Die Pleite von Arcandor

Insolvenz mit Imageproblem

Arcandor ist pleite. Die Möglichkeiten, die da­für Verantwortlichen haftbar zu machen, sind beschränkt.

Sie demonstrierten und sammelten Unterschriften für Staatshilfen und machten sich zu Bütteln des Konzernvorstands aus Angst um die Arbeitsplätze. Mit dem Insolvenzantrag des Konzerns Arcandor ist diese unwürdige Selbsterniedrigung der Be­schäf­tig­ten wohl zu Ende. Nun ist es Aufgabe einer »Task­force« aus Vertretern von Verdi und der Bun­des­agentur für Arbeit, sich der Probleme der Angestellten anzunehmen.

Die Konzernführung hatte sich redlich bemüht, von den Koalitionsparteien staatliche Bürgschaften zu erpressen. Die Aktionäre rund um das Bank­haus Sal. Oppenheim hatten angeboten, sich nicht nur mit einer Kapitalerhöhung in Höhe von 100 Mi­l­lionen Euro zu beteiligen, sondern auch noch einen Kredit in Höhe von 70 Millionen für die Sanierung bereitzustellen. Es wurde zwar betont, dass diese Zusagen nicht an Staatshilfen ge­koppelt seien, aber ein »tragfähiges Konzept« voraussetzten. Das bedeutete natürlich, dass die Be­sitzer eben doch ohne Garantien des Staats keine Mittel in die Rettung ihres Eigentums investieren wollten. Neben Sal. Op­penheim machten die Royal Bank of Scotland, die Commerz­bank und die Bayern-LB nach Angaben des Arcandor-Vorstands eine Verlängerung der Kreditlinien von Staatsbürgschaften über 650 Mil­lionen Euro abhängig.
Die in Bedrängnis gebrachte Bundesregierung wie­derum versuchte nach Kräften, ein Exempel zu statuieren, um weitere Forderungen dieser Art in Zukunft zu verhindern. Prompt gab der Vorstand der Schaeffler-Gruppe bekannt, die beiden hoch verschuldeten Autozulieferer Schaeffler und Continental arbeiteten mit ihren Banken an einem neu­en »Rettungskonzept«. Dabei werde auch geprüft, ob man auf eine staatliche Bürgschaft verzichten könne, hieß es aus dem Umfeld der beiden Konzerne.
Auffällig war, wie sich alle Beteiligten bemühten, die Stimmung aufzuhellen und zu betonen, dass die Insolvenz ja nicht das Ende sei. Ein Moderator bei NTV behauptete sogar, dass die Insolvenz lediglich ein »Imageproblem« habe, während sie in Wirklichkeit doch die Chance für einen geordneten Neubeginn biete. Schadensbegrenzung scheint also das Gebot der Stunde zu sein, zumin­dest bis zur Bundestagswahl.

Dafür, die Verantwortlichen der Pleite haftbar zu machen, scheinen ohnehin nur wenige Möglichkeiten und noch weniger Neigungen bestehen. Ma­deleine Schickedanz sitzt sicher in der Schweiz und äußert sich wie üblich nicht. Lediglich der frü­here Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff könnte wegen seiner Geschäfte mit den Karstadt-Immobilien in Schwierigkeiten kommen.
Es waren vor allem Fehler des Managements und eine hohe Schuldenlast, die Arcandor in die Insolvenz trieben, obgleich der Konzern seit Jahren steigende operative Gewinne verbuchen konnte. Riskante Zukäufe, etwa des Reiseunternehmens Thomas Cook, gingen seit 2004 mit einem Ausgliederungsprogramm einher. Damals begann der ehemals größte Handelskonzern Europas, den Bereich Logistik an DHL, ein Tochterunternehmen der Post, abzugeben, und verkaufte 75 kleinere Warenhäuser an eine Gruppe britischer Investoren. Die Zahl der Beschäftigten sank von ehemals 100 000 auf rund 55 000 allein bei Kar­stadt-Quelle. Für höhere Renditen mussten Arbeiter und Angestellte, wie es ebenfalls 2004 in einem »Sanierungstarifvertrag« festgelegt wurde, auf Weihnachts- und Urlaubsgeld, Gehaltserhöhungen und übertarifliche Zulagen verzichten.
Im darauf folgenden Jahr übernahm Thomas Middelhoff auf Drängen von Madeleine Schickedanz die Leitung des schon seit 2003 wegen Umsatzrückgängen im Groß- und Einzelhandel in eine Krise geratenen Arcandor-Konzerns. Wenig später begann er, den Konzern umzubauen und die Ausgaben zu reduzieren. 760 Millionen Euro auf Kosten der Beschäftigten einzusparen, war nicht zuletzt dadurch möglich, dass auf Betriebsräte und die Gewerkschaft Druck ausgeübt wurde.
Der Konzern expandierte, während zugleich der Stellenabbau weiterging. Einige der von Middelhoff im Zuge der »Sanierung« des Konzerns getrof­fenen Entscheidungen sind allerdings selbst aus betriebswirtschaftlicher Sicht so wenig nach­vollziehbar, dass inzwischen viele vermuten, private Interessen hätten dabei eine Rolle gespielt. So verkaufte Middelhoff fast alle Immobilien des Konzerns und mietete sie zu überhöhten Prei­sen wieder zurück.
Dies führte jedoch erst zu Nachfragen und internen Untersuchungen, nachdem Middelhoff den Vorstandsvorsitz abgegeben hatte. So prüft die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn, weil er an einem Immobilienfonds beteiligt ist, der meh­rere Gebäude zu sehr hohen Preisen an Kar­stadt vermie­tet haben soll. Bereits vor seinem Einstieg bei Arcandor hatte Middelhoff eine Abfindungszahlung in einen Immobilienfonds der Privatbank Sal. Oppenheim und deren Geschäftspartner Josef Esch gesteckt. Dieser ist an fünf Karstadt-Häusern beteiligt. Nach einem Gutachten der Wirt­schaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers betrugen die Mietkosten für Kar­stadt im Schnitt 7,2 Prozent des Warenhaus­um­satzes, beim Sal. Oppenheim-Fonds bis 17 Prozent. Als Ge­genleistung für die höheren Mieten wurden Gewinnbeteiligungen an Projekten versprochen und Ausgleichszahlungen in Aus­sicht gestellt. Später wurde beides für hinfällig erklärt, weil das Mana­gement gewechselt habe.
Middelhoff verzichtete als Konzernchef darauf, juristisch gegen Esch vorzugehen. Dabei bezifferte der Arcandor-Vorstand die finanziellen Ausfälle einst auf 100 Millionen Euro. Middelhoff verwies darauf, »der gesamte Sachverhalt« sei von den zuständigen Gremien im Unternehmen sowie von Wirtschaftsprüfern und Anwälten geprüft worden. Ein Konzernjurist hielt dem entgegen, Middelhoff habe von einer Klage abgeraten, obwohl man sie als aussichtsreich einschätzte.

Währenddessen hat der Ansturm auf die einzelnen Teile des Konzerns begonnen, die nun zum Schnäpp­chenpreis zu haben sind. Der Otto-Konzern etwa zeigt sich interessiert an Spezialversendern wie Baby-Walz und an den Sporthäusern. Verhandlungen sollen derzeit aber nicht laufen. An dem Unternehmen Thomas Cook, das fast 60 Pro­zent zum Konzernumsatz und annähernd 90 Prozent zum operativen Ergebnis beiträgt, ist Rewe interessiert. Für die Versandhandelsspar­te, die neben Quelle auch noch unter dem klangvollen Namen Primondo läuft, soll es etliche Interessenten geben. Und die 200 Karstadt-Kaufhäuser würde sich gerne die Konkurrenz Kaufhof-Metro einverleiben. Im Fall einer Übernahme würden wohl 40 der Häuser geschlossen. Die Ver­handlungen mit Metro, die noch vor der Insolvenz unter hohem Zeitdruck geführt worden waren, wur­den vom Arcandor-Vorstand inzwischen aller­dings ausgesetzt. Denn eilig hat man es jetzt zunächst nicht mehr.
Und während die 56 000 Beschäftigten einer un­gewissen Zukunft entgegensehen, muss sich die Konzernerbin Schickedanz, deren Vermögen noch vor zwei Jahren auf 3,85 Milliarden Euro geschätzt wurde, nach dem drastischen Kursverfall der Arcandor-Aktie wohl mit einer Summe im zweistelligen Millionenbereich begnügen. Das sollte aber für einen geruhsamen Lebensabend in St. Moritz noch problemlos ausreichen.