Peer Steinbrück und die Finanzaufsicht

Die Weltmeister des Risikos

Finanzminister Peer Steinbrück macht sich keine Freunde: Derzeit bemängelt er vor allem die britische Finanzaufsicht als zu nachlässig. Deutsche Banken müssen aller­dings auch keine allzu große Strenge fürchten.

Man kann dem deutschen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) viel vorwerfen – übertriebene Freundlichkeit gehört sicherlich nicht dazu. Seine rigiden Forderungen, die europäischen Finanzmärkte besser zu regulieren, stoßen selten auf Begeisterung. Manchmal erscheint es fast, als sei es sein eigentliches Ziel, dem etwas angestaubten Bild des hässlichen Deutschen wieder neuen Glanz zu verleihen: Zu arrogant, zu aggres­siv und von keinerlei Selbstzweifeln geplagt – so erscheint er vor allem im Ausland. »Peer Steinbrück, das darf man in aller Offenheit sagen, definiert das Bild des hässlichen Deutschen neu«, ereiferte sich im Frühjahr der konservative Schwei­zer Nationalrat Thomas Müller. »Das Großmacht­gehabe des deutschen Finanzministers ist unerträglich«, tobte Gabi Huber, Fraktionsvorsitzende der Schweizer FDP.
Anlass für die harschen Reaktionen, die so gar nicht zur ansonsten betulichen Schweizer Diplomatie passen, waren Steinbrücks Äußerungen im April auf dem G8-Gipfel in London. Dort hatte er von den führenden Industrieländern strenge Maßnahmen gegen so genannte Steueroasen gefordert. Er drohte kooperationsunwilligen Staaten, allen voran der Schweiz, mit einer »schwarzen Liste« und verglich diese anschließend mit der »siebten Kavallerie vor Yuma – die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt«.

Offenbar genügte diese Drohung, denn trotz aller Aufregung endete der »eidgenössische Zwer­genaufstand« (Handelsblatt) ergebnislos. Nach zähen Verhandlungen sichert die Schweiz dem deutschen Finanzminister nun Amtshilfe bei Verdacht auf Steuerhinterziehung zu. Nach seinem Besuch in Berlin Ende Juni sagte der Schwei­zer Bun­despräsident Hans-Rudolf Merz sogar, er ha­be in Steinbrück »einen Freund« gefunden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, dann handelt es sich um eine einseitige Angelegenheit. Die Forderung von Merz, für die Amtshilfe solle der deutsche Finanz­markt für Schweizer Dienstleister geöffnet werden, belächelte man in Berlin als bloße »Muskelspiele«, berichtet das Handelsblatt.
Doch kaum hat sich der Konflikt mit der Schweiz gelegt, entdeckt Steinbrück bereits einen neuen Bösewicht: Nun wirft er Großbritannien mangelndes Interesse an einer Regulierung vor. Er höre Stimmen, orakelte er vergangene Woche, die mein­ten, man könne zum Status quo vor der Finanzkrise zurückkehren. »Insbesondere der Finanzplatz London ist da in meinen Augen sehr verdächtig«, sagte der Finanzminister. Dort werde versucht, alte Standortvorteile gegenüber anderen Städten zu halten. Das gehe bis zur Frage der Besteuerung von Managern. Dahinter stehe, dass der Finanzsektor für Großbritannien mit seiner schwächeren industriellen Basis wichtiger sei als in Deutschland, führte Steinbrück aus.
Tatsächlich spielt die »City«, der Londoner Fi­nanz­bezirk, für die britische Wirtschaft eine Schlüsselrolle, während traditionelle Branchen dras­tisch an Bedeutung verloren haben. Selbst die so genannten Creative Industries, also Modedesigner, Künstler oder Softwareentwickler, schaffen mittlerweile mehr Arbeitsplätze als etwa die gesamte britische Schwerindustrie. Nichts fürchtet der von der Wirtschaftskrise bereits schwer getroffene Premierminister Gordon Brown mehr als eine Abwanderung der Finanz­institute, die wegen zu starker Reglementierung Großbritannien in Richtung Singapur, Hongkong oder den Nahen Osten verlassen könnten.

Zugleich spiegelt Steinbrücks neuerliche Attacke jedoch auch seine alten Vorurteile wider. Noch im September vorigen Jahres erklärte er, die Wirt­schaftskrise sei vor allem ein Problem der USA, da sie Deutschland kaum berühren werde. Als dann die Folgen auch hierzulande nicht mehr zu übersehen waren, machte er wiederum die »angelsächsische Finanzwirtschaft« dafür verantwort­lich. Deregulierte Finanzmärkte, überschuldete Banken, Hedgefonds oder der Handel mit risikoreichen Derivaten – alles eine US-amerikanische Erfindung, die über die »City« nach Europa gekom­men sei. »Der Preis der Überheblichkeit« titelte der Spiegel im September 2008 mit unverhohlener Schadenfreude und meinte damit natürlich Amerika.
Die Ursachen der Finanzkrise allein der mangelnden Bankenaufsicht in London und New York anzulasten, folgt allerdings einem Mythos. In Wirklichkeit hatten sich deutsche Banken in einem viel höheren Maße verkalkuliert als US-amerikanische oder britische. So lag vor der Finanz­krise nach einem Bericht der New York Times das durchschnittliche Verhältnis von Forderungen zum Eigenkapital bei US-Banken bei zwölf zu eins, bei britischen Banken bei 24 zu eins. Deutsche Banken hätten jedoch »sogar unter allen Banken in der entwickelten Welt den längsten Hebel angesetzt«, sagte der konservative britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson vergangene Woche in der Zeit, sie hätten »ein atemberaubendes Verhältnis von 52 zu eins« erreicht. Beim Marktführer Deutsche Bank, der erst kürzlich wieder damit prahlte, dass er auch in Krisenzeiten weiterhin glänzende Geschäfte tätigen könne, liegt das Verhältnis derzeit bei 50 zu eins – als hätte es die Krise nie gegeben.
Ferguson ist mit seiner Meinung nicht alleine. EU-Kommissar Günter Verheugen, zuständig für Industrie und Unternehmen, sagte kürzlich, dass »nirgendwo, auch nicht in den USA, sich Ban­ken mit größerer Bereitschaft in unkalkulierbare Risiken gestürzt haben, vor allem die Landesban­ken«. Deutschland sei »Weltmeister in riskanten Bankgeschäften«. Dabei ist der Höhepunkt der Krise noch längst nicht erreicht, da in den Bilanzen deutscher Banken Schätzungen zufolge noch »toxische Wertpapiere« mit einem Nominalwert von 800 Milliarden Euro schlummern.
Es gäbe also mehr als genug Gründe für Steinbrück, gerade deutsche Banken rigider zu kontrollieren. Doch merkwürdigerweise erlahmt sein Eifer, wenn es um einheimische Institute geht. Vergangene Woche verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der Koalition ein von Stein­brück eingebrachtes »Gesetz zur Stärkung der Finanzaufsicht«. Die Kontrolleure der »Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht« (Bafin) sollen dem Gesetz zufolge einem Geldinstitut zwar bereits dann Auflagen machen können, wenn größere Risiken erkennbar sind, und nicht erst, wenn eine Insolvenz unmittelbar bevorsteht. Allerdings nennt das Gesetz keine Kriterien, ab wann sich eine Bank überhaupt in riskanten Gefilden bewegt. Es handelt sich daher eher um eine Absichtserklärung als um ein tatsächliches Kontrollinstrument, abgesehen davon, dass die Behörde »hoffungslos unterbesetzt« sei und schon die bisherigen Aufgaben nicht erledigen kön­ne, wie der Präsident der Bafin, Jochen Sanio, vor wenigen Tagen klagte.

Während also in Deutschland nur sehr zögerlich gehandelt wird, gibt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel international sehr kämpferisch. »Wir werden darauf beharren, dass wir wirklich eine neue Verfassung für die Finanzmärkte bekommen, damit sich eine solche Krise nicht wiederholt«, versprach sie vergangene Woche in ihrer Erklärung zum G8-Gipfel, der gerade in Italien stattfindet. Bei diesem Thema, versicherte sie, »können wir uns keine Rückkehr zum ›business as usual‹ leisten«. Und falls doch, dann fällt ihrem Finanzminister sicher wieder ein Land ein, das er dafür verantwortlich machen kann.