Ali Alfoneh im Gespräch über Khamenei, Ahmadinejad und die Hoffnungen der Iraner

»Khamenei wird der Sieger sein«

Ali Alfoneh ist Fellow des American Enterprise Institut und forscht an der Universität Kopenhagen über die Rolle der Revolutions­garden in der Islamischen Re­pu­blik Iran.

Sie haben in einer Ihrer Studien geschrieben, dass nicht einer der Präsidentschaftskandidaten, sondern Khamenei, der Revolutionsführer, der Sieger der Wahlen sein wird. Warum?
Khamenei hat großes Interesse an einer Wiederwahl Ahmadinejads, das hat er mehrfach zu erkennen gegeben. Aber wenn er ihn offen unterstützen und die Wahl zu streng kontrollieren würde, wäre die Wahlbeteiligung sehr niedrig. Der Revolutionsführer hat aber ein Interesse an einer hohen Wahlbeteiligung, denn diese wird stets als Erneuerung des Paktes zwischen Volk und Revolutionsführer dargestellt. Um die Wahlen spannend zu machen und revolutionäre Euphorie zu wecken, muss er also Kandidaten wie Mousavi zulassen.
Was die vier Kandidaten trotz unterschiedlichem Auftreten gemein haben, ist die Zugehörigkeit zum ersten Jahrzehnt nach der Revolution. Diese Zeit steht für revolutionäre Euphorie, den Ruf nach sozialer Gerechtigkeit und die Einheit der Nation. Die dunkle Seite dieser Zeit soll dagegen vergessen werden: die Säuberungen, der Iran-Irak-Krieg und die Herrschaft des Terrors. Weil also alle Kandidaten mit dem ersten Jahrzehnt nach der Revolution verbunden werden, ist keiner von ihnen ein Problem für Khamenei. Er wird in jedem Fall der Sieger sein.
Wenn aber sein Favorit Ahmadinejad nicht gewinnt, würde das nicht trotzdem wie eine Niederlage für Khamenei aussehen?
Nicht wirklich. Eine Niederlage wäre es, wenn es Kandidaten wie Ghasem Shole Sadi, die tatsächlich die Verfassung in Frage gestellt haben, geschafft hätten, zur Wahl zugelassen zu werden, und diese gewinnen würden.
Wenn sich die zugelassenen Kandidaten nur im Stil unterscheiden, wie Sie geschrieben haben, würde nicht immerhin ein anderer Stil zumindest in den Außenbeziehungen einen Unterschied machen?
Mousavi hat den Unterschied zwischen seinem Stil und Ahmadinejads Stil bei der Außenpolitik betont. Aber bekanntlich werden die strategischen Fragen der Außenpolitik, etwa das Nuklearprogramm, vom Revolutionsführer, nicht vom Präsidenten entschieden.
Wie wichtig sind die Wahlen für die iranische Bevölkerung?
Wir haben keine verlässlichen Umfragen aus dem Iran, und wir wissen nicht einmal, wie hoch die tatsächliche Wahlbeteiligung bei vorangegangenen Wahlen war. Die Islamische Republik ist viel schlauer als etwa das Regime von Saddam Hussein, das sich mit 99 Prozent wählen ließ. Nach offiziellen Angaben lag die Wahlbeteiligung gewöhnlich im Bereich zwischen 50 und 70 Prozent. Die höchsten Werte gab es bei der Präsidentschaftswahl von Bani Sadr, Khamenei und ­Khatami, die niedrigsten Werte erzielte Rafsanjani. Aber diese Angaben sind sehr unzuver­lässig.
Haben die Menschen im Iran Hoffnung, mit dem »Reformer« Mousavi könnte sich etwas ändern?
Nach der Enttäuschung durch Khatami haben viele ihr Vertrauen in die friedliche Reformfähigkeit des Systems verloren. Warum sollten sie Hoffnungen auf Mousavi setzen, der eine Art »Kha­tami minus zehn Prozent« ist? Das ist für die ­Islamische Republik übrigens eine große Gefahr, denn solange die Menschen an der Illusion festhalten, etwas verändern zu können, beteiligen sie sich am politischen Prozess und versuchen, das System von innen zu verändern. Aber wenn man der Bevölkerung die Hoffnung auf Reformfähigkeit des Systems nimmt, radikalisiert man sie. Das könnte das Ergebnis einer weiteren reformistischen Präsidentschaftsperiode sein, wenn die von den Reformen versprochenen Ergebnisse nicht eingelöst werden.
Wie ist das Verhältnis von Ahmadinejad zu den Revolutionsgarden, die ihm bei seiner letzten Wahl 2005 geholfen haben?
Die Revolutionsgarden sind in diesem Wahlkampf aktiver als jemals zuvor. Sie werden inzwischen auch Garnisons-Partei genannt, denn sie sind nicht länger nur eine ideologisch geprägte Armee. Nach meiner Analyse haben sich die Revolutionsgarden und die Basiji, ihre paramilitärische Massenbewegung, in eine bewaffnete politische Partei verwandelt. Ansonsten gibt es im Iran keine Parteien nach europäischem Vorbild, lediglich Fraktionen und Wahlkampforganisa­tionen. Die Revolutionsgarden füllen so das Vakuum der fehlenden Parteien, sie sind zu einer Karriereleiter für Menschen aus der unteren Mittelschicht geworden, ein Mittel sozialer Mobilität.
Und diese »Partei« unterstützt Ahmadinejads Wiederwahl?
Es sieht so aus, als hätten die Revolutionsgarden klare Anweisungen von Khamenei erhalten, Ahmadinejads Kandidatur zu unterstützen. Ali Saidi, der Vertreter des Revolutionsführers bei den Revolutionsgarden, hat deren Mitglieder in seinen Reden dazu aufgerufen, Ahmadinejad zu unterstützen. Dass die Revolutionsgarden offen und direkt für Ahmadinejad Partei ergreifen und seine Gegner attackieren, ist eine große Veränderung gegenüber bisherigen Wahlen.
Interessanterweise mag dies Khamenei zwar kurzfristig helfen, weil er dadurch die Wahl seiner favorisierten Kandidaten sichert. Langfristig ist diese Politik für ihn aber extrem gefährlich, denn sind sie einmal zugelassen, kann er die Revolutionsgarden nicht wieder aus der Politik hin­ausdrängen. Sie werden zu einer Regierung in der Regierung, einem Staat im Staate, einer Organisation jenseits jeder politischen Kontrolle. Die Zukunft der Islamischen Republik könnte ein Einparteiensystem mit den Revolutionsgarden als einziger Partei sein.
Wird von den Revolutionsgarden nicht auch der Prädidentschaftskandidat Mohsen Rezai unterstützt?
Mohsen Rezai war als oberster Kommandant der Revolutionsgarden jahrelang äußerst einflussreich, er war einer der Baumeister des Monsters, zu dem die Revolutionsgarden geworden sind. Durch meine Untersuchung der Bio­grafie von Rafsanjani habe ich entdeckt, wie einflussreich Rezai während des Iran-Irak-Krieges war. Rezai und die Kommandeure der Revolutionsgarde haben es zu Beginn der achtziger Jahre geschafft, Khomeini zu zwingen, und ich wiederhole: zu zwingen, den Krieg auch nach der Befreiung der iranischen Gebiete 1982 fortzusetzen. Der Krieg ging noch bis 1988 weiter, weil dies im Interesse der Revolutionsgarden war.
Nachdem Rezai die Revolutionsgarden verlassen hatte, wurde er aber zu einer Un-Person in ihren Rängen. Er hat vielleicht die Unterstützung einiger früherer Kommandanten, die heute in der Wirtschaft tätig sind, aber es gab seit seiner Zeit einen allgemeinen Wandel bei den Revolutionsgarden. Trotz aller Berichte über Fraktionskämpfe unterstützen die neuen Kommandanten Ahmadinejad – und zwar nicht, weil sie in allen Bereichen mit seiner Politik einverstanden sind, sondern weil er ihren Einfluss in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu garantieren verspricht.
Würden denn die Revolutionsgarden eine Präsidentschaft Mousavis akzeptieren?
Die Revolutionsgarden sind sorgfältig darauf bedacht, nicht wie eine militärische Organisation auszusehen, die einen Staatsstreich plant. Sie operieren meist im Hintergrund. Wenn Mousavi breite Unterstützung finden sollte und wie Khatami 1997 20 Millionen Stimmen erhielt, würden die Revolutionsgarden das wahrscheinlich akzeptieren, aber zugleich ihre Interessen und ihre Privilegien zu verteidigen suchen. Wenn der Unterschied zwischen Ahmadinejad und Mousavi vier bis sechs Millionen Stimmen beträgt, könnte das Ergebnis manipuliert werden.
Korruption und die katastrophale wirtschaftliche Lage werden oft als Gründe für einen Wandel im Iran angeführt...
Die Wirtschaft im Iran hat alle Probleme einer staatlich kontrollierten Ökonomie, wie sie im realsozialistischen Osteuropa zu beobachten waren. Hinzu kommt das totale Chaos, das Ahmadinejad in der Wirtschaft angerichtet hat, etwa durch Auflösung der Budget- und Planungsorganisation. Obwohl also Ahmadinejad persönlich für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich ist, ist es ihm gelungen, dafür so genannte korrupte Individuen verantwortlich zu machen. Eine seiner Methoden ist dabei die Verwendung von Mittelsmännern, die Personen aus dem Klerus angreifen. Abbas Palizdar, einer der Gehilfen von Ahmadinejad, hat etwa in einer Rede vor Basiji-Einheiten 42 Mitglieder des Klerus als korrupte Individuen bezeichnet, die sich durch öffentliche Gelder bereicherten und Privilegien ausnutzen. Die iranische Gesellschaft ist für diese Schuldzuweisungen sehr empfänglich. In dieser Darstellung haben sich Ahmadinejad und die Revolutionsgarden im Krieg aufgeopfert, während der Klerus immer korrupter wurde. Auch im Fernsehduell mit Mousavi hat Ahmadinejad kürzlich Mitglieder des Klerus scharf angegriffen.
In deutschen Medien wird es oft so dargestellt, als ob die Islamische Republik angesichts der wirtschaftlichen Misere und des Verhandlungs­angebotes der USA vor einer entscheidenden Wahl stünde. Wie wird das von den Revolutionsgarden gesehen? Fühlen sie sich bedroht, oder sehen sie sich auf Seiten der Sieger?
Die Revolutionsgarden sehen sich absolut auf der Siegerseite, da Khamenei sich entschieden hat, nicht auf die Unterstützung durch die Bevölkerung, sondern auf die der Revolutionsgarden zu setzen. Khamenei und das iranische Regime stehen wegen ihrer abenteuerlichen Außenpolitik von außen unter Druck, und sie stehen von innen unter Druck, da eine junge Generation echte Reformen verlangt. Um diesem Druck standzuhalten, hat Khamenei die Revolutionsgarden aktiviert. Diese zentrale Rolle gefällt den Revolutionsgarden. Und während Khamenei dank ihnen kurzfristig der Sieger der Präsidentschaftswahlen sein wird, werden langfristig die Revolutionsgarden die wahren Sieger sein.
Gibt es auch Kräfte innerhalb der Revolutionsgarden, die Ahmadinejads Politik nach innen und außen als Gefahr für das System wahrnehmen und deshalb auf Veränderung drängen?
Die Revolutionsgarden haben ein Eigeninteresse an einer Dauerkrise und einem ständigen Ausnahmezustand. In Friedenszeiten würden sie riskieren, völlig marginalisiert zu werden. Sie haben also jedes Interesse, Krisen zu provozieren, um Zugang zu politischen Machtpositionen zu erhalten.