Die Krise der Labour-Partei nach den Europa-Wahlen

Jasmina wird nicht gefeuert

Bei den Europa-Wahlen erzielte die Labour-Partei das schlechteste Ergebnis seit 100 Jahren. Dennoch konnte Premierminister Brown sich im Amt halten.

Am Abend der Europa-Wahlen saßen viele Briten gespannt vor den Fernsehschirmen. Von 21 Uhr an wurden die Ergebnisse eines Wettbewerbs erwartet, der seit März die britische Öffentlichkeit in seinen Bann gezogen hatte. Dabei ging es aller­dings nicht um die Ergebnisse der Europa-Wahlen und die Zukunft des Premierministers Gordon Brown. Die Frage des Abends lautete: Jasmina oder Kate? Wer würde die Siegerin in der BBC-Show »The Apprentice« (Der Lehrling) werden? In der Show müssen zehn Kandidaten versuchen, den britischen Geschäftsmann und Multimillionär Sir Alan Sugar davon überzeugen, dass sie gute Managementqualitäten haben und interessante Geschäftsideen entwickeln können. Jasmina gewann am vorvergangenen Sonntag und darf nun als Auszubildende Sir Allens ihre Karriere fort­setzen. Ihr Jahresgehalt beträgt 100 000 Pfund.
Den von der Krise geplagten Briten gefällt die Show sehr. Hier werden sie an die guten Zeiten erinnert, als der Kapitalismus à la New Labour noch funktionierte. Das Wirtschaftswachstum wol­l­te nicht enden, Häuserpreise und Gehälter stiegen unaufhörlich an. Wie Sir Alan in der Show er­schien der Kapitalismus hart, aber fair.
Gleichzeitig der Show wurden die bei der Europa-Wahl abgegebenen Stimmen ausgezählt, es kam zu der erwarteten vernichtenden Niederlage der regierenden Labour-Partei. Großbritannien ist stärker von der Wirtschaftskrise betroffen als die meisten anderen europäischen Staaten. Über­dies war im Mai bekannt geworden, dass zahlreiche Abgeordnete private Ausgaben als Spesen abgerechnet hatten, die Enthüllung schadete vor allem der Labour-Partei. Dass in der Woche vor der Wahl eine offene Rebellion gegen Premierminister Gordon Brown ausbrach, trug ebenfalls dazu bei, dass die britischen Sozialdemokraten nur noch 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten. Dies ist das schlechteste Ergebnis seit 100 Jahren.

Große Besorgnis löste vor allem das Ergebnis der rechtsextremen British National Party (BNP) aus. Sie konnte zwar ihren Stimmenanteil kaum verbessern, doch der Einbruch der Labour-Partei in ihren traditionellen nordenglischen Hochburgen bescherte der BNP zwei Mandate im Europa-Parlament. Es ist das erste Mal in Großbritannien, dass eine rechtsextreme Partei auf nationaler Ebe­ne Abgeordnete stellt. Der langjährige Vorsitzende Nick Griffin sowie Andrew Brons werden die BNP in Brüssel fortan vertreten. Beide erklärten in Interviews nach der Wahl, in der BNP hätten die weißen Briten ihre »wahren Verteidiger« erkannt.
Die BNP, die Briten mit Migrationshintergrund als Mitglieder ausschließt, fordert eine »freiwillige Rückführung« von Immigranten. Nick Griffin stand in der Vergangenheit wegen rassistischer Aussagen vor Gericht, wurde jedoch freigesprochen. An­drew Brons gehörte in der Vergangenheit verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen an.
Das schlechte Ergebnis für die Labour-Partei auch bei den Kom­mu­nal­wahlen, die zur selben Zeit wie die Europa-Wahlen stattfanden, wird vor allem dem Premier­minister Gordon Brown an­gelastet. Dass er das Desaster bei den Wahlen nun dennoch entgegen vielen Mutmaßungen zunächst politisch überstanden hat, zeigt in gleichem Maße die politischen Stärken des mürrischen Schot­ten wie die Ratlosigkeit und Schwäche der Labour-Partei.
Wegen des Spesenskandals hatten bereits vor den Wahlen mehrere Abgeordnete Brown offen zum Rücktritt aufgefordert. In den Medien kursierten Gerüchte über eine plotmail, eine Verschwörung von Abgeordneten gegen Brown. Die Parlamentarier hatten angeblich ano­nyme Accounts bei Hotmail genutzt, um sich abzusprechen. Kritiker Browns hatten bereits im vorigen Sommer versucht, den Premierminister zu stürzen, der sich jedoch durch eine Kabinetts­umbildung an der Macht halten konnte. Vor den Wahlen und der er­warteten neuen Kabinettsumbildung traten zwar mehrere Minister zurück. Doch am Ende sprach sich gegen Brown nur Arbeitsminister James Prunell. Er trat am Donnerstag vor den Wahlen zurück, wohl in der Erwartung, dass der als wahrscheinlichster Nachfolger Browns gehandelte Alan Johnson sowie der einflussreiche Außenminister David Miliband folgen würden. Doch das taten sie nicht, vielmehr unterstützen beide Brown öffentlich. Als Brown den unzufriedenen Parlamen­tariern dann am Montag nach den Wahlen auch noch Zugeständnisse in Sachfragen wie der umstrittenen Privatisierung der Post mach­te und einräumte, er habe auch Schwächen, hatte er seine Position vorerst gesichert.
Angesichts der vielen Kompromisse, die Brown eingehen musste, um sich im Amt zu halten, erscheint es fraglich, ob er seine politischen Vorstel­lungen in den nächsten Monaten durchsetzen kann. Der Premierminister gab bekannt, weiter an der Reform des ökonomischen und des politischen Systems arbeiten zu wollen. Am Mittwoch der vergangenen Woche kündigte er an, dass alle Spesenabrechnungen der Abgeordneten von nun an im Internet veröffentlicht werden. Außerdem machte er Vorschläge für eine Reform der britischen Demokratie. Das Oberhaus soll in Zukunft vollständig oder zumindest zu 80 Prozent gewählt werden. Die Abgeordneten des Unterhauses nach dem Verhältniswahlrecht wählen zu lassen, wie es neben den oppositionellen Liberaldemokraten auch Innenminister Alan Johnson fordert, lehn­te Brown indes ab.
Die Folgen der Wirtschaftskrise will Brown mit einer recht eigenwilligen Maßnahme bekämpfen. Im Zuge der Kabinettsumbildung hat er Sir Alan Sugar als »Zar für Unternehmertum« in die Regierung geholt. Den fast 2,5 Millionen britischen Arbeitslosen könnte das wie ein schlechter Scherz vorkommen. In »The Apprentice« verabschiedet Sir Alan die erfolglosen Kandidaten mit dem Ruf: »You’re fired!«