierungspartei Psoe. Nach weiteren europäischen Prototypen (Bauer, Pastor, Mutter), die sich in ihrer jeweiligen Landessprache gegen liberale, ökologische und soziale Ideen aussprechen, wird die fragwürdige Botschaft des Spots eingeblendet: »Das Problem ist nicht, was sie denken, sondern was sie wählen.« Mit ihrer Warnung vor Wahlerfolgen der europäischen Rechten verlässt der Psoe im Gegensatz zu den meisten anderen Parteien immerhin die nationale Perspektive im Wahlkampf. Den Vorwurf seiner Kritiker, der Psoe würde gegen den politischen Feind polemisieren statt Lösungen für die Krise anzubieten, muss er sich jedoch zu Recht anhören.
Mit 17,3 Prozent hat Spanien derzeit mit Abstand die höchste Arbeitslosenquote in der EU, über vier Millionen Menschen haben keinen Job. Nach dem Zusammenbruch der Immobilienbranche im vergangenen Jahr, des größten spanischen Wirtschaftssektors, geht es mit der Ökonomie stetig bergab. Mit einem Rückgang von 1,8 Prozent im ersten Quartal dieses Jahres hat das Bruttoinlandsprodukt den größten Einbruch seit 50 Jahren erlitten, in den vergangenen 12 Monaten verloren knapp 1,2 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz. Während die Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero anfangs nicht von einer Krise reden wollte, versucht sie sich nun darin, das Positive hervorzuheben. Wenn es nicht weiter nach unten gehen kann, muss es ja irgendwann wieder nach oben gehen, lautet derzeit die Devise. Dass diese Logik des Psoe die Bevölkerung kaum überzeugen mag, verwundert nicht. So steht Zapatero mit seinen Lösungsvorschlägen derzeit ziemlich alleine da. Die anderen Parteien, auf die er aufgrund seiner Minderheitsregierung angewiesen ist, kritisieren sein Krisenmanagement bei jeder Gelegenheit.
Zapateros großer Widersacher, Mariano Rajoy von der rechtskonservativen Volkspartei PP, steht sich jedoch selber im Weg bei dem Versuch, diese Chance zu nutzen. Statt konstruktive Vorschläge zu machen, poltert der PP mit platten Phrasen gegen die Regierung, zuletzt hat Rajoy am Wochenende den Regierungschef als »gefährliche Person« bezeichnet, die Spanien in den Ruin treibe. In der Diskussion über die Reform des Abtreibungsgesetzes betonte der PP wieder einmal seine antiliberale Tradition und muss sich zudem derzeit Korruptionsvorwürfen in den eigenen Reihen stellen. Ein Dutzend Funktio­näre der Volkspartei trat bereits zurück, vorige Woche musste in diesem Zusammenhang auch Francisco Camps, Ministerpräsident der Region Valencia und einer der einflussreichsten Politiker des PP, vor Gericht erscheinen. Dubiose Liebes- und Loyalitätsbekundungen per Telefon an einen Geschäftsmann, der Aufträge in Millionenhöhe bekommen hatte, hatten Camps in Verruf gebracht.

Während die beiden großen Parteien sich gegenseitig die Schuld an der Wirtschaftslage zuschreiben, erscheint die spanische Arbeiterschaft – sonst für starke und militante Streiks bekannt – angesichts der Krise ohnmächtig. Die Beteiligung an dem von linksnationalistischen Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreik im Baskenland am Donnerstag voriger Woche lag gerade mal bei zehn bis 20 Prozent. Der baskische Ableger der Kommunistischen Partei Spaniens, PCE-EPK, hatte bereits zuvor seine Ablehnung des Streiks bekundet, da dessen Ausrichtung »identitär« statt klassenkämpferisch sei. Nicht nur die Reaktionen auf die Krise, auch der Europa-Wahlkampf ist in Spanien traditionsgemäß von Natonalismen geprägt. Neben baskischen und katalanischen treten galizische, aragonesische, asturische, kanarische, mallorquinische, menorquinische und weitere regionale Parteien an, damit ihre Region beziehungsweise »Nation« eine »Stimme in Eu­ropa« habe.
Und wie gewohnt streiten sich diese Parteien unter­einander. Die asturischen Linksnationalisten der Una dürfen nicht bei der Liste »Europa der Völker« mitmachen, da sie nach Meinung der starken galizischen BNG in der Vergangenheit antigalizische Ansichten gepflegt haben. Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) beschwerte sich über die »linguistische Spaltung« des Katalanischen, da die EU auch eine valencianische Version des Aufrufs zur Europa-Wahl veröffentlicht hatte, die sich durch exakt ein Wort von der katalanischen unterscheidet.

Gleich drei Bündnisse treten an, um ein »Europa der Völker« zu errichten: die rechtsnationalis­tische »Koalition für Europa« sowie die beiden linken Listen »Europa der Völker – die Grünen« und »Internationalistische Initiative – Solidarität zwischen den Völkern«. Letztgenannte ist erst am Freitag voriger WEoche zur Wahl zugelassen worden, nachdem der Oberste Gerichtshof zuvor die Liste verboten hatte. In ihrem auf acht Regi­onalsprachen veröffentlichten Manifest fordert die Internationalistische Liste neben sozialer Gerechtigkeit und dem Ende von Rassismus und geschlechtsspezifischer Diskriminierung auch das Ende der »Hispanisierung« des Baskenlandes. Es wird sich nun zeigen, wie groß die Unterstützung für die Linksnationalisten ist, deren Liste von dem bekannten Philosophen und Dramaturgen Alfonso Sastre angeführt wird. Die Eta wird das Wahlergebnis kaum interessieren, sie schert sich sowieso nicht um parlamentarische Mehrheiten. Dies machte die baskische Guerilla zuletzt deutlich, als sie den im März gewählten baskischen Ministerpräsidenten Patxi López (Psoe) und seine »faschistische Regierung« zum »vorrangigen Ziel« erklärte. López könnte – zur Sorge der Identitätsbewahrer – nach 30jähriger Vorherrschaft der konservativ-nationalistischen PNV für ein Aufbrechen der Fronten im Baskenland sorgen.
Der innenpolitische Wirbel das Mediengetöse, das von allen Beteiligten um die Europa-Wahl veranstaltet wird, erscheint angesichts aktueller Umfrageergebnisse stark überzogen. Mit 27 Prozent wird die Wahlbeteiligung am 7. Juni in Spanien voraussichtlich noch geringer ausfallen als im restlichen Europa.