Wölfe in Sachsen

Wölfe im Management

Die Wölfe sind in Sachsen angekommen. Ein »Managementplan für den Wolf in Sachsen« nimmt sich ihrer an, damit die Tiere nicht eines Tages in Dörfer und Städte kommen. Denn dass sich Wölfe nur dort ansiedeln, wo die Menschen weg­ziehen, stimmt nicht.

Als am 27. Mai der sächsische Umweltminister Frank Kupfer in Dresden den »Managementplan für den Wolf in Sachsen« vorstellte, ging es tatsächlich um Wölfe und nicht um Manager. Das ist hierzulande immer noch nicht normal und erstmal eine gute Nachricht. Auch wenn spätestens mit Gertrud Höhlers Managerberatungsbuch »Wölfin unter Wölfen. Warum Männer ohne Frauen Fehler machen« Wolfsrudel nicht mehr nur die Metapher für das Gebaren streng männlich organisierter Hierarchien waren. Nach Höhler sollten jetzt auch die »Alphafrauen«, wie sie sich und ihresgleichen nennt, nach dem Vorbild der Wolfsrudelrangordnung ins Wirtschaftsgeschehen eingreifen. Aber auch bei Höhler bildeten die Dominanzhierarchien von Wölfinnen und Managerinnen lediglich metaphorische Parallel­akti­onen zu jenen der Männer.

Dagegen ist ein Managementplan für echte Wölfe ein echter Fortschritt, weil er zuerst einmal auch ein Eingeständnis von Unwissenheit beinhaltet. Die räumliche Ausbreitung der Wölfe in Sachsen sei mit den bisherigen Methoden und Mitteln des Wolfsmanagement nicht mehr zu gewährleisten, hatte der Minister dann auch mitgeteilt. Der jetzige Plan sei, so der Minister, mit 60 Vertretern von Vereinen und Verbänden aus der Kommunalpolitik, Wissenschaft und diversen Behörden erarbeitet worden. Er sieht vor, in allen Landkreisen Sachsens kompetente Ansprechpartner in Sachen Wolf für die Anwohner bereit zu halten. So sollen alle Sichtungen von Wölfen oder Wolfsspuren koordiniert und gegebenenfalls auch korrigiert werden. Denn nicht jedes offenbar von einem Tier gerissene Schaf ist auch von ­einem Wolf erlegt worden. Aber wie soll man, wenn man keine Ahnung von Wölfen hat, erkennen, ob ein Schaf oder Huhn von einem Wolf oder einem wildernden Schäferhund oder Fuchs gerissen worden ist?
Eine genaue Ursachenbestimmung wird man in diesem Fall nur hinbekommen, wenn man dies von jemandem gelernt hat. Hier setzt der sächsische Wolfsplan auf sinnvolle Maßnahmen. Für alle Interessierten sollen Schulungen angeboten werden, die das sichere Erkennen von Wolfsrissen möglich machen. Nur benötigt man dazu auch Leute, die Erfahrungen mit Wölfen machen konnten. Und so lange liegt der Beginn der langsamen Wiederbesiedlung Sachsens durch die Wölfe noch nicht zurück, dass man auf hinreichende eigene Beobachtungen zurückgreifen könnte.
Auch wenn gleich nach der Wende die ersten Spuren von aus Polen eingewanderten Wölfen gemeldet wurden, etablierte sich erst 1996 ein einzelner Wolf fest in Sachsen. Ihm folgten allerdings ziemlich schnell auch andere Tiere. Heute schätzt man die Wolfspopulation auf 40 bis 45 Tiere, die sich auf fünf verschiedene Rudel verteilen. Für ein relativ großes Landsäugetier, wie es der Wolf ist, ist das eine erstaunliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass es vorher über einen Zeitraum von 100 Jahren überhaupt keine Wölfe in dieser Region gab. Wo sich die aktuellen Wölfe allerdings genau aufhalten und ob sie sich tatsächlich alle in Rudeln organisieren oder ob manche auch als Einzelgänger durch die Gegend streifen, ist weitgehend unbekannt.

Sicher ist nur, dass die Prognose, die das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2006 unter der Überschrift »Nach dem Mensch kommt der Wolf« veröffentlicht hat, so nicht stimmt, da schon ihre Überschrift in die Irre führt. Denn Wölfe sind sehr wohl in der Lage, in relativ dicht besiedelten Kulturlandschaften zu überleben und sich dort auch zu halten. Beispielsweise zeigen Erfahrungen aus Italien, dass menschliche Besiedlung und landwirtschaftliche Nutzung geradezu die Voraussetzung für die Existenz der Wölfe sein können. In den siebziger Jahren konnte sich die Wolfspopulation in den italienischen Abruzzen nur wegen der damals noch häufigeren Schaf- und Ziegenherden halten. Weil die Reh- und Rotwildbestände zu der Zeit weitgehend verschwunden waren, waren die Wölfe auf Schafe und Ziegen zumindest als Zusatznahrung zu kleineren Säugetieren angewiesen. Einen nicht unerheblichen Teil ihres Futters bezogen die Abruzzenwölfe darüber hinaus von den dörflichen Müllhalden, auf denen sie nach Schlacht­abfällen und Nahrungsresten suchten. Dabei wichen die Tiere den Menschen in erstaunlicher Zeiteinteilung aus. Die Dörfer und Städte suchten sie nur nachts auf, tagsüber zogen sie sich in die felsigen Teile der Berge zurück und mieden die Menschen.
Konflikte zwischen Schafhirten und Wölfen gab es zwar in der Zeit, aber man entschärfte sie durch Gesetze und Entschädigungen. Einerseits stellte man die Wölfe vollkommen unter Schutz, andererseits wurden den Schäfern Entschädigungen für verlorene Schafe gezahlt. Nach anfänglichem Missbrauch – Schäfer gaben geschlachtete Schafe als Wolfsschäden an und kassierten doppelt – pendelte sich das Wolfsmanagement in den Abruzzen auf eine für beide Seiten einträgliche Weise ein. Die Kontrollen der Schutzmaßnahmen im Nationalpark hatten zudem den Nebeneffekt, dass auch die Wilderei auf Hirsche, Rehe und Wildschweine zurückging und die Populationen sich wieder erholten. Heute ernähren sich die langsam, aber stetig wachsenden Wolfspopulationen vor allem wieder von Wild.
Durch die Zunahme der Wölfe und den dadurch enger werdenden Platz wanderten in den vergangenen Jahren immer wieder Wölfe aus den Abruzzen über die Poebene in die italienischen, fran­zösischen und schweizerischen Alpen aus. Die Bestände der italienischen Wölfe können zur Zeit als gesichert gelten, es ist aber ebenso sicher, das es ohne Spaghetti- und Schlachtabfälle in den wildarmen siebziger Jahren heute in Italien keine Wölfe mehr gäbe. Genauso wichtig für ihr Über­leben waren aber auch die strengen Schutzmaßnahmen. Die Lehren, die man aus dem italienischen Beispiel ziehen kann, zeigen aber auch, dass selbst in einer Gegend, in der es seit jeher Wölfe gibt, deren Fortbestand ohne so genanntes Wolfsmanagement nicht zu gewährleisten ist.

Aber die Vergleichbarkeit der Wolfsbestände endet hier. Wolfspopulationen lassen sich nämlich in ihrer Ökologie und ihrem Verhalten in unterschiedlichen Regionen nur sehr bedingt zueinander in Beziehung setzen. Wölfe verfügen über ein enormes lokales Anpassungsvermögen, das weitgehende Verhaltensänderungen zur Folge haben kann. Es ist deshalb für die sächsischen Wölfe auch schon schwierig, ihr Verhalten aus den Gewohnheiten ihrer polnischen »Ursprungspopulation« abzuleiten. Ohne Forschung an den sächsischen Wölfen wird man keine Angaben über ihr Verhalten machen können und somit auch keine wirkungsvolle Aufklärungsarbeit leisten können, die der Bevölkerung die Angst vor den mit Schreckensmythen beladenen Tieren nimmt.
Im sächsischen Managementplan stehen deshalb eigene Forschungsbemühungen an erster Stelle. Mehrere Wölfe sollen mit Sendern versehen über längere Zeit beobachtet werden. Man verspricht sich davon genauere Hinweise auf ihren Aktionsradius, ihre Wanderbewegungen und ihre Ernährungsgewohnheiten. Die Hoffnung geht dahin, dass mit den so gewonnenen Daten auch Vorhersagen gemacht werden können, in welche Gebiete die Wölfe demnächst einwandern werden, um die Anwohner dort auf den Einzug der Tiere vorbereiten zu können, bevor sie ankommen. Das ist bestimmt zweckmäßig und sinnvoll, denn die Gegner der Wölfe sind in Deutschland immer schon da. Es sind die Jäger. Und die wachen hierzulande insbesondere über den von ihnen gezüchteten Bestand kräftiger Hirsche.
Schon jetzt ist der Sächsische Jagdverband der Meinung, dass es mehr Wölfe gibt, als Behörden und Wissenschaftler schätzen. »Wir sind sehr wohl der Meinung, dass der Wolf bereits einen spürbaren Einfluss auf den Jagdertrag ausübt«, zitieren die Lausitzer Nachrichten einen Jagdverbandsvertreter. Die Wölfe sind also bereits, bevor sie erforscht worden sind, zum Gegenstand des Interessenkonfliktes von Jagd, Naturschutz und Tourismus geworden. Der Sächsische Jagdverband ist nämlich auch ein strikter Gegner naturtouristischer Bestrebungen, die den Wolf »erlebbar« machen wollen. Und in dem Bestreben kann man den Jägern nur Recht geben. Nur solange Wölfe den Menschen nicht in ihr Verhaltensrepertoire integrieren, sie sich ihm gegen­über also scheu verhalten, werden sie menschliche Siedlungen meiden. Wenn das nicht mehr der Fall ist, werden sie es den Füchsen nachtun. Und dabei wird es nicht bei Einzelfällen bleiben, wie bei jenem Wolf, der seelenruhig durch Stockholm streifte, von dem Hanns Zischler in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erzählte.

Was dann passieren kann, davon zeugen Berichte aus Rumänien. Wolfsrudel haben dort streunen­de Hunde als Nahrung entdeckt und ihre Jagdtech­niken in einer Weise verfeinert, dass sie es auf eine höhere Erfolgsrate als bei der anstrengenden Reh- und Hirschjagd bringen. Also dürfte es für alle Beteiligten die beste Lösung sein, den Wolf respektvoll als wildes Tier nur als Schatten in der Nacht oder als Spur im Schnee wahrzunehmen. Wenn die sächsischen Wolfsmanager es schaffen, ein solches Distanzverhältnis als wünschenswert zu propagieren, hätten sie gleichzeitig auch einen Weg gezeigt, Wölfe und Wölfinnen endlich aus dem Metaphernrepertoire von Managerberatungsseminaren zu verdammen. Das wäre sehr schön.